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Rücktritt von Anne Spiegel: Eine geht schon – drei Minister wackeln noch


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Kabinett unter Druck
Eine geht schon – drei wackeln noch


Aktualisiert am 11.04.2022Lesedauer: 6 Min.
Die wackelnden Minister: Familienministerin Spiegel, Innenministerin Faeser, Verteidigungsministerin Lambrecht und Gesundheitsminister Lauterbach.Vergrößern des Bildes
Die wackelnden Minister: Familienministerin Spiegel, Innenministerin Faeser, Verteidigungsministerin Lambrecht und Gesundheitsminister Lauterbach. (Quelle: IMAGO/Christian Spicker, dpa, IMAGO/Metodi Popow, Montage: U. Frey / T-Online)

Familienministerin Anne Spiegel ist zurückgetreten. Aber sie ist nicht die einzige Ministerin, die schlingert. Ein Überblick über die Schwachstellen im Kabinett.

Auf der Facebook-Seite von Olaf Scholz lässt sich ein großes Versprechen nachlesen. Es stammt vom 12. September 2021: "Wer die SPD wählt, bekommt mich als Bundeskanzler und ein paritätisches Kabinett mit gleich vielen Männern und Frauen, die gemeinsam eine starke Regierung bilden." So weit der Anspruch.

Sieben Monate später hat Scholz zwei Vorhaben umgesetzt: Er ist Kanzler und das Kabinett paritätisch besetzt. Nur: Wie stark ist seine Regierung?

Zuletzt war Familienministerin Anne Spiegel massiv unter Druck. Kurz nach der Flutkatastrophe an der Ahr fuhr die damalige rheinland-pfälzische Umweltministerin für vier Wochen in den Urlaub. Ein verstörender Auftritt der Grünen-Politikerin am Sonntagabend machte ihre Lage nicht gerade besser. Am Montag erklärte Spiegel nun ihren Rücktritt.

Doch sie ist nicht die einzige Ressortchefin, die gegenwärtig in der Kritik steht: Verteidigungsministerin Christine Lambrecht und Innenministerin Nancy Faeser machen in der Ukraine-Krise keine wirklich glückliche Figur. Und der mit viel Vorschusslorbeeren ernannte Gesundheitsminister Karl Lauterbach sorgt in der Corona-Pandemie eher für Verwirrung als einen klaren Kurs.

Die Opposition macht, was sie in einer solchen Situation tun muss: Sie attackiert und fordert gleich noch mehr Rücktritte. Gitta Connemann, die Chefin der MIT – also des Wirtschaftsflügels der CDU – sagt t-online: "Dieses Kabinett befindet sich im Abstiegskampf." Die genannten vier Minister würden "Eigentore schießen". Connemann glaubt: "Die Inkompetenz von Faeser, Lauterbach, Lambrecht und Spiegel ist unübersehbar. Alle vier Amateure gehören ausgewechselt."

Die scharfe Tonlage zeigt: Die Opposition sieht die Chance, die Regierung vor sich herzutreiben. Aber wie viel Angriffsfläche bieten die vier Ministerinnen und Minister wirklich? Ein Überblick.

Familienministerin Anne Spiegel

Anne Spiegel war bis zum vergangenen Jahr Familien- und Umweltministerin in Rheinland-Pfalz – und stellvertretende Ministerpräsidentin. Im Juli 2021 wurde das Ahrtal überflutet, viele Menschen starben. Doch Spiegel war in der Flutnacht schwer erreichbar und kümmerte sich danach – so der entstandene Eindruck – mehr um ihren Ruf als die Lage der Opfer.

Als das vor einiger Zeit herauskam, gab es bereits Kritik. Die Vorwürfe der Opposition konnte Spiegel auch bei einem Auftritt im Untersuchungsausschuss des Mainzer Landtages nicht wirklich entkräften. Aber der große Druck schien auch erst einmal vorbei. Zumal es mit dem Ukraine-Krieg deutlich wichtigere Themen gab.

An diesem Wochenende enthüllte allerdings die "Bild am Sonntag", dass Spiegel trotz des Jahrhunderthochwassers vier Wochen in Frankreich Urlaub machte. Zunächst ließ Spiegel ausrichten, dass sie trotzdem an Kabinettssitzungen teilgenommen habe.

Das stimmte nicht, wie sie am Sonntag zugab. Um kurz nach 21 Uhr trat Spiegel vor die Presse. Und erklärte, sie habe doch nicht an den Kabinettssitzungen teilgenommen. Sie offenbarte private Details, etwa, dass sie dringend Urlaub gebraucht habe, der Schlaganfall ihres Mannes habe die Familie belastet, zudem habe sie mehrere kleinere Kinder, die unter der Corona-Pandemie gelitten hätten. Spiegel rang um Worte und vergaß offenbar, dass ihr Statement live übertragen wurde, sagte am Schluss, dass sie ihre Stellungnahme noch "abbinden" müsse.

Spiegel versuchte einen Befreiungsschlag. Die Grünen-Spitze soll sie bereits in einem internen Gespräch am Sonntag – vor ihrer Pressekonferenz – zum Rücktritt aufgefordert haben. Sie erbat sich eine letzte Chance, die sie dann nicht nutzen konnte. Nun hat Spiegel doch noch eingelenkt und ihren Rückzug verkündet.

Wie es weitergeht, ist noch offen. Möglich sei, dass Landwirtschaftsminister Cem Özdemir oder der Grünen-Politiker Anton Hofreiter das Ministerium übernehmen, heißt es in Berlin.

Klar ist schon jetzt: Die erste Wackelkandidatin im Kabinett konnte sich nicht mehr halten. Bei den anderen drei Ministern ist die Lage zwar nicht so ernst wie bei Spiegel. Doch auch sie sind unter Druck.

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht

Zwischen Christine Lambrecht und dem Verteidigungsministerium knirschte es von Anfang an. Schon zur feierlichen Amtsübergabe blieb Vorgängerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fern. Mit dem Ukraine-Krieg rückte Lambrechts unglückliches Händchen immer stärker in den Fokus: Da waren die 5.000 Helme, die sie vor Kriegsausbruch als "ganz deutliches Symbol" der Unterstützung rühmte, die dann aber wochenlang nicht ausgeliefert wurden.

Bis heute agiert die SPD-Frau beim Thema Waffenlieferungen unsouverän. Sie kann darüber zwar nicht allein entscheiden, schafft mit Kommunikationspannen aber Unklarheit. Erst behauptet sie, aus Sicherheitsgründen keine Angaben über Lieferungen machen zu können, nur um im nächsten Moment zu prahlen, Deutschland sei zweitgrößter Waffenlieferant.

So mehren sich die Zweifel, ob sie die richtige Managerin der sicherheitspolitischen Zeitenwende und der geplanten Aufrüstung der Bundeswehr ist. Als sie am Wochenende die Truppen in Mali besuchte – der größte deutsche Auslandseinsatz – bestand sie darauf, in hohen Absätzen durch den Wüstensand zu spazieren. Auch das gilt nun als Symbol dafür, dass Frau und Amt nicht recht zueinander gefunden haben. Aber auch ein Mann hat so seine Probleme.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach

In der SPD hatten sie schon immer Bedenken: Ein Minister Karl Lauterbach? Klar, fachlich bestens geeignet. Aber eben kein Teamplayer – und womöglich mit der Führung eines großen Ministeriums überfordert.

Doch Olaf Scholz hatte im Dezember keine andere Wahl, als den Mediziner in der vierten Welle der Pandemie zum Gesundheitsminister zu ernennen. Der öffentliche Druck war einfach zu groß. Wenn man so will, wurde Lauterbach per Twitter-Akklamation ernannt.

Und doch musste er in den vergangenen Monaten die bittere Erfahrung machen, dass ein formales Amt oft weniger Macht bietet als ein informelles. Als Lauterbach nur der "Corona-Experte" war, konnte er zu 100 Prozent seinen Überzeugungen folgen und damit sogar die Entscheidungen der Kanzlerin beeinflussen. Rücksicht auf andere – etwa Koalitionspartner – musste er nicht nehmen. Und wenn er mal etwas chaotisch kommunizierte, war es auch nicht so schlimm. So sind sie eben, die Professoren.

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Der Handlungsrahmen hat sich für den Ressortchef in der Ampel-Regierung fundamental geändert. Lauterbach ist in die Kabinettsdisziplin eingebunden, muss Entscheidungen mittragen, von denen er nicht überzeugt ist. Und vor allem muss er auf die FDP Rücksicht nehmen, die es sich zum Ziel gesetzt hatte, die Corona-Regeln abzuschaffen. Hinzu kommt, dass Lauterbachs Handeln nun 24 Stunden täglich an sieben Tagen pro Woche minutiös verfolgt wird. Da geht kaum noch ein Widerspruch unter.

Innenministerin Nancy Faeser

Viel besser geht es auch der Frau nicht, die als echte Überraschung unter den SPD-Ministern galt: Nancy Faeser, zuvor in der hessischen Landespolitik aktiv, war in Berlin weitgehend unbekannt. Sie wollte klare Kante gegen Rechtsextremismus zeigen. Doch Schlagzeilen machte sie, weil sie einen Beitrag für die Zeitschrift "antifa" eines Verbands geschrieben hatte, der wegen linksextremistischer Tendenzen beobachtet wird.

Auch ein Tweet zu den Corona-Protesten trug ihr Kritik ein, weil er als Einschränkung der Versammlungsfreiheit gelesen werden konnte. Fehlendes Fingerspitzengefühl einer Ministerin, die auch für den Schutz der Verfassung zuständig ist – das ist nie gut.

Dann der Ukraine-Krieg: Als Kriegsflüchtlinge massenhaft nach Deutschland strömten, blieb Faeser lange unsichtbar. Sie hatte die Wucht schlichtweg unterschätzt und gedacht, mehr Ukrainer würden in den Nachbarländern bleiben. Die Ministerin machte keine Anstalten, die Verteilung der Kriegsflüchtlinge zu organisieren.

Die Folgen: Wie 2015 blieb viel an Freiwilligen hängen, der Knotenpunkt Berlin und viele Kommunen fühlten sich von ihr alleingelassen, vielerorts funktionierte die Registrierung der Ankommenden nicht. Erst Mitte März korrigierte sich Faeser und ordnete eine Verteilung der Flüchtlinge auf die Bundesländer nach dem üblichen Königsteiner Schlüssel an.

Und wie geht es weiter?

Nach wenigen Monaten sind also bereits mehrere Minister stark unter Druck. Einen so schnellen Verschleiß gab es in der Geschichte der Bundesrepublik selten. Und doch ist sonst für niemanden die Lage so brenzlig, wie sie für Anne Spiegel zuletzt war.

Nun löst der Rücktritt der Familienministerin zwar das eine Problem, schafft aber zugleich das nächste. Der Grüne Anton Hofreiter wurde bei der Vergabe der Kabinettsposten im Dezember übergangen, was zu großen parteiinternen Spannungen führte. Deshalb soll es eine Zusage von Annalena Baerbock und Robert Habeck an den aktuellen Vorsitzenden des EU-Ausschusses im Bundestag geben, bei der ersten Vakanz im Kabinett nachzurücken.

Unabhängig davon, dass das Familienressort für den Verkehrsexperten alles andere als ein Wunschressort sein dürfte, würde im Fall der Fälle ein Mann für eine Frau nachrücken. Das Kabinett wäre damit nicht mehr paritätisch besetzt – und damit neben einer nicht wirklich "starken Regierung" ein weiteres Versprechen von Olaf Scholz gebrochen. Immerhin: Kanzler wäre er natürlich noch.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
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