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AfD-Geheimtreffen mit Rechtsextremen: Alice Weidel widerspricht sich selbst


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AfD-Spitze nach Enthüllungen
Auf der Abschussliste


Aktualisiert am 17.01.2024Lesedauer: 6 Min.
Beobachtet auch von der eigenen Partei: Alice Weidel beim Statement am Dienstagnachmittag.Vergrößern des Bildes
Beobachtet auch von der eigenen Partei: Alice Weidel beim Statement am Dienstagnachmittag. (Quelle: Kay Nietfeld/dpa)

Der AfD-Vorstand will den Bericht über ein Treffen von AfD-Politikern mit Rechtsextremen herunterspielen und geht zum Gegenangriff über. Doch er verfängt sich in Widersprüchen.

Alice Weidel gibt sich entspannt, als sie am Dienstagnachmittag im Bundestag vor die Journalisten tritt. "Ist so voll heute, total überraschend", sagt sie mit Blick auf die gut ein Dutzend Kameras, die auf sie und Tino Chrupalla gerichtet sind. "Ist was passiert?" Sie lacht.

Auf das Statement, das die AfD-Chefin vor der wöchentlichen Sitzung der Fraktion abgeben wird, warten viele mit großer Spannung. Das gilt nicht nur für die Presse, sondern auch für Vertreter von Weidels eigener Partei, wie sich an der ungewöhnlich großen Anzahl von AfD-Abgeordneten zeigt, die sich dazugesellen: Stephan Brandner, Gottfried Curio, Stephan Protschka, Beatrix von Storch, Joachim Wundrak, Hannes Gnauck – sie alle wollen mit eigenen Ohren hören, was Weidel zu sagen hat.

Denn passiert ist in der vergangenen Woche viel: Das Recherchekollektiv "Correctiv" hat öffentlich gemacht, dass sich AfD-Politiker – darunter Weidels persönlicher Referent Roland Hartwig sowie Landtags- und Bundestagsabgeordnete – im November unter anderem mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner, Kopf der vom Verfassungsschutz beobachteten "Identitären Bewegung", in Potsdam getroffen haben. Dort sollen unter anderem Pläne besprochen worden sein, wie man Millionen Menschen – auch solche mit deutschem Pass – aus Deutschland vertreiben könnte.

In der AfD sind solche Gedanken seit Jahren weit verbreitet, in der Öffentlichkeit aber ist der Aufschrei erst jetzt groß. Weidel scheint daraus am Montagabend Konsequenzen gezogen zu haben: Der Vertrag mit Hartwig werde aufgelöst, "mit sofortiger Wirkung" und – angeblich – "in gegenseitigem Einvernehmen", wie ihr Sprecher mitgeteilt hat. Doch ihre Partei begehrt gegen diese Entscheidung auf: Viele finden diese Entscheidung falsch, schwach, sogar erbärmlich.

Super-GAU mit Blick auf den Verfassungsschutz

Deswegen ist das Statement heute für Weidel ein gefährlicher Drahtseilakt: Wie sehr beugt sie sich dem Druck der Öffentlichkeit, der Presse, der Angst vor dem Verfassungsschutz? Und wie sehr kuscht sie vor den extremen Kräften, die ihre Partei schon lange dominieren?

Aus Sicht von Presse, Verbänden, Wirtschaftsvertretern und Politikern aller anderen Parteien ist die Lage klar: Eindeutig rechtsextrem war die Besetzung des Treffens in Potsdam im November und die dort besprochenen Pläne für Massendeportationen auch von deutschen Staatsbürgern. Und offensichtlich verfassungswidrig. Das Treffen dürfte deswegen auch ein klarer Fall für den Verfassungsschutz sein, gegen dessen Einstufung als "rechtsextremer Verdachtsfall" sich die AfD-Spitze vor Gericht wehrt. In wenigen Wochen soll das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in die nächste Runde gehen.

Nicht nur AfD-Politiker, sondern auch noch Weidels rechte Hand, auf frischer Tat ertappt bei der Vernetzung mit Rechtsextremisten, die auf der pro forma geführten Unvereinbarkeitsliste der Partei stehen – das ist rein juristisch und aus PR-Perspektive zu diesem Zeitpunkt der Super-GAU für die AfD. Dem Bundesvorstand ist das wohl bewusst, am Montagabend haben sie in ihrer Sitzung darüber diskutiert.

Weidels Distanzierung? "Erbärmlich", heißt es in der AfD

In der Partei aber sieht man das – an der Basis ebenso wie bei Amtsträgern in hohen Funktionen – in der großen Mehrheit anders. Hier dominiert nicht die öffentliche Meinung, hier herrscht die Gegenöffentlichkeit. Hier hat man keine Probleme mit den Deportationsplänen oder mit dem Sellner-Treffen, viele in der AfD pflegen solche Kontakte schließlich selbst, beschäftigen sogar Mitglieder der "Identitären Bewegung".

Stattdessen ärgert man sich in der AfD mit Blick auf Hartwigs Entlassung über Weidels Schwäche, über ihr Einknicken vor der "Systempresse" und dem "linksgrünversifften Mainstream". Über "vorauseilenden Gehorsam", "ganz ohne Not", schimpfen Flügel-Vertreter – und darüber, dass der Bundesvorstand der Lage nicht gewachsen sei. "Erbärmlich", heißt es da, oder: "Nicht nachzuvollziehen."

Einmal mehr zeigt sich: In der AfD dominieren die Vertreter einer völkischen Ideologie schon lange die Strukturen, in Ost- wie in Westverbänden sind sie stark. Über die "Distanzeritis" des Bundesvorstands schimpft der mächtigste Strippenzieher unter ihnen, Thüringens AfD-Chef Björn Höcke, schon lange. Die Unvereinbarkeitsliste mit geächteten rechten Organisationen wollen seine Mitstreiter ganz streichen – und lieber ganz offen den Schulterschluss mit Köpfen wie Sellner üben, dessen Bücher sie schon jetzt lesen und öffentlich preisen.

Weidels Problem: Für sie sind diese Stimmen äußerst relevant. Schon lange bietet sie Rechtsextremen in der Partei nicht mehr offen die Stirn. Sie hat sich mit Björn Höcke arrangiert – sonst könnte sie nie dort sein, wo sie heute ist, heißt es in Parteikreisen. Und im Sommer stehen Vorstandswahlen an, in der Partei werden bereits Schattenkabinette geführt – und schon jetzt steht Weidel da bei vielen auf der Abschussliste, weil sie als zu konform, zu liberal, kurz: zu wenig radikal gilt.

Weidel schimpft über "DDR-Methoden"

Weidel also steht an diesem Dienstagnachmittag massiv unter Druck. Doch schon ehe sie vor den TV-Kameras den Mund öffnet, scheint ihre Entscheidung gefallen: für die Macht, für die Rechtsextremen, für den starken Flügel in ihrer Partei – und gegen den Kotau vor dem Verfassungsschutz, gegen die Demokratie. So jedenfalls wirkt sie, so jedenfalls wirken die Sätze, die nun folgen.

Sie spricht langsam, betont Wort für Wort: Unwahr sei, was das "linke Aktivisten-Netzwerk" "Correctiv" behaupte und die anderen Medien "ungeprüft" weiterverbreiteten – und das sei einer der "größten und ungeheuerlichsten Medien- und Politikskandale der Bundesrepublik", so ihr Auftakt. "Sehr geehrte Damen und Herren, das sind DDR-Methoden."

Das im November sei kein Geheimtreffen, sondern eine private Zusammenkunft gewesen, die von den "Correctiv"-Journalisten mit "Geheimdienstmethoden" infiltriert und ausspioniert worden sei. Absurd sei es, diesen "privaten Austausch" zu skandalisieren, absurd und gefährlich seien auch die NS-Vergleiche, die nun kursierten.

Der Umgang der AfD mit der "millionenfachen illegalen Migration seit 2015" werde nicht in solchen Treffen festgelegt, sondern in Parteitreffen und -gremien. Das erklärte Ziel der AfD sei dabei die Ausschöpfung aller "rechtsstaatlichen Mittel" – zum Beispiel Grenzkontrollen oder die Aberkennung unrechtmäßig erworbener Staatsbürgerschaften.

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Dabei gelte für die AfD auch: "Wer deutscher Staatsbürger ist, gehört ohne Frage zum deutschen Staatsvolk", so Weidel. Gerade deswegen aber dürfe die Staatsbürgerschaft eben nicht "verramscht" werden. Und so geht es weiter: Nichts sei dran an den Vorwürfen, alles Kampagne, Framing der Medien, der Regierung und des "sogenannten Verfassungsschutzes", gegen die immer stärker werdende Opposition.

Einige der AfD-Politiker, die Weidel lauschen, nicken zustimmend. Ein Pressevertreter lacht laut.

Zu Hartwig fallen nur zwei Sätze

Einen sehr offensichtlichen Widerspruch kann Weidel nicht auflösen, weil sie ihn selbst geliefert hat: Wenn so gar nichts stimmt an den Berichten, alles gelogen ist – warum hat sie sich dann von Hartwig getrennt, ihre rechte Hand ins Abseits befördert?

Hartwig gilt in der AfD schließlich als wichtige Kraft im Hintergrund für den Vorstand, als bestens vernetzt. Zuletzt hatte ihm die AfD-Spitze den wichtigen Job zugetraut, in den Reihen der Partei geeignetes Personal für Spitzenposten zu finden und schulen – eine der größten Schwachstellen der Partei.

Von selbst kommt Weidel gar nicht auf ihre Entscheidung zu sprechen. Nur eine Frage der Presse dazu beantwortet sie in aller Kürze nach ihrem Statement: "Sie liegen richtig, dass die Vertragsauflösung in Zusammenhang mit dem Treffen in Potsdam stattgefunden hat", sagt sie. Zum "guten gegenseitigen Einvernehmen" jedoch gehöre, dass sie sich nicht weiter über die Hintergründe äußere.

Zwei Sätze, keine Auflösung, der Widerspruch in Weidels Verhalten bleibt. Für die AfD-Spitze aber ist das nichts Ungewöhnliches, den Tanz auf dem Drahtseil muss sie schließlich ständig bewältigen. Die eigenen Parteimitglieder wie Wähler dürfte es kaum stören, wichtiger ist für viele von ihnen das deutliche Schimpfen auf Presse und andere Parteien, auf "Stasimethoden" und "linke Aktivisten".

Beendet sein werden die Diskussionen um das Treffen in Potsdam für die AfD-Spitze damit aber noch lange nicht. Nach Weidels Referent rücken nun jene in den Fokus, die ebenfalls an solchen Treffen teilgenommen haben – die Bundestagsabgeordnete Gerrit Huy und "Identitären"-Aktivist Mario Müller, Mitarbeiter des Abgeordneten Jan Wenzel Schmidt, gehören dazu. Und auch Weidels Co-Parteichef Tino Chrupalla soll bei einem früheren Treffen anwesend gewesen sein, sich dort mit potenziellen Geldgebern getroffen haben.

Chrupalla antwortet rabiat

Warum sollte für sie nicht gelten, was die AfD-Chefin für Hartwig als angebrachte Konsequenz sieht?

"Die Mitarbeiter eines Abgeordneten liegen in dessen Zuständigkeit", heißt es dazu von einem Sprecher der Fraktion lediglich, kurz bevor alle Abgeordneten in den AfD-Fraktionssaal strömen. Das Signal ist klar: Von der heutigen Sitzung sind vermutlich keine weiteren Konsequenzen zu erwarten.

Und Chrupalla fasst es, noch hinter dem Mikrofon an der blauen Wand, noch wesentlich rabiater: Mit wem er sich treffe, das gehe Journalisten "einen feuchten Kehricht" an, wettert er. Erst auf nochmalige Nachfrage erklärt er: "Wir sind Politiker, es gehört dazu, dass wir uns mit Unternehmen, mit Privatpersonen treffen, dass wir uns mit Politikern treffen aller Couleur", sagt er da.

Auch mit rechtsextremer Prominenz? Für die AfD-Spitze offensichtlich auch offiziell kein Problem mehr.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen
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