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Sahra Wagenknecht: Ist die Linke wegen ihr "in der Todeszone"?


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Streit um Sahra Wagenknecht
"Wir sind in der Todeszone"


Aktualisiert am 09.04.2023Lesedauer: 6 Min.
Sahra Wagenknecht: Nach der "Aufstand für Frieden" genannten Demo in Berlin, folgt jetzt wohl der Aufstand in der Partei Die Linke.Vergrößern des Bildes
Sahra Wagenknecht: Nach der "Aufstand für Frieden" genannten Demo in Berlin, folgt jetzt wohl der Aufstand in der Partei Die Linke. (Quelle: IMAGO)

Sahra Wagenknecht hat mit der Linken gebrochen, die Partei steht am Abgrund. Was passiert, wenn ihr Superstar seine Pläne tatsächlich wahrmacht?

Es ist ein parteipolitischer Abnutzungskrieg, der bald ein Ende haben könnte: Seit Sahra Wagenknecht im März ankündigte, nicht mehr für die Linke zu kandidieren, scheint es kein Halten mehr zu geben. Verbündete und Gegner der Parteiikone bezichtigen sich gegenseitig, die Partei zu spalten. Die Stimmung ist am Boden. "So schlimm war es noch nie", heißt es intern.

Aktueller Streitpunkt ist die Haltung zum Ukraine-Krieg und den deutschen Waffenlieferungen. Wie sehr das Thema die Partei spaltet, zeigt sich derzeit bei keinem Thema so gut wie dem von Wagenknecht organisierten "Aufstand für den Frieden" Ende Februar. Die Parteiführung warf Wagenknecht vor, sich nicht klar von rechts abzugrenzen, und versagte der Demo ihre Unterstützung.

Für manche im Wagenknecht-Lager kam das einem Verbot gleich. Für sie war das der Sündenfall, ein letzter Beweis dafür, dass die Partei nicht mehr zu retten ist. "Wer als Linke den eigenen Abgeordneten verbietet, auf Friedensdemos zu gehen, braucht psychologische Betreuung", sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion t-online. Wenn Parteichefin Janine Wissler so weitermache, "wird es die Linke 2025 im Bundestag nicht mehr geben".

Zukunft der Linken steht auf dem Spiel

Dass die Nerven blank liegen, ist nachvollziehbar. Für die Linkspartei, die es 2021 gerade so in den Bundestag schaffte und seitdem in Umfragen bei knapp fünf Prozent liegt, geht es um alles: ihre innere Einheit, ihren Status als Fraktion im Bundestag, ihre Zukunft in der deutschen Parteienlandschaft. Geht Wagenknecht, noch dazu mit einem Knall, droht der Linkspartei der Absturz in die politische Bedeutungslosigkeit.

Der Streit über die Ukraine-Politik ist aber nur die aktuelle Episode in einem jahrelangen Konflikt zwischen dem prominentesten Mitglied der Linken und der Parteiführung. Nun aber ist er auf seinem vorläufigen Höhepunkt angekommen: Immer wieder spielte Wagenknecht in den vergangenen Wochen öffentlich mit dem Gedanken, eine neue Partei zu gründen.

So zum Beispiel in einem Interview mit der "Rheinpfalz" Anfang März. Dort kündigte sie an, dass sie maximal bis Ende der Wahlperiode 2025 Abgeordnete der Linken bleiben werde. Danach werde sie sich entweder aus der Politik zurückziehen und als Publizistin arbeiten oder "es ergibt sich politisch etwas Neues".

"Eine neue politische Kraft, die für Frieden eintritt"

Dieses "politisch Neue" könnte aber schon viel früher kommen: Als günstigster Zeitpunkt für die Gründung einer Wagenknecht-Partei gilt dieses Jahr. Das Kalkül: 2024 stehen die Wahlen zum Europaparlament an, bei denen es keine Fünfprozenthürde gibt. Um eines der 96 deutschen Mandate zu bekommen, reicht also rund ein Prozent der Stimmen. Das sollte einer Wagenknecht-Partei problemlos gelingen. Es wäre also das perfekte Sprungbrett.

Wagenknecht-Freunde haben keinen Zweifel, dass es so kommt: Es werde passieren, ganz sicher, ganz bald. "Das Klügste und das gesellschaftlich Verantwortliche ist es, eine neue politische Kraft zu gründen, die klar für Frieden eintritt", sagt ein Mitglied der Bundestagsfraktion. Wagenknecht selbst ist da noch zurückhaltender, wurde zuletzt aber immer deutlicher. "Innerhalb des nächsten Dreivierteljahres" werde die Entscheidung fallen, so Wagenknecht kürzlich im ZDF.

Seitdem haben sich die Fronten zwischen ihren Befürwortern und Gegnern verhärtet. Zentrum des Konflikts ist dabei ausgerechnet die Bundestagsfraktion der Linken, das parlamentarische Aushängeschild der Partei. Hier hat Wagenknecht einige Vertraute, die eng zu ihr halten.

Eine Fraktion zerlegt sich

Der Dauerkonflikt lähmt die Fraktion. In Gesprächen mit Abgeordneten ist Frust zu spüren, aber auch Resignation. "Wir sind in der Todeszone", beschreibt ein Mitglied der Bundestagsfraktion die Stimmung. Die Partei habe ihre Glaubwürdigkeit verspielt, es sei kein Wunder, dass die Wähler reihenweise von der Stange gingen.

Beide Seiten stehen sich unversöhnlich gegenüber, man arbeitet mittlerweile offen gegeneinander, Fraktionssitzungen geraten so regelmäßig zu Schaukämpfen zwischen den Lagern. Wagenknecht-Gegner stöhnen, viele seien frustriert und müde. Statt sich auf Sacharbeit konzentrieren zu können und so dafür zu sorgen, dass die Partei 2025 mit einem besseren Ergebnis wieder in den Bundestag einziehe, drehe sich alles nur um Wagenknecht. Eine einzige Person lege so die gesamte Fraktion, ja, eine ganze Partei lahm.

Das Wagenknecht-Lager wiederum sieht sich von der Parteispitze gegängelt. Schon jetzt schickten die Parteioberen Janine Wissler und Martin Schirdewan regelmäßig ihre "Fußtruppen" gegen die Wagenknecht-Leute los, entweder um diese in der Fraktion zu isolieren oder um missliebige Abgeordnete öffentlich zu verleumden, heißt es hinter vorgehaltener Hand.

Das Zittern vor dem WagenknExit

Immerhin sind sich die verfeindeten Lager in einem Punkt sogar einig: So kann es nicht weitergehen. "Mir fehlt die politische Fantasie, wie das jemals wieder gut werden soll", sagt einer aus dem Wagenknecht-Lager. Von der Gegenseite hört man Ähnliches: "Das Tischtuch ist endgültig zerschnitten."

Inzwischen werden auch öffentlich prominente Stimmen immer lauter, die die Scheidung beider Lager und Wagenknechts Ausschluss aus der Linken fordern. "Sobald es konkrete Schritte zu einer Neugründung gibt, darf es für sie keinen Platz mehr in Partei und Fraktion geben", sagte der Bundestagsabgeordnete Bernd Riexinger dem Portal "Pioneer". Ähnlich formulierte es Linken-Parteichefin Wissler, sie schränkte allerdings ein: "Aber da sind wir noch nicht."

Abwarten will auch Dietmar Bartsch, Co-Chef der Fraktion, von der Stellenbeschreibung her am ehesten derjenige, der den Orkan in der Fraktion besänftigen müsste. Seit Langem kassiert er Kritik, weil ihm das nicht gelingt. Stattdessen dringt er immer wieder auf eine neue Zusammenarbeit zwischen den Lagern.

"Der Weg, die Linke aus dem Umfragetief zu führen, kann nur heißen: Politik, Politik, Politik", sagte Bartsch t-online. "Statt über Sahra Wagenknecht zu diskutieren, müssen wir insbesondere angesichts der katastrophalen Ampelpolitik gute parlamentarische Oppositionspolitik machen."

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Was für die Abgeordneten auf dem Spiel steht

Vor dem finalen Schritt, den inzwischen vor allem viele Wagenknecht-Gegner herbeisehnen, schrecken vor allem die Partei- wie die Fraktionsspitzen zurück. Ist ihnen doch nur allzu bewusst, wie verheerend die Folgen eines "WagenknExits" für Partei und Fraktion, aber auch für die politischen Karrieren ihrer Abgeordneten sein dürften.

Sollten nur drei weitere der insgesamt 39 Bundestagsabgeordneten mit Sahra Wagenknecht die Fraktion verlassen, um sich in ein neues politisches Abenteuer zu stürzen, hätte das enorme Auswirkungen: Die Linke würde unter die nötige Mindestanzahl von 36 Abgeordneten fallen, um eine Fraktion bilden zu können. Damit wäre sie ihren privilegierten Status los, würde nicht nur enorme Geldsummen etwa für die Bezahlung von Mitarbeitern einbüßen, sondern auch Rederechte im Parlament und die Möglichkeit, Gesetze einzubringen. Die Linke im Bundestag wäre mit einem Handstreich Geschichte.

Die Lücke, die Wagenknecht hinterlässt

Was nach einem Schreckensszenario klingt, ist allerdings alles andere als unplausibel. Hinter vorgehaltener Hand rechnet man in der Fraktion mit mindestens fünf Abgeordneten, die im Fall einer Parteineugründung mit Wagenknecht wechseln würden. Mehr, als es für das Ende des Fraktionsstatus braucht.

Und dennoch gibt es für die Linke durchaus Optionen, um die selbstverschuldete Totalentmachtung zu vermeiden. Beide Lager könnten versuchen, sich als Gruppen anerkennen zu lassen. Gruppen haben ähnliche Rechte wie Fraktionen, können also Gelder für Mitarbeiter und Büros erhalten. Aber der Bundestag muss per Beschluss festlegen, ob und welche Rechte ihnen genau zustehen.

Das gab es im Bundestag noch nie

Geht das schief, bliebe eine Option, die auch für den Bundestag ein Novum wäre: Die insgesamt 39 Abgeordneten der Linken und der Wagenknecht-Partei wären dann fraktionslose Abgeordnete. Einzelkämpfer, denen im Parlament jeweils das Rederecht zustünde. Bisher gibt es davon im Bundestag in dieser Legislatur nur vier, ihre Anzahl würde sich also verzehnfachen. Eigentlich eine unpraktikable Option, aber für manche Abgeordnete der Linken mittlerweile vorstellbar. "Das würde lustig werden", sagt einer ironisch.

Bald schon könnte der Tag kommen, an dem die Abgeordneten sich entscheiden müssen. Denn die Zeit für Wagenknechts Parteineugründung drängt, die Listen für die Europawahl müssen in den nächsten Monaten aufgestellt werden. Viel Zeit bleibt also nicht.

Klar ist mit Blick auf die nächste Bundestagswahl schon jetzt: Ohne Wagenknecht, aber mit dem Dauerstreit über ihre Person sinken die Chancen der Linken, überhaupt wieder in den Bundestag einzuziehen. Ob Wagenknechts neue Partei den Sprung ins Parlament schaffen kann, ist allerdings ungewiss. Es reicht nicht, dass sich Menschen in Umfragen vorstellen können, für eine Partei zu stimmen, sie müssen es auch tatsächlich tun.

Im schlimmsten Fall schaffen es weder die Linke noch die Wagenknecht-Partei in den Bundestag. Es wäre ein unrühmliches Ende. Aber eins, das immer wahrscheinlicher scheint.

Verwendete Quellen
  • rheinpfalz.de: "Wagenknecht tritt nicht mehr für die Linke an"
  • zdf.de: Interview: "Als One-Woman-Show kann ich das nicht"
  • spon.de: "Riexinger drängt auf sofortigen Rauswurf Wagenknechts bei möglicher Abspaltung"
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