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Hochstapler-Affäre in der AfD: Vorstand lässt alle Kandidaten überprüfen


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Vorstand lässt alle Kandidaten überprüfen
Hochstapler-Affäre erschüttert AfD


Aktualisiert am 21.08.2023Lesedauer: 4 Min.
Alice Weidel (l) und Tino Chrupalla, Parteivorsitzende der AfD (Archivbild): Ihre Partei legt in Umfragen zu.Vergrößern des Bildes
Alice Weidel (l.) und Tino Chrupalla, Parteivorsitzende der AfD (Archivbild): Die Parteibasis setzt sie und ihre Kandidaten unter Druck. (Quelle: RAINER UNKEL/imago-images-bilder)

Ein von t-online enttarnter Hochstapler unter den AfD-Europakandidaten lässt die Parteibasis rebellieren. Der Vorstand muss handeln und lässt sich Zeugnisse vorlegen. Doch Schlupflöcher bleiben.

Wochenlang hat die AfD-Spitze um Alice Weidel und Tino Chrupalla geschwiegen, nun wird der Druck der Basis zu groß. Nachdem t-online zahlreiche Falschangaben im Lebenslauf eines Europakandidaten der Partei aufgedeckt hat, sollen alle Nominierten für die EU-Parlamentswahl Nachweise über ihre akademischen und beruflichen Qualifikationen und weitere Lebenslaufangaben erbringen. Das hat laut mehrerer Quellen in Parteikreisen am Montagmorgen der AfD-Bundesvorstand beschlossen. Grund für den Beschluss ist der zunehmende Druck von der Basis, die Parteispitze solle verhindern, dass Hochstapler ins Europaparlament einziehen.

Gerüchte um weitere Ungereimtheiten

Für die AfD-Spitze ist die Lage unbequem: Nicht nur ist Kandidat Arno Bausemer aus Sachsen-Anhalt bereits überführt, auch an den Angaben von Mary Khan-Hohloch zu ihrem Studienabschluss haben viele Parteimitglieder und sogar Funktionäre Zweifel. Viele spekulieren, dass bei eingehender Überprüfung noch bei weiteren Kandidaten Unwahrheiten ans Licht kämen. Offenbar scheinen Weidel und Chrupalla deswegen zu einem Winkelzug greifen zu wollen.

Anstatt beide Kandidaten einer eindringlichen Prüfung zu unterziehen, sollen nun zwar sogar alle 35 überprüft werden – aber nur auf ihre Berufs- und Studienabschlüsse hin sowie auf Angaben, die sie in ihren Reden während der Europawahlversammlung getätigt haben. Und nicht auf alle Lebenslaufangaben, wie Quellen zunächst berichtet hatten.* Das könnte den bereits enttarnten Hochstapler Bausemer sogar schützen, denn seine Falschangaben machte er hauptsächlich im weiteren Lebenslauf, der nicht überprüft werden soll.

Beispielsweise Bausemers irreführende Arbeitsreferenzen und seine Falschbehauptung, er habe über viele Jahre als "Geschäftsführer" eines landwirtschaftlichen Betriebs gearbeitet, sind so offenbar nicht Gegenstand der Untersuchung. Hinsichtlich der angeblich abgeschlossenen Ausbildung könnte sich Bausemer darauf zurückziehen, dass es in Deutschland keine gesetzlichen Ausbildungsbezeichnungen für Journalisten gibt – obwohl sein vermeintlicher Ausbildungsbetrieb und seine damalige Universität die von ihm angegebene Qualifikation bestreiten.

Auch Schützenhilfe für Khan-Hohloch?

Auch Mary Khan-Hohloch wird durch den Beschluss zum Teil geschützt, nicht allen Vorwürfen gegen sie wird so auf den Grund gegangen. Zwar muss Khan-Hohloch nachweisen, dass sie ein Studium der Religionswissenschaften sowie Öffentliches Recht mit Schwerpunkt Europarecht absolviert hat, wie sie in ihrer Bewerbungsrede in Magdeburg behauptete. Sie muss muss aber nicht belegen, dass sie über vier Jahre Berufserfahrung außerhalb der Politik verfügt – obwohl das eine weitere Pflichtfrage für Bewerber auf der Europawahlversammlung war.

Khan-Hohlochs Antwort auf diese Frage wurde in Magdeburg prominent für die 600 Delegierten eingeblendet und bald nach ihrer Wahl von Parteikollegen ebenso angezweifelt wie ihr Studienabschluss. Schließlich sei sie schon sehr früh und stark politisch aktiv gewesen, hieß es – zum Beispiel für die Junge Alternative, die Jugendorganisation der AfD, und habe für Parteichefin Alice Weidel gearbeitet.

Eine heikle Angelegenheit

Die 35 Nominierten sollen die Dokumente bis zum 11. September den Vertrauenspersonen der Wahlleitung und dem Bundesgeschäftsführer vorlegen, wie aus dem Wortlaut des Beschlusses hervorgeht, der t-online vorliegt. Wie mit Kandidaten verfahren wird, deren Angaben sich als falsch erweisen, bleibt einstweilen offen.

Ein weiterer Vorteil wäre: Käme man zum Schluss, alles gehe bei den Angaben mit rechten Dingen zu, könnte die Partei die Hochstapler-Affäre möglicherweise sogar für die Öffentlichkeitsarbeit nutzen. "Die Mitglieder haben ein Recht auf Aufklärung", sagte ein AfD-Mitglied, das auch auf der Liste zur Europawahl steht. Wenn es Zweifel an der korrekten Beantwortung der Pflichtfragen gebe, sei eine Überprüfung die "konsequente Folge". Es gehe um die Glaubwürdigkeit der Partei, und es sei "schade, dass es so weit kommen musste".

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Das Thema ist sowohl politisch als auch organisatorisch heikel: Die AfD legte bislang größten Wert darauf, dass Kandidaten abgeschlossene Berufs- oder Studienabschlüsse aufweisen und mindestens fünf Jahre außerhalb der Politik gearbeitet haben. Das nutzte der Außendarstellung der Partei und machte es möglich, beispielsweise Studienabbrüche bei politischen Gegnern zu skandalisieren. Deswegen gilt es besonders an der Basis als "parteischädigend", sollten tatsächlich gleich mehrere Kandidaten dabei ertappt werden, Unwahrheiten über die eigene Qualifikation zu verbreiten.

Muss die Liste neu gewählt werden?

Mit der Hochstapelei stellt sich allerdings ein womöglich noch größeres Problem: Aus Kreisen des AfD-Vorstands verlautet, wenn ein Kandidat von der Liste zur Europawahl flöge, sei noch unklar, wie es weitergehe. Möglicherweise könnte der jeweilige Platz nachgewählt werden, möglicherweise müsste aber auch die gesamte Liste ab diesem Platz neu gewählt werden. Für die Partei wäre das ein Desaster.

Bausemer wurde auf den aussichtsreichen Listenplatz 10 gewählt, Khan-Hohloch auf 14 gesetzt. Mehr als zwei Drittel der Liste wären also hinfällig, und es müsste erneut eine Versammlung einberufen werden, die Zeit und Geld in Anspruch nähme. Anders sähe es vermutlich nur aus, wenn Kandidaten freiwillig auf ihren Platz verzichteten. Doch es ist fraglich, ob sie das täten.

Bislang hat Bausemer gegenüber der Magdeburger Regionalzeitung "Volksstimme" eingeräumt, nicht wie angegeben als "Geschäftsführer" gearbeitet zu haben. Trotz anderslautender Angaben des MDR und der damaligen Studienordnung rückt er in einem parteinahen Medium hingegen nicht von der Behauptung ab, seine Ausbildung abgeschlossen zu haben. Dass ihm nach wenigen Wochen bei einer anderen Zeitung in der Ausbildung gekündigt wurde, stellt er noch immer als "weitere berufliche Station" dar. Bliebe es dabei: Die AfD schickte mindestens einen Hochstapler ins Parlament.

Verwendete Quellen
  • * Update, 21.8.2023, 20.29 Uhr: Mehrere Quellen berichteten am Morgen, "alle" Lebenslaufangaben sollten überprüft werden. Tatsächlich wurde beschlossen, nur die mündlich auf der Europawahlversammlung referierten zu überprüfen. t-online hat die Berichterstattung am Abend angepasst.
  • Eigene Recherchen
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