Zum Tod von Hildegard Hamm-Brücher "Mein Leben hatte nichts zu wünschen übrig"
Man nannte sie die "Grande Dame" der FDP - bis sie nach einem halben Jahrhundert ihr Parteibuch zurückgab. Eine große Dame blieb sie trotzdem. Nun ist Hildegard Hamm-Brücher mit 95 Jahren in München gestorben.
Die großen Ämter hatte sie nie. Ein paar Jahre lang war sie Staatsministerin im Außenministerium, zuständig für die Kulturbeziehungen mit anderen Staaten. Und einmal, 1994, wurde sie von der FDP als Bundespräsidenten-Kandidatin aufgestellt - zweifellos eine große Ehre, aber eine echte Chance hatte sie nicht. Höher ging es für sie nie hinaus.
Doch Hildegard Hamm-Brücher gehörte zu jenen Menschen, die auf Posten nicht angewiesen waren. Sie hatte Haltung genug, um auch so zu einer der ersten prominenten Frauen in der bundesdeutschen Politik zu werden. Es gab eine Zeit, da wusste jeder, wer gemeint war, wenn von der "Grande Dame der FDP" die Rede war. Am Mittwoch starb sie mit 95 Jahren, wie ihr Sohn am Freitag bestätigte.
Gauck würdigt Hamm-Brücher
Bundespräsident Joachim Gauck würdigte Hamm-Brücher als eine Frau, "die der Freiheit des Einzelnen höchsten Wert zumaß und die von der Fähigkeit der Menschen zur Selbstverantwortung überzeugt war". Sie habe wie kaum eine andere für einen Liberalismus gestanden, "der sich für Bürgerrechte, Zivilcourage und demokratische Kultur" eingesetzt habe. "Mit ihrer aufrichtigen Liberalität bleibt sie auch für nachfolgende Generationen ein Vorbild."
Hamm-Brücher selbst hatte sich in den vergangenen Jahren aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. "Seit etwa einem Jahr kränkele ich, wie man das so nennt", sagte sie der Deutschen Presse-Agentur kurz vor ihrem 95. Geburtstag im Mai. Zwei Oberschenkelhalsbrüche, Gedächtnislücken und Gleichgewichtsstörungen plagten sie.
Ihre Haltung hatte sie dennoch bis zuletzt nicht verloren. Die Islamkritik der AfD sah sie kritisch: Für Tendenzen kurz vor "echtem Nazismus" bestehe in Deutschland großes Potenzial, warnte sie. Das Erbe des Nationalsozialismus sei nicht gebannt. "Im Grunde kann man fürchten, dass da eine ganze Menge nachgewachsen ist."
Diskriminierung als "Halbjüdin"
Hamm-Brücher gehörte noch zu den Politikern, die eine Biografie hatten. Geboren am 11. Mai 1921 in Essen, aus wohlhabenden Haus, aufgewachsen in Berlin-Dahlem. Mit zehn Jahren verliert sie die Eltern, lebt bei der Oma in Dresden. Mit 15 erfährt die preußische Protestantin, dass sie nach den Rassengesetzen der Nazis "Halbjüdin" ist. Aus dem Schwimmverein wird sie ausgeschlossen, auf Klassenreisen ist sie künftig unerwünscht. Sie wechselt aufs Internat Schloss Salem an den Bodensee, macht in Konstanz Abitur.
"Das kriegt man nicht mehr aus dem Kopf und aus dem Herzen, wie die Deutschen waren. Sie waren grässlich", sagte sie über die NS-Zeit. Der Kampf für Freiheit und Demokratie prägt ihr ganzes Leben.
Nur durch eine Sondergenehmigung, die ihr der Nobelpreisträger Heinrich Wieland beschafft, darf sie während des Kriegs in München Chemie studieren. Mit Sophie Scholl vom Widerstandskreis "Weiße Rose" singt sie im Chor. FDP-Mitgründer Thomas Dehler holt sie zu seiner Partei. Erst sitzt sie im Münchner Stadtrat, dann im Landtag, dann im Bundestag - eine der ersten Frauen mit "Lebensberuf Politik".
FDP-Frau heiratet CSU-Mann
Hildegard Brücher heiratet einen Mann von der CSU - Erwin Hamm, Stadtrat in München. Die Ehe dauert über ein halbes Jahrhundert. Politisch die beste Zeit sind für sie die Jahre, in der die FDP zusammen mit der SPD im Bund eine Koalition führt. Von 1976 bis 1982 ist sie Staatsministerin im Auswärtigen Amt. Viele Jahre später sagt sie: "Die sozialliberale Koalition war das einzige Mal, dass ich politisch da verortet war, wo meine Grundüberzeugungen liegen."
Im Herbst 1982 ist es damit vorbei: Die FDP, die mit einem Treuebekenntnis zum SPD-Kanzler Helmut Schmidt Stimmen gesammelt hat, wechselt mitten in der Legislaturperiode zur Union. Hamm-Brücher gehört zu den wenigen FDP-Abgeordneten, die nicht mitmachen. Und sie hält eine der Reden, die in die Parlamentsgeschichte eingehen.
Der Kern besteht aus einem Satz. "Ich finde, dass beide dies nicht verdient haben: Helmut Schmidt, ohne Wählervotum gestürzt zu werden, und Sie, Helmut Kohl, ohne Wählervotum zur Kanzlerschaft zu gelangen." Kohl übersah sie seither, wo immer es ging.
Am Rand der FDP
Das Amt als Staatsministerin ist sie mit dem Machtwechsel los. In der FDP wird sie zunehmend zur Randfigur. Man entfremdet sich. Die Aussöhnung - als Hamm-Brücher 1994 für die Nachfolge des beliebten Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker nominiert wird - ist nicht von Dauer. Aus Koalitionskalkül stimmt die FDP im dritten Wahlgang dann doch für Roman Herzog, den Kandidaten der Union.
Nach 55 Jahren dann der endgültige Bruch. Am Tag der Bundestagswahl 2002 bringt Hamm-Brücher einen Brief zur Post, mit dem sie ihren Austritt aus der FDP erklärt - wegen antiisraelischer Äußerungen des damaligen Parteivizes Jürgen Möllemann. Von Guido Westerwelle hält sie nicht viel. Alle Versuche, sie zurückzuholen, blockt sie ab. Die letzten Jahre wird es stiller um sie. Auch als die FDP im September 2013 aus dem Bundestag fliegt, gibt es von ihr kein Wort. Dafür war Hamm-Brücher Dame genug.
Mit fast 95 Jahren zog sie - das rechte Bein locker über dem linken - in ihrer Münchner Wohnung noch einmal Bilanz: "Mein Leben hatte nichts zu wünschen übrig."