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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Minister im Krisenmodus Mein Gott, Habeck!
Kein Minister war dieses Jahr so gefordert wie Robert Habeck. Wie sein Jahr der Krisen in Erinnerung bleiben wird, hängt von drei Fragen ab.
Man kann von diesem völlig verrückten Jahr des Robert Habeck auf zwei Arten erzählen.
Die eine Version geht so: Habeck – selbstbewusst angetreten, um Wirtschaft und Klimaschutz zu versöhnen – hat zwar viel versucht und getan, ließ sich von der Energiekrise aber derart überrumpeln, dass er seine Ziele aus den Augen verlor. Er verbeugte sich einerseits auf der Suche nach Gas zu tief vor den Machthabern Katars, verhinderte andererseits zum Schutz grüner Ideologie eine pragmatische Lösung bei der Atomkraft.
Dann vergeudete er auch noch wertvolle Zeit mit seiner vermurksten Gasumlage, die teuer gewordenes Erdgas für die Bürger noch teurer gemacht hätte. Kein Wunder, dass seine anfangs hohen Beliebtheitswerte abrauschten. Weder um die Wirtschaft noch um den Klimaschutz kümmerte er sich überzeugend. Mein Gott, Habeck!
Die andere Version der Geschichte dagegen lautet: Von Anfang an nahm Vizekanzler Habeck statt des wortkargen Kanzlers Olaf Scholz die Rolle des wahren Krisenerklärers der Nation ein. Der Grüne agierte pragmatisch bis zur Schmerzgrenze. Er warf selbst die ihm verhassten klimaschädlichen Kohlekraftwerke wieder an, um Deutschland gut durch den Winter zu bringen.
Seine Bilanz beim Gas imponiert: Anfangs hielt er stand gegen lautstarke Forderungen, russische Energie sofort zu boykottierten, und ließ dann auf allen erdenklichen Wegen Gas einkaufen, noch bevor Russland die Lieferungen einstellte. Zum Winterstart waren die Speicher wieder voll. Die lange Zeit befürchtete sogenannte Gasmangellage gibt es in diesem Winter voraussichtlich nicht. Danke, Habeck!
In beiden Geschichten, so unterschiedlich sie auch sind, steckt Wahrheit. Doch die Erfahrung lehrt, dass am Ende nur eine Erzählung in Erinnerung bleiben und das Bild des Robert Habeck prägen wird. Welche von beiden es sein wird, ist derzeit nicht absehbar.
Und vermutlich wird es auch noch eine Weile dauern, bis es sich zeigt. Denn 2023 wird für den Krisenminister ähnlich herausfordernd wie 2022. Welches Urteil am Ende über ihn gefällt wird, dürfte mit darüber entscheiden, ob er seinen Traum vom Kanzleramt noch verwirklichen kann – oder ihn abhaken muss.
Entscheidend dafür wird sein, ob Robert Habeck seine vielen Krisen besiegt – oder die Krisen ihn. Und das hängt vor allem von drei Fragen ab.
1. Reicht das Gas?
Es war eine ganz eigene Weihnachtsgeschichte, die die Bundesregierung eine Woche vor Heiligabend aufführte: Da machten sich Olaf Scholz, Christian Lindner und der "grüne Gasminister", wie der "Spiegel" Robert Habeck kürzlich nannte, auf, aus der Stadt Berlin ins weit entfernte Wilhelmshaven zu eilen. Sie fanden dort ein kleines Wunder: das erste schwimmende LNG-Terminal.
Von Januar an sollen in Wilhelmshaven bis zu fünf Milliarden Kubikmeter Flüssiggas jährlich anlanden. Das entspricht rund zehn Prozent der Menge, die Russland vor Kriegsbeginn pro Jahr nach Deutschland lieferte.
Doch das LNG-Terminal ist vor allem deshalb ein Symbol für den rastlosen Versuch der Bundesregierung, russisches Gas zu ersetzen, weil es in nur zehn Monaten genehmigt und gebaut wurde. Für deutsche Verhältnisse also: in Lichtgeschwindigkeit. Oder in "neuer Deutschlandgeschwindigkeit", wie der Kanzler prahlte.
Und trotzdem: Deutschland ist nicht nur beim Heizen, sondern auch bei der Stromerzeugung stärker auf Gas angewiesen als andere Länder. Daran hat sich bislang kaum etwas geändert. Und daran wird sich auch bis zum nächsten Winter nicht genug ändern. Selbst wenn Robert Habeck persönlich mithelfen würde, Wärmepumpen in Einfamilienhäuser einzubauen.
Die Bundesregierung warnt deshalb schon seit einiger Zeit, dass nicht dieser, sondern der kommende Winter der eigentlich kritische ist. Das liegt schlicht daran, dass die Speicher für diesen Winter noch zu einem guten Teil mit Gas aus Russland vollgepumpt werden konnten, das nun komplett weggefallen ist und ersetzt werden muss.
Doch die meisten schwimmenden LNG-Terminals, die wesentlich schneller einzurichten sind als die stationären, werden erst ab Ende 2023 überhaupt installiert sein und ihren Beitrag leisten können. Sofern alles nach Plan läuft.
In Berlin schauen sie deshalb im Wirtschaftsministerium und im Kanzleramt täglich auf die Füllstände der Gasspeicher. Als es Mitte Dezember richtig kalt wurde, leerten die sich Tag für Tag um einen Prozentpunkt, manchmal sogar mehr. Es wurde also deutlich mehr Gas verbraucht, als in Deutschland ankam.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, appelliert an die Deutschen deshalb immer wieder, die Heizungen zu drosseln. Etwa 20 Prozent Gas müssen idealerweise eingespart werden, damit die Speicher nach dem Winter nicht zu sehr erschöpft sind. Doch an den kalten Tagen des Dezembers wurden kaum fünf Prozent gespart.
Im Kanzleramt gehen sie davon aus, dass sich im Februar absehen lässt, wie ernst die Lage für den darauffolgenden Winter wird. Schon jetzt arbeiten alle daran, mehr Gas zu beschaffen. Aus den Niederlanden etwa. Oder aus Norwegen, das derzeit 40 Prozent des deutschen Gases per Pipeline liefert.
2. Wie schlimm wird der Abschwung?
Die Sorgen waren im Sommer gewaltig. Eine schwere Rezession vorherzusagen, war lange Zeit sogar eine eher zurückhaltende Position. Die schrilleren Prognosen sahen gleich die Deindustrialisierung Deutschlands voraus. Angesichts der gewaltigen Probleme klang das auf einmal erschreckend plausibel.
Inzwischen sehen Wirtschaft und Bundesregierung nicht mehr ganz so schwarz. Aber schwarz eben schon noch. 2023 wird Deutschland in die Rezession rutschen – damit rechnet die Bundesregierung genauso wie die Experten. Deutlich teurere Energie und Vorprodukte, chronischer Fachkräftemangel – all das wird die Konjunktur noch lange beeinträchtigen. Die große Frage bleibt, wie schlimm und lang die Krise wird.
Habecks Herbstprognose zufolge schrumpft die Wirtschaft 2023 um 0,4 Prozent und die Inflation liegt bei sieben Prozent.
Das klingt alles andere als gut. Doch zuletzt gab es vermehrt positive Nachrichten: Die Industrie steht besser da als zunächst angenommen, sogar die energieintensiven Branchen. Und das Wirtschaftsministerium hofft, dass die Inflation geringer als prognostiziert ausfällt. Der Höhepunkt der Teuerung soll Ende dieses Winters erreicht sein.
Die Warnungen vor einer Deindustrialisierung sind weitgehend verstummt. Selbst der private Konsum ist bislang nicht so stark zurückgegangen wie befürchtet. Was aber wohl damit zu tun hat, dass die hohen Energiepreise erst langsam bei den Verbrauchern ankommen.
Werden die Menschen also doch noch deutlich weniger kaufen, wenn nach der Nebenkostenabrechnung und dem Weihnachtsfest das Geld knapper wird? Für wie viel Entlastung werden die Gas- und Strompreisbremsen wirklich sorgen? Und kommen die Wirtschaftshilfen bei den kleinen und mittleren Unternehmen an, die sie gerade dringend brauchen? Das sind nur drei der vielen Unbekannten, mit denen Habecks Ministerium hantieren muss im doppelten Kampf gegen Inflation und Abschwung.
Das politische Risiko für Habeck ist jedenfalls abseits aller wirtschaftlichen Risiken hoch. Denn die Union wirft ihm schon jetzt am liebsten mangelnde Wirtschaftskompetenz vor.
3. Geht es beim Klima voran?
Das neue Jahr wird für Robert Habeck klimapolitisch so starten, wie schon das vergangene verlief: eher bescheiden. Die Polizei will im Januar Lützerath räumen, wo Klimaaktivisten dagegen protestieren, dass das Dorf für die Kohle im Boden abgebaggert wird. Es wird hässliche Bilder geben in Nordrhein-Westfalen, und verantwortlich wird auch Robert Habeck sein.
Er hatte das Ende von Lützerath mit seiner Parteifreundin und Düsseldorfer Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur besiegelt. Wobei die beiden natürlich eher andere Ergebnisse der Verhandlungen mit dem Energiekonzern RWE betonten: Der Kohleausstieg wird im rheinischen Revier auf 2030 vorgezogen, und andere bedrohte Dörfer bleiben von den Baggern verschont.
Klimaschützer argumentieren, in Lützerath würde trotzdem viel zu viel Kohle gefördert, wenn man die Klimaziele noch erreichen wolle. Und so ist es für Habeck mit dem Ort so wie in vielen anderen Klimaschutzfragen: Kleinen und großen Erfolgen stehen immer auch kleine und große Niederlagen gegenüber.
Seinen Erfolg, die Wohnungen in diesem Winter warm und die Wirtschaft am Laufen zu halten, hat er aus Sicht vieler Klimaschützer zu teuer erkauft: Mit Gaslieferverträgen, die zu lange Laufzeiten hätten. Und mit dem Anwerfen von Kohlekraftwerken, die längst abgeschaltet sein sollten – und jetzt weiter die Erde erhitzen.
Klimaschützer fürchten einen "fossilen Lock-in". Da die Laufzeit der Kohle einmal verlängert wurde, sei der Weg zur zweiten Verlängerung kurz. Die Flüssiggas-Kapazitäten seien sowieso überdimensioniert, in einigen Jahren dürfe Deutschland ohnehin nicht mehr so viel verbrennen, wenn es sich an seine eigenen Klimaschutzziele halte.
Im Ministerium sieht man die Kritik entspannt, zumindest offiziell. Das Flüssiggas könne weiterverkauft und die schwimmenden Terminals könnten weiterverpachtet werden. Klimaschützer wenden ein, dass es dem Klima auch nicht helfe, wenn das Gas andernorts verfeuert werde. Das Klima kennt eben keine Grenzen.
Auch weitere Erfolge, für die sich Habeck lobt, wie die Beschleunigung beim Ausbau der Wind- und Solarkraft oder die Fortschritte auf EU-Ebene, werden von Misserfolgen begleitet. So gibt es auch mehr als ein Jahr nach Amtsantritt der Ampel noch immer kein Klimaschutz-Sofortprogramm. Habeck hat sich mit FDP-Verkehrsminister Volker Wissing völlig verhakt.
Wissing hatte ein Programm vorgelegt, das der zuständige Expertenrat als "schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch" abgeschmettert hatte. Nun besteht die FDP darauf, das Klimaschutzgesetz so zu ändern, dass nicht mehr jeder Sektor feste jährliche Ziele erreichen muss.
Selbst in der Bundesregierung rechnen sie damit, dass ein Kompromiss noch eine Weile auf sich warten lassen wird. Eine möglichst schnelle Lösung, die mehr ist als ein Formelkompromiss, könnte Habeck aber gut gebrauchen. Damit der "Gasminister" auch wieder das wird, was er eigentlich sein will: ein Klimaschutzminister.
- Eigene Recherchen