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Integrationsforscher erklärt Arbeitssituation für Geflüchtete in Deutschland


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Arbeitsmarktforscher im Interview
Wohnungszwang ist "Gift für die Integration"

InterviewVon Lucas Maier

Aktualisiert am 14.10.2023Lesedauer: 5 Min.
Geflüchtete aus der Ukraine warten vor dem Hamburger Amt für Migration (Archivbild): Im Gegensatz zu anderen Geflüchteten können Menschen aus der Ukraine in Deutschland einfacher in Arbeit kommen.Vergrößern des Bildes
Geflüchtete aus der Ukraine warten vor dem Hamburger Amt für Migration (Archivbild): Im Gegensatz zu anderen Geflüchteten können Menschen aus der Ukraine in Deutschland einfacher in Arbeit kommen. (Quelle: Hanno Bode/imago-images-bilder)

Derzeit wird in Deutschland breit über die Situation von Geflüchteten auf dem Arbeitsmarkt diskutiert. t-online hat mit dem Arbeitsmarktforscher Prof. Dr. Herbert Brücker über die Situation gesprochen.

Im ersten Halbjahr 2023 ist die Zahl der Asylanträge im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 77 Prozent gestiegen. Hinzu kommen die Schutzsuchenden aus der Ukraine. Die Zahl der Erstanträge auf Asyl überstieg in der ersten Jahreshälfte 204.000. Vor dem russischen Angriff auf die Ukraine flohen bis August 2023 rund 1,1 Millionen Menschen in die Bundesrepublik, wie eine Auswertung des Bundesinnenministeriums zeigt.

Der momentan hohe Zuzug nach Deutschland löste zuletzt eine breite Debatte in Politik und Öffentlichkeit aus. Ein Kernpunkt der Diskussion ist die Arbeitsmarktintegration der Geflüchteten. Im Interview mit t-online ordnete der Arbeitsmarktforscher Herbert Brücker vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit die Zugänglichkeit des deutschen Arbeitsmarkts ein.

t-online: Herr Brücker, wo verorten Sie Deutschland im europäischen Vergleich, bezüglich der Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten?

Herbert Brücker: Das ist keine ganz leichte Frage. Von denjenigen, die 2015 nach Deutschland gekommen sind, waren im Jahr 2021 54 Prozent erwerbstätig. Inzwischen schätzen wir den Anteil auf rund 60 Prozent. Im europäischen Vergleich ist diese Quote relativ hoch. Ähnlich hohe Niveaus sehen wir derzeit in Österreich oder in Norwegen.

Wie sieht es in anderen Ländern aus?

In vielen anderen Ländern, wie zum Beispiel Schweden oder Dänemark, zeichnen sich eher geringere Quoten ab. Leider gibt es keine konkreten Daten zum europaweiten Vergleich. Aber aus den Informationen, die uns vorliegen, schließen wir, dass die deutschen Quoten im internationalen Vergleich deutlich überdurchschnittlich sind.

Was hat aus ihrer Sicht zu den augenscheinlich guten Beschäftigungsquoten in Deutschland geführt?

Wir haben relativ viel investiert, unter anderem in Sprachprogramme und Integrationskurse. Aber auch in Bildung und Ausbildung für Geflüchtete sowie weiterführende Sprachprogramme. Bis sich die Effekte solcher Investitionen zeigen, braucht es natürlich einige Zeit. Aber mittlerweile sehen wir diese Effekte. Andere Länder setzen, anders als Deutschland, eher auf eine schnelle Integration in den Arbeitsmarkt. Das kann zwar kurzfristig zu höheren Beschäftigungsquoten führen, aber langfristig zeichnen sich dadurch eher niedrigere Quoten und prekäre Beschäftigungsverhältnisse ab.

Prof. Dr. Herbert Brücker: Er forscht zu Integration und Arbeitsmarkt.
Prof. Dr. Herbert Brücker: Er forscht zu Integration und Arbeitsmarkt. (Quelle: Wolfram Murr / Photofabrik)

Zur Person

Seit 2005 leitet Herbert Brücker den Forschungsbereich "Migration, Integration und internationale Arbeitsmarktforschung" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB). Außerdem ist Brücker seit 2018 Professor für Volkswirtschaftslehre an der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er auch das Berliner Institut für empirische Integrations- und Migrationsforschung (BIM) leitet. Er forscht zu internationaler Migration, Integration sowie zum internationalen Arbeitsmarkt.

Infolge der hohen Zahlen an Geflüchteten in den Jahren 2015 und 2016 wurde in Deutschland das Asylrecht geändert. Welche Veränderungen wären in der aktuellen Situation aus ihrer Sicht sinnvoll?

Aktuell würde der Arbeitsmarkt von mehreren Anpassungen im Asylbereich profitieren. Die Länge der Asylverfahren ist schädlich für die Arbeitsmarktintegration. Während eines laufenden Verfahrens haben die Menschen eine relativ geringe Chance, im Arbeitsmarkt unterzukommen. Wir sehen, dass die Beschäftigungsquoten steigen, sobald die Verfahren abgeschlossen sind. Aus der Forschung wissen wir außerdem, dass Menschen, die in langen Asylverfahren waren, auch langfristig schlechtere Beschäftigungschancen haben. Die Länge der Asylverfahren hat also nicht nur einen Effekt auf die kurzfristige Entwicklung. In den Jahren 2016/17 haben wir in Deutschland die Asylverfahren deutlich beschleunigt. Anfangs waren diese dann zwar immer noch sehr lang. Aber als die Anzahl der Asylsuchenden in den Folgejahren sank, führten die Anpassungen zu schnelleren Verfahren. Aktuell steigt die Dauer der Asylverfahren wieder. Das stellt natürlich einen Nachteil für die Arbeitsmarktintegration dar. Insofern wäre es sehr wichtig, dass jetzt die Kapazitäten beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) da entsprechend angepasst werden und wir zu schnelleren Asylentscheidungen kommen.

Wo bräuchte es weitere Veränderungen?

Ein anderer Punkt, der aktuell auch breit diskutiert wird, sind die Beschäftigungsverbote. In den ersten drei Monaten nach dem Zuzug gilt in Deutschland ein absolutes Beschäftigungsverbot für Asylsuchende. Außerdem besteht ein grundsätzliches Beschäftigungsverbot für Menschen, die zum Leben in Gemeinschaftsunterkünften verpflichtet sind. Allerdings kann die Beschäftigung nach den drei Monaten erlaubt werden.

Was würde ein Ende des Verbots bedeuten?

Wir können nicht mit einem sprunghaften Anstieg, etwa auf 50 Prozent, rechnen. Die meisten Geflüchteten müssen erst Integrationskurse und andere Integrationsprogramme absolvieren. In den ersten ein bis zwei Jahren nach dem Zuzug könnte man, ähnlich wie bei den ukrainischen Geflüchteten, wohl eher mit einer Erhöhung der Beschäftigungsquoten um zehn, maximal zwanzig Prozentpunkte rechnen. Insofern wäre die Abschaffung der Beschäftigungsverbote durchaus ein hilfreicher Schritt. Aber ich warne vor überzogenen Erwartungen.

Seit Februar 2022 kommen auch vermehrt Schutzsuchende aus der Ukraine nach Deutschland. Diese sind von Asylanträgen befreit. Was kann Deutschland aus dieser Sondersituation für den allgemeinen Zuzug in den Arbeitsmarkt lernen?

Es ist so, dass wir Anfang des Jahres im Bereich der ukrainischen Geflüchteten eine Erwerbstätigenquote von 18 Prozent gehabt haben. Bei den Geflüchteten, die bereits seit zwölf Monaten in Deutschland waren, lag die Quote sogar bei 28 Prozent. Die Arbeitsmarktintegration ist also schneller gegangen als bei Geflüchteten aus anderen Ländern. Die Quoten sind nicht astronomisch, aber es läuft im Allgemeinen schneller und besser. Aus unseren Befragungen wissen wir etwa, dass diejenigen, die momentan nicht erwerbstätig sind, sich zu 70 Prozent in Integrationskursen, Sprachkursen oder in Ausbildungen oder anderen Bildungsmaßnahmen befinden. Wenn Menschen schnell in Integrationsprogramme kommen, wirkt sich das auch positiv auf die Arbeitsmarktintegration aus. Nach Abschluss der Programme steigt die Beschäftigungsquote schnell. Je schneller wir Geflüchtete in Integrationsprogramme bringen und ihnen diese Angebote machen, umso besser ist es am Ende für die Arbeitsmarktintegration. Dann verlieren wir auch weniger Zeit.

Das ist allerdings nicht die einzige Regelung, in der sich die Behandlung von Ukrainern und anderen Asylsuchenden unterscheidet.

Die Menschen aus der Ukraine müssen nur dann in Gemeinschaftsunterkünften leben, wenn sie keine private Unterkunft finden. Sie durften von Beginn an bei Freunden, Bekannten oder in einer eigenen Wohnung unterkommen. Dies hat zur Folge, dass derzeit weniger als 9 Prozent der Geflüchteten aus der Ukraine in Gemeinschaftsunterkünften wohnen. Das ist ein sehr geringer Anteil. Geflüchtete aus anderen Staaten sind im Unterschied dazu zum Leben in einer Unterkunft grundsätzlich verpflichtet. Das belastet die Kommunen und Länder.

Resultieren aus der freien Wohnungswahl auch Effekte auf die Arbeitsmarktintegration?

Ein Vorteil der freien Wohnungswahl ist, dass die Menschen dann auch eher in prosperierende Regionen ziehen können. Andere Asylsuchende werden im Gegensatz hierzu überdurchschnittlich häufig in Regionen mit besonders hoher Arbeitslosigkeit untergebracht. Das ist Gift für die Integration. Wenn man die Herangehensweise bei den Geflüchteten aus der Ukraine auf andere Geflüchtete übertragen würden, dann könnte man die Probleme, die wir aktuell bei der Wohnraumversorgung haben, spürbar senken. Natürlich müssten die Kosten für das selbstständige Wohnen dann auch den Sätzen entsprechen, die im Asylbewerberleistungsgesetz für Wohnen vorgesehen sind. Mit einem solchen Schritt könnten wir auch die Chancen auf Arbeitsmarktintegration erhöhen, weil die Menschen dann dorthin ziehen, wo die Beschäftigungssituation oder die Aussichten eben günstiger sind. Da könnten wir es uns deutlich einfacher machen.

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Von welchen EU-Staaten kann Deutschland aktuell in puncto Arbeitsmarktzugang für Geflüchtete lernen?

Mit einer solchen Einschätzung wäre ich sehr vorsichtig. Was ich aber sagen kann ist, dass wir in der EU einige Länder haben, die sehr ähnlich vorgehen. Andere Staaten setzen auf ein geringeres Leistungsniveau. Dort zeichnen sich anfänglich höhere Beschäftigungsquoten in der Gruppe der ukrainischen Geflüchteten ab, aber auch viele prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Bei den anderen Asylbewerbenden fallen die Quoten in diesen Ländern allerdings häufig eher gering aus. Aber auch hier ist eine konkrete Bewertung eher schwierig. Dänemark hat beispielsweise viel niedrigere Beschäftigungsquoten bei Asylsuchenden als Deutschland. Bei Menschen aus der Ukraine liegt diese dort allerdings höher als in der Bundesrepublik.

Mein Eindruck ist, dass Deutschland im internationalen Vergleich eigentlich ganz gute Bedingungen für die Arbeitsmarktintegration von Schutzsuchenden schafft. Natürlich gibt es noch Luft nach oben. Aber ich denke, wir stehen ganz gut da.

Herr Brücker, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • de.statista.com: "Gesamtzahl der offiziell gezählten Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine in Deutschland von März 2022 bis August 2023"
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