Bundespräsidentenwahl Linke nominiert gefragten Hartz-IV-Experten
Als Armutsforscher ist Christoph Butterwegge ein gefragter Experte. Bekannt ist er besonders für seine Kritik an Hartz IV (hier im Interview mit t-online.de: "Armut wird in Deutschland politisch gefördert"). Jetzt sorgt der Politikwissenschaftler aus ganz anderem Grund für Wirbel: Der parteilose Professor aus Köln wird aller Voraussicht nach für das höchste Staatsamt kandidieren - auf Wunsch der Linken.
Jedenfalls stehe er grundsätzlich bereit und werde sich am Montag den Führungsgremien der Partei vorstellen, sagt er. Dann will die Linkspartei den 65-Jährigen nominieren, um ihn am 12. Februar ins Rennen zu schicken - gegen Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), auf den sich Union und SPD als künftigen Bundespräsidenten geeinigt haben.
"Ja, ich lehne mich weit aus dem Fenster"
Doch Butterwegge hat keine Chance, ins Schloss Bellevue einzuziehen. Warum kandidiert er trotzdem?
"Ich würde eine Kandidatur nutzen, um mein zentrales Anliegen - die soziale Gerechtigkeit - in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses zu rücken", sagt Butterwegge. "Ja, ich lehne mich weit aus dem Fenster, aber ich könnte die Zeit bis zur Bundesversammlung nutzen, um deutlich auf die sich vertiefende Kluft zwischen Arm und Reich in unserem Land hinzuweisen."
Für Butterwegge steht einiges auf dem Spiel. "Das Risiko ist groß, dass ich nach der Wahl des Bundespräsidenten nur noch als unterlegener Kandidat gesehen werde und als Wissenschaftler weniger ernst genommen werde." Er will ein Zeichen setzen - und das wäre ihm den ungewöhnlichen Einsatz wert.
Forschungsschwerpunkt: Armut in allen Varianten
Schon 2012 hatte die Linkspartei Butterwegge gebeten, seinen Hut in den Ring zu werfen - damals gegen Joachim Gauck. Doch der Kölner gab den Linken kurzfristig einen Korb, als die Partei plötzlich noch mit zwei weiteren Namen - der Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld und der Bundestagsabgeordneten Luc Jochimsen - um die Ecke kam.
"Ich wollte nicht gegen zwei honorige Frauen kandidieren", erinnert sich der Politikwissenschaftler. Diesmal gibt es ganz offensichtlich nur ihn.
Butterwegge lehrt seit 1998 an der Uni Köln, am Institut für vergleichende Bildungsforschung und Sozialwissenschaften. Der renommierte Armutsforscher hat zahlreiche Bücher verfasst, darunter "Krise und Zukunft des Sozialstaates" (2014), "Hartz IV und die Folgen" (2015) oder "Armut in einem reichen Land" (2016).
Seine Schwerpunkte sind die Felder Kinderarmut, Entbehrung im Alter, soziale Ausgrenzung, die gesundheitlichen Folgen von Armut sowie das immer stärkere Auseinanderdriften von Mittellosen und Reichen. Von ihm stammt der Begriff "Paternoster-Effekt", der meint: "Die einen fahren noch oben, die anderen nach unten."
"Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung"
Butterwegge war mal SPD-Mitglied. Aus Protest gegen Hartz IV trat er 2005 aber aus. Er ist Gegner des umstrittenen Reformpakets "Agenda 2010", das auch Hartz IV umfasst und 2003 vom damaligen SPD-Bundeskanzler Gerhard Schröder verkündet worden war. Der Kölner geht hart ins Gericht mit der großen Koalition unter Angela Merkel (CDU). Sie betreibe "Reichtumsförderung statt Armutsbekämpfung". Der Mindestlohn ändere wenig an einem wachsenden Niedriglohnsektor.
Dass Steinmeier als Architekt der "Agenda 2010" gilt, dürfte Butterwegge zusätzlich antreiben, diesem die Bühne nicht ganz kampflos zu überlassen. Nach Ansicht der Linkspartei steht die "Agenda 2010", die für mehr Wachstum und Beschäftigung sorgen soll, für die Zerstörung des Sozialstaats. Und hier ist der parteilose Wissenschaftler ganz nah bei der Linkspartei.
Privat steht Butterwegge einer Politikerin der Linken sehr nahe: Seine Frau Carolin (42) saß 2010 bis 2012 für die Linksfraktion im nordrhein-westfälischen Landtag. Auch sie will wohl kandidieren - für die Landtagswahl im kommenden Mai. Die beiden haben zwei Kinder, einen einjährigen Sohn und eine acht Jahre alte Tochter. Der aus dem Münsterland stammende Forscher war in Bremen tätig, hatte auch Lehraufträge in Münster, Duisburg, Erfurt, Magdeburg oder Potsdam, bis er nach Köln kam. Seit August ist er pensioniert. Aber, wie er sagt: Angesichts seiner kleinen Kinder, vieler Publikationen und Vorträge "im Unruhezustand."