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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Kriegsgegner im Visier Putins geheime Pläne für Deutschland
Der Kreml setzt auf linke und rechte Kräfte in Deutschland, um die Unterstützung für die Ukraine in Europa zu brechen. Das offenbaren neue Dokumente.
Sahra Wagenknecht auf der linken Seite, die AfD auf der rechten: In Deutschland sind die Stimmen laut, die ein Ende der Waffenlieferungen und Unterstützung für die Ukraine im Krieg gegen Russland fordern. Und sie sind mit dieser Strategie erfolgreich: Die AfD hält sich in Umfragen seit Monaten bei für sie guten 15 Prozent, einer möglichen Wagenknecht-Partei wird sogar noch mehr Potenzial zugeschrieben.
Eine Recherche der "Washington Post" legt nun offen, wie sehr diese Erfolge dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielen. Der Zeitung liegen Dokumente aus den Monaten Juli bis November 2022 aus dem Kreml vor, die zeigen, dass das russische Regime die westliche Politik gezielt beeinflussen und eine Antikriegsstimmung in Europa erzeugen will. Hauptangriffsziel dabei: Deutschland.
Die Dokumente belegen demnach die Anweisung aus dem Kreml an seine Beamten und Politstrategen, sich auf die Bundesrepublik zu konzentrieren, um die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen. Unter anderem die Schaffung einer neuen Koalition zwischen den Linken um Wagenknecht und den rechten Kräften um die AfD soll eines der Ziele sein.
Wagenknecht und Chrupalla bestreiten Kontakt zum Kreml
Dass die Pläne des Kreml die deutschen Politiker erreicht haben, beweisen die Dokumente laut "Washington Post" nicht. Sahra Wagenknecht wies den Verdacht deutlich als "absurd" zurück. Sie habe "mit niemandem vom russischen Staat oder einem seiner Vertreter in Kontakt gestanden", sagte sie der "Washington Post". Eine zukünftige Zusammenarbeit mit der AfD lehne sie zudem ab.
Auch AfD-Chef Tino Chrupalla will nichts von den Plänen wissen. "Über die angeblichen Kreml-Pläne, von denen im Artikel erzählt wird, habe ich noch nie etwas gehört", sagte er t-online am Freitag. Kritische Journalisten sollten prüfen, ob es solche Pläne wirklich gab. "Und wenn ja, sind sie zur Umsetzung gekommen? Für mich klingt das nach einer Räuberpistole, die der Diskreditierung der Friedensbewegung dient."
Zumindest aber der "Querdenken"-Bewegung scheint Russland entsprechende Angebote gemacht zu haben. Markus Haintz, ein Aktivist der Bewegung, die vor allem gegen die Corona-Maßnahmen mobil machte, twitterte am Freitag mit Blick auf die Recherche: "Von all den Ländern, für die ich angeblich arbeite, (…) hat nur eines versucht, mich (mit Unterstützung) zu kaufen, das war Russland. Das gehört eben auch zur Wahrheit dazu." Er habe das Angebot abgelehnt, erklärte er t-online.
Baerbock mit Ukraine-Flagge als Graffiti
Die Pläne des Kreml waren offenbar detailliert und sehr konkret. Proteste gegen den Krieg und die Linie der deutschen Regierung sollen laut "Washington Post" eng beobachtet worden sein. Erfolge bei der Einflussnahme über soziale Netzwerke wie Telegram und YouTube wurden den Recherchen zufolge mindestens einmal im Monat dokumentiert und gemeldet. Sogar Graffiti, die in Deutschland an Wände gemalt und veröffentlicht werden sollten, wurden demnach erstellt – darunter eines, auf dem Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) auf der Nord-Stream-Pipeline sitzt und eine ukrainische Flagge schwenkt. Dazu der Satz: "Es ist mir egal, was die Deutschen denken."
In Berlin tauchen seit Monaten immer wieder Graffiti auf, die sich gegen die Unterstützung der Ukraine im Krieg aussprechen. Einer der Slogans: "Das ist nicht unser Krieg."
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Kreml entwirft Manifest für die AfD
Sehr konkrete Pläne hat der Kreml offenbar auch für die AfD: Die Partei solle neu aufgestellt und ihre Beliebtheit auf über 13 Prozent – ihr damaliger Umfragewert – gesteigert werden, zitiert die "Washington Post" aus einem Dokument vom 9. September. Als neue Kernbotschaften für die AfD schlagen die russischen Strategen deren Ausrichtung als Partei der "deutschen Einheit" vor sowie die Ablehnung der Sanktionen gegen Russland. Letzteres ist eine Position, die die AfD seit Monaten vertritt.
Außerdem solle eine neue politische Koalition aus dem linken wie rechten Spektrum unterstützt werden, die "eine Mehrheit bei Wahlen auf jeder Ebene" gewinnen könne. Über eine Parteineugründung durch Sahra Wagenknecht wird derzeit heftig spekuliert. Befragungen lassen auf ein enormes Potenzial schließen: Einer Civey-Umfrage im Auftrag des "Spiegel" von Anfang März können sich 25 Prozent der Befragten grundsätzlich vorstellen, eine Partei Wagenknechts zu wählen. Das so abgefragte Potenzial liegt allerdings üblicherweise sehr weit über den Werten, die Parteien an der Wahlurne tatsächlich erzielen.
Wagenknechts Ex-Mann in Russland
Pikant für Wagenknecht: Ihr Ex-Ehemann Ralph Niemeyer steht durchaus in Kontakt zum Kreml. Nach Informationen von t-online hielt sich Niemeyer im September sowie zuletzt im März in Russland auf. Dort stellte er sich als Vertreter einer "Exilregierung" Deutschlands vor. Gegen Niemeyer wird aufgrund seines Auftretens in Zusammenhang mit der Russlandreise in Deutschland ermittelt, wegen "landesverräterischer Fälschung".
Der "Washington Post" sagte Niemeyer nun, bei jüngsten Treffen mit Beamten des Kreml in Moskau sei deutlich geworden, dass es "bestimmte Leute in Russland" gebe, die ein Interesse an einem Bündnis zwischen Wagenknecht und der extremen Rechten hätten.
Niemeyer sagt, sein Kontakt zu Wagenknecht sei weiterhin eng. Fast täglich kommuniziere er mit ihr. Dass die Politikerin Unterstützung aus dem Kreml annehmen würde, hält er aber für ausgeschlossen.
Die Kontakte der AfD nach Russland sind ohnehin eng. Immer wieder treten ihre Vertreter im russischen Staats-TV auf. Im September reisten mehrere Abgeordnete nach Russland und wollten von dort weiter in den von Russland besetzten Donbass. Zu der Weiterreise kam es jedoch nicht. Auch in den eigenen Reihen hatte es gegen die Pläne massive Kritik gegeben.
Petr Bystron, außenpolitischer Sprecher der AfD im Bundestag, besuchte im November zudem Belarus, wie das Recherchenetzwerk Correctiv berichtete. Das Land steht im Krieg auf Putins Seite. Bystron erklärte der "Washington Post" nun, dass er sich auf seiner Reise mit dem belarussischen Außenminister getroffen habe. Mit russischen Beamten habe es hingegen keine Begegnung gegeben.
- washingtonpost.com: "Kremlin tries to build antiwar coalition in Germany, documents show"
- spiegel.de: "Wagenknecht-Partei könnte auf großen Zuspruch bei AfD-Wählern hoffen"