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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vizekanzler Robert Habeck und der Elefant in der Lausitz
Robert Habeck will sich in der Lausitz die Zukunft der Energie anschauen. Doch die schmerzhafte Gegenwart holt ihn immer wieder ein.
Es ist erst kurz nach 9 Uhr, als Robert Habeck das erste Mal schlechte Nachrichten verkünden muss. Der Wirtschaftsminister ist an diesem Mittwoch eigentlich für das Gegenteil in die Lausitz gefahren. Er will sich in der Kohleregion im Osten anschauen, wie Energiewende und Strukturwandel gelingen können. Wie hier Windräder und Solarpanele die Kohlekraftwerke ablösen.
Habeck will positive Nachrichten produzieren, er will in die Zukunft schauen. Doch als er beim Stromriesen Leag vorfährt, trifft er doch erst mal auf die schmerzhafte Gegenwart. Dutzende Auszubildende erwarten Habeck im Schatten der dampfenden Kühltürme. "Was ist mit uns?" steht auf ihren Schildern und "Nicht auf unserem Rücken!".
Die Auszubildenden haben Angst um ihre Jobs und wollen, dass der Vizekanzler ihnen diese Angst nimmt. Jetzt und hier. Sie haben einen Vertrag mitgebracht, der auf einer Holzwand klebt. Der erste Punkt: Der Kohleausstieg wird nicht vorgezogen.
Habeck soll das jetzt unterschreiben. Er windet sich. Irgendwann sagt er: "Ich fänd's cooler, wenn wir im Gespräch bleiben."
Robert Habeck kann das nicht unterschreiben. Er arbeitet daran, genau das Gegenteil zu erreichen. Er will, dass 2030 Schluss ist mit der Kohle. Nicht erst 2038. Auch in der Lausitz. Habeck braucht diesen Erfolg. Fürs Klima, aber auch für sich selbst und seine Grünen, die mit dem Abbaggern des Kohledorfs Lützerath die Klimabewegung gegen sich aufgebracht haben.
Der Kohleausstieg ist der sprichwörtliche Elefant im Raum, über den Habeck an diesem Tag eigentlich gar nicht sprechen will. Um den es aber trotzdem immer wieder geht.
"Erst Ausbauen, dann Ausstieg"
Das liegt nicht nur an den Auszubildenden, die Angst um ihre Zukunft haben. Sondern auch am Geschäftsführer der Leag, Thorsten Kramer. Der hatte vor einigen Tagen in einem Interview angedeutet, die Leag könne sich unter bestimmten Bedingungen vorstellen, schon 2033 ohne Kohle klarzukommen.
An diesem Mittwoch tut Kramer alles dafür, diese Botschaft wieder vergessen zu machen. Am Ausstiegsdatum 2038 will er nichts ändern. Beschlossen ist beschlossen, so sehen sie das hier. Und dass das mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien alles so klappt, das glauben sie ohnehin nicht. Chef Kramer bringt es auf die Formel: "Erst Ausbauen, dann Ausstieg".
Habeck weiß natürlich um diese Stimmung. Und versucht es mit viel Anerkennung und Schmeicheleien. Die Skepsis und das Misstrauen seien logisch in einer Region, die so viel Wandel erlebt habe, sagt Habeck. Er lobt das "atemberaubende Tempo", mit der Leag Wind, Solar und Wasserkraft ausbaue. "Die andere Diskussion", sagt er und meint den Kohleausstieg, "werden wir an anderer Stelle führen."
Die Kohle und zwei Rechnungen
Dabei hat Habeck mit dem Leag-Chef natürlich auch über den Ausstieg gesprochen. Der Druck auf den Vizekanzler ist groß. In seinem Wirtschafts- und Klimaministerium gehen sie davon aus, dass die Klimaziele schlicht nicht mehr zu erreichen sind, wenn es beim Kohleausstieg 2038 bleibt. Es wäre eine große Niederlage, seine Niederlage.
Doch es gibt auch eine Hoffnung in Habecks Haus. Und zwar eine marktwirtschaftliche: Schon weit vor 2038, so sagen es viele Berechnungen voraus, werde es sich gar nicht mehr lohnen, Kohlestrom zu produzieren. Weil er schlicht zu teuer werde, vor allem durch den noch einmal verschärften europäischen Handel mit CO2-Zertifikaten, mit denen sich Konzerne Verschmutzungsrechte kaufen müssen.
Nur will sich Habeck darauf nicht verlassen. Er will den früheren Ausstieg festschreiben, er will die Jahreszahl 2030. Sie würde ihm helfen als symbolischer Erfolg für seine Grünen und die Klimabewegung. Doch sie wäre auch ein Signal an die Konzerne und Investoren, endgültig alles so schnell wie möglich in die Erneuerbaren zu stecken. So die Hoffnung.
Leag-Chef Kramer will diese Hoffnung nicht so recht teilen. Er sagt, er habe da andere Berechnungen. Kohle würde sich durchaus noch rechnen. Welche Berechnungen genau, das sagt er nicht. Was die Leag von der Bundesregierung haben will, schon: Investitionssicherheit – und eine ostdeutsche Pipeline für Gas und Wasserstoff.
Applaus für den Minister
Die meisten Menschen, die Habeck auf seinem Tagestrip in der Lausitz trifft, muss er nicht mehr mit Zugeständnissen ködern. Sie profitieren längst von der Energiewende. Mit dem Energiepark Lausitz auf dem Gelände eines früheren Kohletagebaus etwa, einem der größten Energieparks Deutschlands. Zwischen Solarpanelen und Windrädern lässt Habeck hier schöne Bilder der Energiezukunft schießen.
Beim Hersteller für Energietechnik Pewo applaudieren die Mitarbeiter sogar, als der Minister aus seiner Dienstlimousine aussteigt. Dankbar sei man, sagt der Chef mehrfach, denn die "Chancen auf Wachstum waren für uns nie so groß wie heute". Die Technik für Fernwärme und Wärmepumpen, die hier produziert wird, ist heiß begehrt.
Und auch im Industriepark Schwarze Pumpe freuen sie sich. Kein Wunder: Habeck hat einen großen Scheck dabei, 28,5 Millionen Euro stehen drauf. In einem Wasserstoff-Speicherkraftwerk soll hier nicht nur erneuerbare Energie mit Wind- und Solarkraft produziert und in Wasserstoff umgewandelt werden. Der Wasserstoff soll später auch wieder in Strom verwandelt werden können. Als Reserve für schlechte Zeiten, wenn die Sonne mal nicht scheint und der Wind nicht weht.
Mit diesem Projekt allerdings blickt Habeck an diesem Tag buchstäblich in die Zukunft. Es wird ein Reallabor sein, ein großer Versuch. Und selbst diesen Versuch gibt es bisher nur als Modell in einer Fabrikhalle.
Im Jahr 2025 könnte der Versuch Wirklichkeit sein. Wenn alles nach Plan läuft.
- Begleitung der Reise von Vizekanzler Robert Habeck in die Lausitz am 22. Februar 2023