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Lauterbach will Hitzeplan für Deutschland: "Eine Frage des Überlebens"


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Hitzeplan für Deutschland
"Das ist eine Frage des Überlebens"


26.06.2023Lesedauer: 5 Min.
Sonne über München (Symbolbild): Die Temperaturen in Deutschland steigen.Vergrößern des Bildes
Sonne über München (Symbolbild): Die Temperaturen in Deutschland steigen. (Quelle: IMAGO/Heinz Gebhardt)

Es wird immer heißer in Deutschland. Gesundheitsminister Lauterbach will einen Schutzplan erstellen. Vorbilder gibt es viele. Welchen Weg wird Lauterbach gehen?

Wenn in Berlin die Sonne knallt, die Wohnungen und der Asphalt sich erhitzen, dann gibt es einen Zufluchtsort für jene, die nirgendwo anders hinkönnen: In einem Haus im Stadtteil Schöneberg werden Getränke und Mahlzeiten angeboten, es gibt auch Duschen, Waschräume, einen schattigen Garten und Schlafplätze. Eigentlich sollte das Haus abgerissen werden, seit vergangenem Jahr ist es stattdessen eine Oase für Hitzeleidende.

Das Projekt richtet sich an Obdachlose, willkommen sind aber auch alle anderen. Und das Angebot wird gut angenommen: Obwohl nur 20 Betten zur Verfügung stehen, gehen täglich 50 bis 60 Personen ein und aus, erzählt Artam Zeka, der das Projekt für den Internationalen Bund Berlin-Brandenburg leitet.

"Auch ältere Leute aus dem Kiez, denen es in ihrer Wohnung zu heiß und stickig wird, besuchen uns", sagt Zeka. "Der Bedarf ist riesig."

Das sehen auch Experten so. Denn die Zahl der heißen Tage mit Lufttemperaturen über 30 Grad in Deutschland steigen. Gab es in den 50er-Jahren drei solcher Tage pro Jahr, sind es inzwischen im Schnitt neun, wie der Deutsche Wetterdienst feststellt – eine Verdreifachung. Die Hitzeperioden nehmen nicht nur in der Häufigkeit, sondern auch in ihrer Intensität zu. Mit tödlichen Folgen: Das Robert-Koch-Institut weist für 2022 eine "hitzebedingte Übersterblichkeit" von 4.500 Menschen aus.

Das Problem hat auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erkannt. Er will noch in diesem Sommer einen bundesweiten Hitzeplan erstellen, am Montag trifft er sich erstmals mit Experten zum Gespräch.

Bisher ist Deutschland schlecht vorbereitet: Viele Kommunen haben gar keinen Hitzeplan, manche haben in den vergangenen Jahren einen eigenen entwickelt. Berlin ist unter den Ländern Vorreiter, neben dem Schutzraum in Schöneberg gibt es hier immerhin schon einen Leitfaden für den Gesundheitsbereich bei Hitzewellen.

Die große Frage ist bei diesem Flickwerk nun: Was soll eigentlich drin stehen in Lauterbachs nationalem Hitzeplan?

Gestrichene Züge in Großbritannien, Arbeitsverbot in Spanien

Vorbilder in Europa gibt es viele: Frankreich, Italien, Spanien, aber auch Länder wie Großbritannien und die Niederlande haben bereits nationale Notfallpläne für Hitzephasen erarbeitet. Sie alle sehen die Warnung der Bevölkerung bei anhaltend hohen Temperaturen vor, in der Öffentlichkeit werden dann Tipps zu Kleidung, Getränken, Sonnencreme und Sport gegeben.

Die Pläne gehen aber auch darüber hinaus: In den Niederlanden werden bei Temperaturen ab 25 Grad bewegliche Brücken gekühlt, die sich in der Hitze auszudehnen drohen und in der Vergangenheit oft gesperrt werden mussten. In Großbritannien werden bei Temperaturen über 40 Grad Züge gestrichen, weil sich die Gleise verformen könnten. Spanien arbeitet gerade an einem Gesetz, dass die Arbeit draußen verbieten soll, wenn die höchste Hitze-Warnstufe ausgelöst wird.

Vorbild Frankreich

Vorbild für Deutschland soll Lauterbach zufolge Frankreich sein. Dort forderte eine lang anhaltende Hitzewelle 2003 mehr als 10.000 Tote, die Regierung reagierte darauf bereits vor 20 Jahren mit einem nationalen Hitzeplan. Der sieht ein Hitzewarnsystem in vier Stufen (grün, gelb, orange, rot) vor.

Bei Stufe "Orange" werden in Frankreich unter anderem kühle Räume zur Verfügung gestellt, in Krankenhäusern Betten aufgestockt, häusliche Pflegedienste mobilisiert. Gemeinden verteilen außerdem an zentralen Punkten Wasser, vulnerable Personengruppen werden angerufen und gefragt, ob es ihnen gut geht.

Warnstufe "Rot" kann nur vom Premierminister selbst ausgerufen werden. Die Hitzewelle ist dann so extrem, dass Dürre, Trinkwasserknappheit, großflächige Waldbrände und Stromausfälle drohen. In diesem Fall kann temporär die Energieversorgung gedrosselt werden.

In beiden Warnstufen werden, heruntergebrochen auf Départements, Zahlen dazu erhoben, wie viele Menschen sterben und wie viele die Notaufnahmen aufsuchen. Und es wird auf zahlreichen Kanälen informiert und gewarnt.

"Viele wissen nicht, dass sie zu Risikogruppen gehören"

Für Deutschland sieht die Expertin Franziska Matthies von der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit die breitflächige Information als ersten Schritt. "Es gibt bereits zwei Warnstufen im Hitzefrühwarnsystem des Deutschen Wetterdienstes", sagte sie t-online. Jetzt müsse eine Warnkette erarbeitet werden, die alle wichtigen Akteure damit verbinde und entsprechende Maßnahmen auslöse. "Wie können wir Krankenhäuser, Pflegeheime, Schulen am besten warnen? Wie erreichen wir die Breite der Bevölkerung am besten?"

Das sei dringend notwendig, sagt Matthies. Die 4.500 Hitzetoten des vergangenen Jahres hätte es nicht geben müssen, davon ist Matthies überzeugt. "Der Hitzetod ist ein stiller, unauffälliger Tod – und oft ist er vermeidbar." Die Bevölkerung müsse befähigt werden, sich und auch andere zu schützen. Eine "hitzeresiliente Bevölkerung" schwebt Matthies vor.

Denn oft sei den Menschen bisher gar nicht bewusst, dass sie zu Risikogruppen in einer Hitzewelle gehören. Die Bandbreite sei groß: Menschen über 65 Jahren gehörten dazu, vor allem jene, die alleine leben oder sozial isoliert sind. Aber auch Menschen mit Vorerkrankungen, Menschen, die Medikamente einnehmen, Menschen, die draußen arbeiten oder in schlecht isolierten Häusern wohnen, Schwangere, Säuglinge, Profi- sowie Freizeitsportler und viele mehr.

"Jede Verzögerung geht auf Kosten der Betroffenen"

Die Sozialverbände kritisieren, dass Deutschlands Hitzeplan zu spät kommt. "Was früher ein 'Jahrhundertsommer' war, ist heute Normalität", sagte Michaela Engelmeier, Vorstandsvorsitzende des Sozialverbands Deutschland (SoVD), t-online. Der SoVD habe deshalb schon in der Vergangenheit immer wieder Anstrengungen zum Schutz von besonders Gefährdeten gefordert. Jeder Hitzetote sei einer zu viel. Von Lauterbachs Plan besonders geschützt werden müssten nun Ältere, Kranke, Menschen mit Behinderungen, Schwangere, Kinder, aber auch Menschen, die keinen oder kaum Schutz vor der Sonne während ihrer Arbeit finden, fordert der SoVD.

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Auch der Sozialverband VdK kritisiert, dass der Hitze-Aktionsplan sowie Lauterbachs Treffen mit Experten am Montag "deutlich zu spät" komme. "So schnell wie möglich müssen dem Plan jetzt Taten folgen, denn jede Verzögerung geht auf Kosten der besonders Betroffenen", sagte VdK-Präsidentin Verena Bentele t-online.

Als Maßnahmen, die nun dringend umgesetzt werden müssten, fordert Bentele: "Altersheime, Kindergärten, Schulen und Krankenhäuser müssen mit Klimaanlagen ausgerüstet werden." Dabei müssten klimafreundliche Varianten gewählt werden, um den Klimawandel nicht zusätzlich zu verstärken. Außerdem müssten in städtischen Gebieten dringend gekühlte Räume eingerichtet werden, in denen sich Senioren tagsüber abkühlen und vor Hitze schützen könnten. Auch Hitzeschutzpläne speziell für Hochalte und Pflegebedürftige seien dringend erforderlich.

Bäume und Brunnen statt Parkplätze und Beton

Im Bundestag beschäftigen sich die Grünen schon lange intensiv mit dem Thema. Der Bundestagsabgeordnete Johannes Wagner ist dafür Experte. Er fordert im Gespräch mit t-online einen Hitzeschutzplan nicht nur für jede Kommune und jedes Krankenhaus, sondern auch für jede Kindertagesstätte. Darin vorgesehen sollten neben Kühlräumen das Installieren von Trinkbrunnen und die Bewässerung von öffentlichen Plätzen sein. Das RKI müsse das Register für hitzebedingte Todesfälle weiter verbessern, hitzebedingte Erkrankungen müssten außerdem stärker in der Ausbildung aller Gesundheitsberufe verankert werden.

Entscheidend aber sind aus Sicht des Grünen-Politikers zur Prävention auch bauplanerische Maßnahmen, gerade in Städten. Denn: "Städte werden bis zu zehn Grad heißer als das Umland", erklärt Wagner. Hier müsse dringend gegengesteuert werden, indem öffentliche Plätze entsiegelt, Fassaden und Dächer begrünt, Bäume erhalten und neu gepflanzt werden.

"Das kann auch mal bedeuten, dass ein Parkplatz einem Baum weichen muss", sagt Wagner. Es brauche mehr Grün statt "Betonwüste" in deutschen Städten. "Das ist eine Frage der Lebensqualität, aber auch des Überlebens, da die Hitze in Städten tödlich sein kann."

Wie weit Lauterbach mit seinem Hitzeplan gehen wird, steht noch nicht fest. Wie die "Bild am Sonntag" berichtete, sollen Krankenhäuser, Pflegeheime und Kommunen Konzepte erhalten, um auf Hitzewellen zu reagieren. Außerdem sollen fünf andere Ministerien – das Umwelt-, Verkehr-, Bau-, Arbeits- sowie Innenministerium – in einer Arbeitsgruppe am Plan mitwirken.

Die Aufgabe aber ist groß, die Anforderungen sind hoch, die Vorbilder meilenweit voraus. Für den Minister könnte der hastig angekündigte Hitzeplan zu einer größeren Herausforderung werden als erwartet.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Anfragen an Johannes Wagner, SoVD, VdK
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