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Zum journalistischen Leitbild von t-online.SPD nach der Wahlschlappe Sie haben genug davon
Die SPD hat einen bitteren Wahlabend hinter sich. Einfach zur Tagesordnung überzugehen, halten die wenigsten für eine Option. Das könnte Nancy Faeser zu spüren bekommen – und Olaf Scholz.
Nancy Faeser versucht es beim Hereinkommen mit einem Lächeln, doch es will ihr nicht wirklich gelingen. Nicht heute, nicht nach diesem Wochenende, nicht nach dieser Niederlage ihrer SPD in Hessen. Neben ihr stehen an diesem trüben Montagmittag im Willy-Brandt-Haus der bayerische Spitzenkandidat Florian von Brunn und SPD-Chefin Saskia Esken. Sie probieren es erst gar nicht mit der guten Laune.
Für die SPD seien es "keine zufriedenstellenden Zahlen" in beiden Bundesländern, sagt Esken zu Beginn der Pressekonferenz. Man sei "hinter unseren Ansprüchen und hinter unserem Potenzial zurückgeblieben", und das trotz "engagierter Wahlkämpfe" mit "landespolitischen Themen und klarer Haltung".
Was Esken mit keinem Wort erwähnt: die bundespolitischen Themen und die – vorsichtig ausgedrückt – nicht immer klare Haltung der Ampelkoalition. Und auch Nancy Faesers schwierige Doppelrolle zwischen Bundesinnenministerium in Berlin und Wahlkampfzentrale in Wiesbaden spricht sie nicht an.
Dabei hat beides eine Rolle gespielt für die Ergebnisse, manche sagen: die entscheidende. Und beides wird die SPD noch länger beschäftigen. Viele in der Partei wollen nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Einige halten es für keine gute Idee, dass Nancy Faeser weitermacht in Berlin. Und vor allem wachsen die Zweifel am Kurs ihres Kanzlers.
Historisch miserabel
Für die SPD war es ein historischer Wahlabend der miserablen Sorte. So schlecht stand sie noch nie da, in Bayern nicht, und in Hessen auch nicht. Ganz furchtbar seien die Zahlen, sagt einer noch am Abend. In Bayern warnen die ersten, dass inzwischen die Fünfprozenthürde gefährlich nahe komme, wohl nur halb im Scherz. Dort hatte man mit einer deutlichen Niederlage gerechnet. Besonders bitter ist das Ergebnis in Hessen.
Es war zwar klar, dass auch für Nancy Faeser die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Aber dass sie sogar deutlich gestutzt werden, ist für viele in der SPD nicht nur schmerzhaft, sondern ein Alarmsignal. Wer die Doppelfunktion Faesers von Beginn an für eine schlechte Idee hielt, sieht sich nun bestätigt.
Auch Faeser gesteht am Montag das Offensichtliche ein. "Ich habe in den letzten Monaten mehr als 200 Prozent gegeben", sagt sie. "Aber natürlich hat mein Amt als Bundesministerin viel an Polarisierung und Gegenwind mit sich gebracht." Weitermachen will sie als Innenministerin nach wie vor, auch das macht sie klar. Trotz der größeren und kleineren Pannen, im Wahlkampf und im Innenministerium.
SPD-Chefin Saskia Esken versucht, die Zweifel an Faeser mit überschwänglichem Lob vergessen zu machen. Sie habe "eine großartige Arbeit gemacht" als Innenministerin und "viel mehr erreicht als ihre Vorgänger", auch während des Wahlkampfs. Es gebe deshalb keinen Grund, etwas zu ändern.
"Eine 'Lame Duck'"
So euphorisch sind natürlich nicht alle. Die Opposition sieht ihre Chance gekommen, Faeser das Leben schwer zu machen. "Frau Faeser hat das Vertrauen der Menschen in Hessen und in ganz Deutschland verloren", sagt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Union, t-online. "Sie ist in Hessen gescheitert und im Bund eine 'Lame Duck'."
Schon diese Nebengeräusche sind für Faeser unangenehm genug. Zumal sie mit der Migrationspolitik eine hochkomplexe Aufgabe vor sich hat, bei der sich Verbesserungen eher in Trippelschritten erreichen lassen. Und bei der Faeser nie alle glücklich machen wird. Hinzu kommt, dass selbst in der SPD einige finden, dass sie als Bundesinnenministerin eigentlich nicht zu halten ist.
Eine der freundlicheren Deutungen in der SPD zu Faeser und der Bilanz ihrer Doppelrolle lautet hinter vorgehaltener Hand: Hinterher ist man immer schlauer. War nichts, aber was nützt das Klagen, soll das wohl heißen. In der Ampelkoalition werde sie nun aber gerade in der Migrationspolitik gebraucht.
Die andere Deutung formuliert noch am Wahlabend ein SPD-Bundestagsabgeordneter: "Nancy Faeser würde sich einen Gefallen tun, wenn sie versucht, Ministerin in Hessen zu werden."
Es soll wohl als gesichtswahrender Ausweg gedacht sein. Wahrscheinlich aber scheint das derzeit nicht zu sein. Faeser selbst müsste sich dafür doch noch umentscheiden. Die SPD in Hessen müsste der CDU ein besseres Angebot machen als die Grünen, mit der die Christdemokraten seit zehn Jahren regieren. Und dann bräuchte es in Berlin eine Regierungsumbildung, was der Kanzler unbedingt vermeiden will.
Schwierig. Daran ändert wohl auch nichts, dass in der SPD nun fleißig mögliche Ersatzinnenminister gestreut werden. Arbeitsminister Hubertus Heil etwa oder Fraktionsvize Dirk Wiese. Beides jedoch brächte eine größere Kabinettsumbildung mit sich, schon um die Parität zwischen Frauen und Männern nicht komplett aufzugeben.
Die SPD wird nervös
Doch das Problem der SPD ist ohnehin größer als Nancy Faeser, deutlich größer. Die SPD, die sich nach Jahren der Selbstzerfleischung in den ersten Ampeljahren erstaunlich geräuschlos hinter ihrem Kanzler versammelt hatte, wird langsam wieder nervös. Denn der Erfolg, den Scholz versprochen und gebracht hatte, bleibt nun immer häufiger aus.
Die Strategie der SPD, die vor allem eine Scholz-Strategie ist, war von Beginn an recht simpel und ließe sich norddeutsch knapp so zusammenfassen: Ordentlich regieren und dann passt das schon. Von einer guten, soliden Regierungsarbeit, so das Kalkül, werde automatisch die Partei des Bundeskanzlers profitieren. So wie bei Angela Merkel auch.
Inzwischen verliert der Glaube daran mit jeder Wahlniederlage weitere Anhänger. Und damit auch der Glaube an Scholz. Immerhin ist die nächste Bundestagswahl nur noch knapp zwei Jahre entfernt. Und ein schlechtes Ergebnis dort würde für einige in der Fraktion bedeuten, sich neue Jobs suchen zu müssen.
Schon am Wahlabend hatte Kevin Kühnert angedeutet, dass sich etwas ändern muss, so deutlich, wie sich der einstige Parteirebell das in seiner Rolle als Generalsekretär erlauben kann. "Wir haben gespürt", sagte er da in die ARD-Kamera, "dass die allgemeine Stimmungslage den Menschen aufs Gemüt drückt und dass mehr Orientierung erforderlich ist."
Mehr Orientierung. In der SPD machen sie sich keine Illusionen darüber, dass die auch und vor allem von ihrer prominentesten Figur kommen muss: dem Kanzler. Die SPD müsse sichtbarer werden in der Regierung, das ist es inzwischen, worauf die meisten Gespräche mit Genossen hinauslaufen. Egal ob sie sich dem linken oder dem rechten Parteiflügel zurechnen.
"Die Wahlen haben gezeigt, dass es schiefgeht, wenn die Ampelparteien sich gegeneinander profilieren", sagt Dirk Wiese t-online, Chef des konservativen Seeheimer Kreises in der SPD. "Wir müssen gemeinsam deutlich machen, was die Ampel alles erreicht. Auch wir als SPD müssen das stärker tun."
SPD-Politiker Sebastian Roloff, Chef des Forums Demokratische Linke 21, wird noch deutlicher: "Die SPD und ihre Erfolge müssen noch sichtbarer werden in dieser Koalition", sagt er t-online. "Die Schiedsrichterrolle einzunehmen im Streit zwischen Grünen und FDP, reicht nicht aus."
Da darf sich jemand angesprochen fühlen.
- Eigene Recherchen und Beobachtungen