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AfD-Parteitag versinkt im Chaos: "Völlig disziplinlos"


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AfD-Parteitag
"Das ist doch total irre"


Aktualisiert am 31.07.2023Lesedauer: 6 Min.
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Björn Höcke: Im Chaos auf der AfD-Europawahlversammlung lässt auch der mächtige Thüringer AfD-Chef Federn. (Quelle: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Die AfD reitet auf einer Erfolgswelle, will angeblich einen Kanzlerkandidaten stellen. Doch auf ihrem Parteitag in Magdeburg herrscht zeitweise Chaos pur.

Ab 18 Uhr am Samstag ist die Stimmung bei der Europawahlversammlung der AfD am Tiefpunkt. Landeschefs gehen kopfschüttelnd durch die Magdeburger Messehalle, manch Delegierter packt seine Sachen und flieht an die Hotelbar. Dabei ist noch lange nicht Schluss. Denn die AfD hat nach stundenlangen Debatten noch nicht einmal eine Handvoll Kandidaten für ihre Liste für die Europawahl 2024 aufgestellt.

Viel zu wenig, weit hinter dem Zeitplan. Die Partei aber kommt nicht weiter. Immer wieder scheitert sie an sich selbst.

"Bekloppt", sagt ein Delegierter. "Völlig disziplinlos", ein anderer. "Die haben uns veräppelt", schimpft einer, der gerne auf die Liste gekommen wäre. Mit Abstand am häufigsten aber fällt von den Delegierten und Funktionären der Satz: "Das ist doch total irre."

Goebbels 2.0?

Dabei war der Tag aus AfD-Sicht gut gestartet. Mit einer deutlichen Mehrheit von 65,7 Prozent wird der Sachse und Höcke-Freund Maximilian Krah am Mittag als Spitzenkandidat für die EU-Wahl gekürt. Krah ist im rechtsextremen Lager bestens vernetzt, als Spitzenkandidat wegen diverser Skandale aber hochumstritten. Aussichtsreiche Gegenkandidaten und ein harter Konkurrenzkampf aber bleiben aus – anders als zuvor erwartet.

Auch die Wahl für den zweiten Listenplatz läuft noch reibungslos. Mit Petr Bystron kandidiert der außenpolitische Sprecher der AfD im Bundestag. Er bewirbt sich mit einer Rede, die voller antisemitischer und verschwörungstheoretischer Schlagworte ist, wettert gegen das "Gift aus Brüssel" und "Globalisten" im EU-Parlament, die heimliche Absprachen träfen, gegen George Soros und Bill Gates. "Wir kämpfen gegen die Kriegstreiber, die Globalisten, die uns zwangsimpfen wollen, enteignen wollen, versklaven wollen", ruft er.

Sogar einigen in der Messehalle ist das zu viel. Als "Sportpalastrede" bezeichnet einer unter der Hand Bystrons Rede – in Anlehnung an die berühmte Rede von Hitlers Chefpropagandist Joseph Goebbels. "Mini-Sportpalast", sagen andere – Bystron fehle das Format, der Inhalt.

Aber geschenkt: Bystron bleibt ohne Gegenkandidat und die knapp 550 Delegierten wählen ihn zu 82,4 Prozent auf den aussichtsreichen Listenplatz 2.

Nach Jahren des Richtungsstreits zwischen eher wirtschaftsliberalem und völkischem Lager scheint bis hierher für AfD-Verhältnisse alles ungewohnt einträchtig. Völkisch und möglichst radikal – auf diesen Nenner scheint man sich gut einigen zu können.

Am Nachmittag bricht das Chaos aus

Danach aber bricht das Chaos aus – und es zeigt sich deutlich: Nur weil die ideologische Richtung stimmt, muss man noch lange nicht an einem Strang ziehen.

Immer wieder kandidieren mehrere Personen gegeneinander. Kein Problem, das ist in der AfD explizit erwünscht. Immer wieder aber erreicht keiner der Kandidaten die nötige Mehrheit von 50 Prozent, immer wieder müssen deshalb Wahlgänge wiederholt werden. Zum ersten, zum zweiten, sogar zum dritten und vierten Mal. Und immer wieder verpassen die Delegierten allen vorgeschlagenen Kandidaten einen Denkzettel und setzen ihr Kreuz nicht bei einem Namen, sondern der Option "Nein zu allen".

 
 
 
 
 
 
 

Je später der Abend, desto verfahrener wird die Situation, desto häufiger fallen alle Kandidaten durch, desto schlechter wird die Stimmung im Saal. Man kommt über Stunden nicht voran, statt wie geplant um 20 Uhr, macht man erst um 23.30 Schluss – und hat doch nicht einmal sechs Kandidaten gesetzt. Die AfD blockiert sich selbst.

Noch während die Abstimmungen laufen, fängt im Saal das Rätselraten und Fingerzeigen an: Was läuft hier gerade schief? Wer hat Schuld am Chaos, das die AfD ausgerechnet auf der aktuellen Erfolgswelle in so schlechtem Licht dastehen lässt? Chaos, das nicht den Eindruck erweckt, dass die AfD Deutschland regieren könne, wie es die Parteispitze in den jüngsten Wochen immer wieder propagiert hat – sondern sich vielmehr nicht einmal selbst gemanagt bekommt?

Hinterzimmer statt Basisdemokratie

Um zu verstehen, was da schiefläuft, muss man wissen, wie die AfD auf Parteitagen tickt. Die AfD hat den Anspruch, vieles anders zu machen als die anderen Parteien, die sie "Altparteien" schimpft – auch auf ihren Parteitagen. Mehr Basisdemokratie, weniger Hinterzimmer-Absprachen. Jeder, der will, soll kandidieren können – so das postulierte Credo.

Das allerdings ist in der Realität kaum umzusetzen. Weil auf die mindestens 25 Listenplätze, die die AfD für die EU-Wahl vergeben will, Hunderte Kandidaten kommen könnten. Und seien sie noch so unbekannt, ihre Kandidatur noch so aussichtslos: Sieben Minuten Redezeit stehen jedem Kandidaten zu, zwei Fragen werden ihm aus dem Plenum gestellt, nach der Vorstellungsrunde für jeden einzelnen Listenplatz stimmen rund 600 Delegierte schriftlich hinter Pappaufstellern an ihrem Platz ab. Ohne Vorabsprachen droht so ein Parteitag, der unendlich dauert.

Und einer mit extrem hohen Kosten. Wie viel der Parteitag in Magdeburg kostet, will der AfD-Vorstand auf Anfrage nicht verraten. Delegierte spekulieren über eine Million Euro pro Tag, wahrscheinlicher sind es mehrere Hunderttausend insgesamt. Klar ist: Die Kosten für die fünf Tage, die die AfD anberaumt hat, sind enorm. Und von Anfang an stand unter Funktionären die Befürchtung im Raum: Fünf Tage könnten nicht einmal reichen.

Deshalb gibt es bei der AfD eben doch Hinterzimmer-Absprachen im Voraus. Deshalb werden eben doch Kandidatenlisten erstellt, auf die sich mehrere und im Optimalfall alle Landesverbände vorab einigen. Deswegen ist vieles eben doch ein abgekartetes Spiel und läuft vieles eben doch wie bei den "Altparteien" – oder soll es zumindest, für einen reibungslosen Ablauf.

"Graf Koks" und der "große Zampano" scheitern

Ein Grundproblem der AfD am Samstag aber ist: Es hat vorab zu viele unterschiedliche Absprachen gegeben – und immer wieder gesellen sich freie Radikale dazu, die auf eigene Faust handeln. Die Disziplin sei zu schwach, die Begehrlichkeiten auf die gut dotierten Ämter in Brüssel zu hoch, so fassen es Delegierte zusammen.

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Gleich zwei unterschiedliche Listen waren vorab abgestimmt worden. Die Treiber hinter den Listen waren, so schildern es Delegierte t-online übereinstimmend, auf der einen Seite der AfD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Münzenmaier aus Rheinland-Pfalz. Auf der anderen Seite die Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider und der niedersächsische Landeschef Frank Rinck. Das Höcke-Lager soll außerdem noch einmal eigene Pläne verfolgt haben.

Rinck sei unerfahren und frisch als Parteichef, als wenig sympathisch beschreiben ihn viele in der Halle. Vor dem Parteitag habe er sich aufgespielt wie "Graf Koks" und offenbar geglaubt, er habe alle Landesverbände bei seinem Plan hinter sich. Weit gefehlt, die Delegierten lassen ihn auflaufen.

Und auch der sonst so starke Höcke lässt Federn: Gegen den von ihm persönlich vorgeschlagenen Kandidaten René Aust aus Thüringen für Listenplatz 3 nominiert ausgerechnet der sächsische Landeschef Jörg Urban eine Gegenkandidatin. Ein Affront gegen Höcke – aus dem eigenen, dem ostdeutschen Lager. Und dabei bleibt es nicht: Im Laufe des Abends fallen weitere Favoriten aus Höckes Lager durch.

Höcke, der als mächtiger Treiber hinter den Kulissen gilt, der sonst gerade auf Parteitagen die Macht hatte, sogar den Vorstand vor sich herzutreiben und den letzten Parteitag in Riesa mit einem antisemitischen Antrag zur EU-Politik sogar platzen ließ – plötzlich wirkt er klein und machtlos. "Der große Zampano hat sich verzockt", zieht ein Delegierter am Samstagabend sein vorläufiges Fazit.

Diskussionen bis tief in die Nacht

Das gilt an diesem Abend allerdings für viele, auch für die Funktionäre in den Landesvorständen und vor allem im Bundesvorstand. In der Nacht wird bis 2 Uhr telefoniert, in Hotel-Bars diskutiert, schalten sich die unterschiedlichen Lager zusammen und mischen sich auch die Bundeschefs Tino Chrupalla und Alice Weidel aktiv ein. Endlich – oder zu spät, so sehen es einige.

Als die Wahlen am Sonntag fortgesetzt werden, läuft es besser. Dennoch fallen auch da recht früh wieder zwei Kandidaten wegen mangelnder Mehrheiten durch. Der Wahlleiter auf der Bühne stöhnt über die mangelnde Disziplin in der Halle. Dann aber läuft es erst einmal glatt und unkompliziert: Die meisten Listenplätze werden bis zum frühen Nachmittag ganz ohne Gegenkandidaten gewählt.

Am kommenden Freitag und Samstag sollen die Wahlen in Magdeburg weitergehen. Eigentlich wollte die AfD den Sonntag danach nutzen, um zum ersten Mal überhaupt nicht über Personal, sondern auch über ihr Programm für die EU-Wahl zu sprechen. Wieder eine Diskussion mit Sprengkraft, die Positionen gehen zum Teil weit auseinander.

Aber schon jetzt heißt es aus den Spitzen in Bund und Ländern: Die Wahlen seien vermutlich zu aufwendig, den Sonntag werde man dafür vielleicht noch brauchen. Für das Programm müsse vielleicht ein eigener Termin gesetzt werden – dann vermutlich erst im Januar 2024.

Betrübt ist man darüber allerdings nicht. Viele sehen es so: etwas Luftholen, bevor der nächste Hammer, die nächste große Diskussion kommt. So könnte allerdings auch der Eindruck entstehen: Hauptsache Spitzenposten, Programm egal.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen und Beobachtungen auf der Europawahlversammlung der AfD in Magdeburg
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