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Bodo Ramelow lässt sich die Heimat "von keinem Nazi wegnehmen"


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Bodo Ramelow über "Heimat"
"Die lasse ich mir von keinem Nazi wegnehmen"

Jan Hollitzer, Jonas Schaible

Aktualisiert am 10.03.2018Lesedauer: 8 Min.
Bodo Ramelow besucht die Klosterkirche St. Maria und St. Georg in Thalbürgel: Geschichte, Sprache, Tracht – all das müsse man den Menschen lassen, sagt er.Vergrößern des Bildes
Bodo Ramelow besucht die Klosterkirche St. Maria und St. Georg in Thalbürgel: Geschichte, Sprache, Tracht – all das müsse man den Menschen lassen, sagt er. (Quelle: Jens Kalaene/dpa)
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Deutschland bekommt ein Heimatministerium. Vor allem die politische Linke ist entsetzt. Der einzige Ministerpräsident von Die Linke, Bodo Ramelow, aber sagt: Man muss Heimat als Sehnsuchtsort der Seele zulassen.

Ein Interview von Jan Hollitzer und Jonas Schaible

Heimat. Ein großes Wort, ein umkämpftes Wort. Ein umstrittenes Etwas. Die einen lieben ihre Heimat, andere erinnert allein das Wort an den Nationalsozialismus. Jetzt bekommt Deutschland ein Heimatministerium – geführt vom langjährigen bayerischen Ministerpräsidenten Horst Seehofer. Viele Grüne, Linke oder Sozialdemokraten reagierten entgeistert.

Drohen Deutschland jetzt Lederhosen- und Weißwurstkult? Trachtenabende? Ist das der erste Schritt zu mehr Deutschtümelei? Was ist das eigentlich, Heimat, und taugt sie zum politischen Begriff?

Wenn die Regierung vereidigt ist, nimmt auch das neue Ministerium seine Arbeit auf. t-online.de wird sich in nächster Zeit immer wieder mit "Heimat" auseinandersetzen. Den Anfang macht ein Gespräch mit Bodo Ramelow. Er ist nicht nur der einzige Ministerpräsident der Linken. Er ist auch einer der wenigen in seiner Partei, der ohne Scheu von Heimat spricht. Warum eigentlich?

Herr Ramelow, seit kurzem ist „Heimat“ wieder ein großes politisches Thema. Woher kommt das?

Bodo Ramelow: Ich bestreite, dass das erst seit kurzem so ist. Die Linke, als sie noch PDS hieß, hatte schon 2000 eine heftige Debatte geführt, weil die damalige Parteichefin Gabi Zimmer gesagt hatte: „Ich liebe Deutschland, ich liebe meine Heimat.“ Und schon in den 70ern ging es um den Bund der Vertriebenen, der sich über den „Heimattag“ definiert hatte.

In Österreich hat der Ex-Grüne Alexander van der Bellen seine Kampagne auf den Begriff aufgebaut, so wie sein extrem rechter Gegner Norbert Hofer. Seit dem Herbst haben Katrin Göring-Eckardt, Frank-Walter Steinmeier und Sigmar Gabriel über Heimat gesprochen. Jetzt kommt ein Heimatministerium. Sie haben nicht das Gefühl, dass der Begriff gerade Konjunktur hat?

Nein, das erleben wir alle paar Jahrzehnte. Immer wieder dieselbe Auseinandersetzung. Dass das Ministerium jetzt so heißen soll, finde ich unglücklich. Mir wäre der Begriff Regionalministerium lieber. Er wäre auch klarer.

Eine andere These wäre, dass der Begriff wegen des Erstarkens der AfD und des Zuzugs von hunderttausenden Flüchtlingen eine neue Qualität bekommen hat.

Es stimmt, dass AfD-Politiker bestimmte Begriffe ideologisch aufladen. Auch den der Heimat. Darauf mit Denkverboten zu reagieren, halte ich aber für gefährlich. Damit würden wir uns nur aus Diskussionen herausziehen. Wir würden uns Begriffe wegnehmen lassen, anstatt zu lernen, mit ihnen umzugehen.

Also sollte sich die politische Linke den Heimatbegriff aneignen, wie es die Union versucht?

Das würde ich nicht sagen, aber ganz sicher lasse ich ihn mir persönlich von niemandem wegnehmen. Ich spreche da allerdings nicht für die Linke, weder für die Partei noch die gesellschaftliche Gruppe.

Gut, warum nehmen Sie sich als Mensch der „Heimat“ an: aus Überzeugung, weil sie Ihnen persönlich wichtig ist? Oder aus Pragmatismus, um bestimmte Menschen nicht zu vergrätzen?

Weder noch. Ich lebe meine Heimat einfach. Ich überhöhe nichts, ich will niemand zum Singen von Heimatliedern verdonnern, niemand muss sich für Heimat begeistern. Aber ich habe eine Empfindung. Die hat etwas mit Kindheitserinnerungen zu tun. Mit Bildern. Mit dem Geschmack des Essens aus der Region, in der ich geboren bin. Die ist einfach da, die trage ich in mir, und die lasse ich mir von keinem Nazi wegnehmen. Auch das Wort „Heimat“ lasse ich mir nicht nehmen. Da bin ich stur.

Sie sind allerdings nicht nur Privatmensch, sondern Ministerpräsident eines Bundeslandes und ein wichtiger Politiker der Linken. Wie gehen Sie politisch mit diesem politisch wirksamen Begriff um?

Ich bin der Überzeugung, dass es ein Fehler war, den Begriff zu skandalisieren und mit diesem Alarmismus den Begriff Heimat schlicht aufzugeben. Die politische Linke meinte offenkundig: Weil Faschisten die Idee von Heimat missbraucht haben, müsste sie einen Bogen darum machen. Weil Leni Riefenstahl eine bestimmte Bildwelt geschaffen hat, dürfen Linke Natur und Heimatfilme nicht mehr angucken. So entfernt man sich von den Bürgern. Ich empfinde Heimat, einfach so. Warum soll ein normaler Bürger nicht die gleiche Empfindung haben? Es bringt überhaupt nichts, ihm zu sagen, er solle das nicht fühlen, weil das den Rechten nutzen könne.

Stattdessen machen Sie was?

Wir haben, und das unterstütze ich sehr, ein breit angelegtes Brauchtum in Thüringen. Menschen wollen über Kultur und Heimat reden, wollen ihre Trachten pflegen. Das war lange verpönt, weil es immer in dem Ruch stand, Heimat-Tümelei zu sein. Ich glaube, genau das muss man sich entwickeln lassen. Wenn jemand seine Heimat als Schutzraum sieht, soll er diesen Schutzraum haben.

Gefühle und Begriffe sind ja nicht einfach natürlich gegeben. Bei „Thüringen“ und „Heimat“ denkt man sofort an den „Thüringer Heimatschutz“, eine Neonazi-Organisation, die auch Kontakt zum NSU hatte.

Der „Thüringer Heimatschutz“ ist schon etwas sehr Spezifisches. Dahinter stehen die schlimmsten Nazis und die haben den Begriff aufs brutalste annektiert, um sich dahinter zu versammeln. Aber Heimat ist für sich genommen nicht rechtsextrem, deswegen sollten wir solche Versuche nicht unkommentiert lassen.

Selbst ohne Bezug zum Rechtsextremismus ist der Begriff nicht ohne Tücke. Was ist denn Ihre Heimat?

Meine Heimat ist der Sehnsuchtsort meiner Kindheit, der Ort, den man in sich trägt und nie erreicht. Ich möchte deshalb die Kirche im Dorf und Heimat als Sehnsuchtsort in der Seele der Menschen belassen.

Was ist unsere Heimat?

Das können nur Sie wissen. Wenn ich versuchen würde, Ihnen zu beantworten, was Ihre Heimat ist, dann hätte es mit Heimat nichts mehr zu tun.

Eben. Aber wenn Heimat derart radikal individuell ist, ist sie als politischer Begriff überhaupt sinnvoll?

Ich habe nie gesagt, dass Heimat ein politischer Begriff ist. Er wird im Moment politisiert, so wie er immer politisiert wurde. Von den Nazis. Im Kaiserreich. Am Ende soll damit immer ein Staatsgebiet geschaffen werden, das einheitlich sein soll. Das ist aber nicht mein Verständnis von Heimat.

Wie soll es möglich sein, diese Politisierung zu vermeiden? Oder dagegen anzugehen?

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Man muss mit Gelassenheit reagieren. Und den Heimatbegriff fördern. Unsere Heimatvereine fördern und die Trachtenarbeit pflegen.

Das klingt, zusammengefasst, nicht nach dem Versuch, sich Heimat anzueignen und umzudeuten. Es erinnert an Alexander van der Bellen, dessen Slogan im Österreichischen Präsidentschaftswahlkampf „Heimat“ war. Seine Botschaft: Ich stehe zur Heimat, zu Dialekt, Tracht, zu Bergen und Volksfest, ich fühle mich da wohl.

Dieses Heimatbild in Österreich ist mir zu eng. Ich will die Menschen so sein lassen, wie sie sind. Und ihnen vor allem sagen: Geht an eure Wurzeln, prüft die Quellen! Ein Beispiel: Die Nazis haben die alemannische Fastnacht zu einem heidnischen Brauch erklärt, um sie dann in ihre Ideologie einzuordnen. Fahren Sie nach Kitzingen in das Fastnachtsmuseum, dann stellen Sie fest: Das stimmt nicht.

Also ein Plädoyer dafür, sich die Veränderbarkeit und Nichtselbstverständlichkeit der Traditionen zu erschließen.

Das ist jedenfalls mein Vorschlag. Dann wird man zum Beispiel verstehen, dass es das Germanentum, das in dem rechten Heimatbegriff eine Rolle spielt, nicht gibt. Sondern dass wir aus unterschiedlichen Richtungen Traditionen mitgenommen haben und dass Thüringen auch stark slawisch geprägt ist. Viele Ortsnamen verweisen darauf. Es gab immer Wanderungs- und Siedlungsbewegungen, etwa die der Hugenotten. Und nach 1945 kamen noch einmal 800.000 Menschen aus den unterschiedlichsten Regionen als Flüchtlinge und Vertriebene nach Thüringen. Die alle haben Thüringen wieder aufgebaut und stark gemacht. Viele tragen das Gefühl von verlorener Heimat in sich und fühlen sich trotzdem als Thüringer.

Das klingt jetzt doch nicht mehr nur nach dem eigenen Heimatempfinden, sondern nach einer größeren politischen Motivation.

Der Mensch hat Sehnsucht nach emotionaler Sicherheit. Längst nicht alle Menschen, die AfD wählen, gehören zum abgehängten Prekariat. Alle Untersuchungen zeigen Anderes. Da geht es nicht so sehr um Materielles. Die Angst vor dem Abstieg kann unheimlich bestimmend sein, auch im Mittelstand.

Und wenn diese Sicherheit nicht gewährleistet wird?

Dann wird eine andere gesucht, und sei es eine Scheinsicherheit. Dann wird Heimat politisiert, dann heißt es erst „Deutschland first“, dann „Deutsche first“ und irgendwann heißt es „Blut und Boden zuerst“. Das hat Herr Höcke gerade gemacht, als er sagte „Renten stärken – aber nur für deutsche Staatsbürger“. Das kommt bei denen an, die Abstiegsangst haben.

Wie kann man diese Angst nehmen?

Es gibt viele Menschen, die aus vollem Herzen sagen, sie hängen am Heimatbegriff, weil die Heimat sie schützt. Das ist zwar irrational, aber wer so denkt, will nicht erklärt bekommen, dass es irrational ist. So erreicht man die Seele der Menschen nicht. Wenn ein Anti-Deutscher ihm zu erklären versucht, warum Heimat schlecht ist, und wenn dann ein Linker dazu kommt und zustimmt, dann sagt er: „Hau ab“. Damit gibt man einen Teil der Akteure auf, die ich für erreichbar halte. Ich würde ihn stattdessen einladen und fragen, was er sucht, was er braucht.

Was, glauben Sie, kann man damit erreichen?

Wahrscheinlich würde er am Ende sagen, er brauche soziale Sicherheit, er wolle keine Kinderarmut und er wünsche sich eine andere Form des Umgangs. Das ist nichts anderes als das Prinzip von Genossenschaftlicher Verantwortung oder der noch älteren Allmende-Wirtschaft, das gemeinsame Wirtschaften. So würde ich mir gesellschaftliche Entwicklung vorstellen. Man muss Essen auf den Tisch stellen. Aber man muss auch Nahrung für die Seele zur Verfügung stellen, und wenn diese Nahrung Heimat heißt, dann ist das in Ordnung. Bestimmte Nahrung zu verbieten, das hat schon mit dem Apfel nicht geklappt.

Dann zur Tagespolitik: Wie kann ein Heimatministerium dabei helfen?

Die Frage ist doch, was meint das Heimatministerium? Darüber bin ich mir überhaupt noch nicht im Klaren. Geht es um Anklatschen von Heimat-Tümelei? Dann ist es unsinnig. Oder geht es um regionalisierte Politik? Dann wäre ich sogar einverstanden. Nur würde ich mich immer noch über den Namen streiten. Heimat ist kein Begriff für ein Ministerium.

Was wäre besser?

Wir haben in Thüringen ein Regionalministerium eingeführt, dafür haben wir das Bau-, das Planungs- und das Landwirtschaftsministerium zusammengeführt, weil das alles mit Heimat zu tun hat. Ob das Vogtland oder das Eichsfeld, ob es die Franken sind oder die Menschen in der Rhön: Diese Zuordnungen sind da, es sind gelebte Traditionen. Sie zu ignorieren wäre Unsinn. Die Feldgeschworenen oder die Braurechte im Fränkischen Siedlungsraum sind schon etwas Besonderes. Die fränkische Tradition in Thüringen ist in der DDR lange tabuisiert worden. Jetzt kämpfen dort Akteure und sagen, sie wollen wieder fränkisch sein. Und ich sage, sie müssen fränkisch sein. Sie müssen innerlich stolz darauf sein, fränkisch sein zu dürfen.

Das Bundes-Heimatministerium ist national. Was halten Sie davon?

Es gibt keine Einheitsheimat. Falls die CSU meint, sie könne uns eine Einheitsheimat verordnen, dann geht es in die Grütze. Wenn die AfD meint, sie könne uns ein christliches Abendland verordnen, dann geht es in die Grütze. Das würde bedeuten, dass wir am deutschen Wesen wieder einmal genesen sollen.

Wenn man sich aus europäischer Sicht dem Heimatbegriff nähert, könnte die Namensgebung ein Versuch sein, den Deutschen innerhalb Europas eine Identität zu verschaffen. Der europäische Gedanke wurde im Bundestagswahlkampf viel beschworen. Die Menschen sollen Europäer sein. Aber viele dachten sich, warum reden wir nicht mehr über Deutschland.

Wenn man versucht, alles gleich zu machen, wird es schwierig. Wir sind einfach unterschiedlich. Die Frage ist nur, wie weit man das herunter deklinieren will und ob man meint, Siedlungsräume müssten politische Räume sein. Da ist der Europa-Begriff falsch aufgeladen worden. Ja, ich empfinde mich politisch als Europäer. Ich bin froh über die Freiheitsrechte, das sind für mich Grundbedingungen, sie sind aber nicht gleichmacherisch. Die einzelnen Nationalstaaten sind unterschiedlich. Ich bin froh drum, dass sie unterschiedlich bleiben. Ich bin überzeugter Föderalist.

Also ist nationale Identifikation innerhalb der EU wichtig?

Ich glaube, darunter liegt etwas anderes. Wir haben das große Problem, dass unsere Gesellschaft von mehreren Brüchen durchzogen ist: Von einer sozialen Friktion, weil Hartz IV sogar in die Betriebe hineingewirkt hat durch den Tarifabbau. Dazu kommt eine ostdeutsche Identität, die im Transformationsprozess gleich dreimal geknickt wurde. Das lädt sich alles auf – und füllt sich nicht mit dem Europabegriff. Alle die gekommen sind, und gesagt haben, sie seien Europäer, haben nicht mitbekommen, dass die Brüche, die vorher da waren, die Menschen so zugemacht haben, dass sie gesagt haben „das ist nicht mein Begriff“. Also wird jetzt all das mit einem imaginären politisierten Heimatbegriff gefüllt.

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