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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Konflikte in der Ampel Rumms
Die Ampel wollte für Fortschritt stehen – und einen neuen Stil pflegen. Doch vor der Kabinettsklausur zeigt sich mehr denn je: Der Zusammenhalt zerbröselt.
Wie schön das alles klang. Damals, Ende November. Olaf Scholz stand im Berliner Westhafen auf einer Bühne, neben ihm die Spitzen von SPD, Grünen und FDP. Die Ampel hatte gerade ihren Koalitionsvertrag fertiggeschrieben, und der sonst so nüchterne Scholz kam gar nicht mehr aus dem Schwärmen heraus.
Eine "Koalition auf Augenhöhe mit drei Partnern, die ihre Stärken einbringen, zum Wohle unseres Landes", wolle man, sagte der Bald-Kanzler da. "Uns eint der Glaube an den Fortschritt und daran, dass Politik etwas Gutes bewirken kann. Uns eint der Wille, das Land besser zu machen, es voranzubringen und es beisammenzuhalten."
Heute, neun Monate später, scheint kaum noch etwas die Ampelkoalition zu einen. Statt sich darum zu kümmern, das Land beisammenzuhalten, muss Scholz erst einmal schauen, dass in seiner Regierung nicht alle aufeinander losgehen.
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Ein Thema der heute beginnenden Koalitionsklausur in Meseberg scheint also gesetzt. Doch ob zwei Tage in der brandenburgischen Schlossidylle dafür ausreichen, ist zu bezweifeln. Denn die Probleme der Ampel sind so groß wie die Unterschiede zwischen den Partnern. Die Koalition hat eher in einen Modus des allgemeinen Raufens gewechselt.
Die FDP-Basis und ihre klaren Erwartungen
Da ist zunächst der kleinste Koalitionspartner: Bei der FDP wird man nicht müde zu betonen, dass man ja den weitesten Weg in diese Regierung gehabt habe. Ein Bündnis mit "zwei linken Parteien", wie es bei den Liberalen gern heißt, sei schwierig, deshalb wollten einige den Koalitionsvertrag vor allem mit ihrer gelben Handschrift versehen. Und es gelang, die FDP konnte sich bei vielen Punkten durchsetzen. Kein Tempolimit, dafür eine Rückkehr zur Schuldenbremse und eine Pandemiepolitik, die mit deutlich weniger Verboten operiert. Es sah alles gut aus für die Liberalen.
Dann kamen der Frühling und der Sommer – und der Druck stieg. Unter anderem deshalb, weil die FDP bei drei Landtagswahlen verlor. Auch deshalb hält der Parteichef und Finanzminister Christian Lindner so vehement an der Rückkehr zur Schuldenbremse im nächsten Jahr fest. Die gilt schlicht als eine der Säulen liberaler Politik.
Aber es ist eben keine wirklich tragende Säule für SPD und Grüne. Beide wollen gerade die Bezieher von kleinen und mittleren Einkommen entlasten. Und Lindner will seine Koalitionspartner nicht verprellen, deshalb teilte er am Montag via Twitter mit: "Für diesen Winter bereiten wir ein drittes Entlastungspaket vor. Ich beobachte genau, wie sich die Steuereinnahmen und Staatsausgaben 2022 entwickeln." Und er setzte, eher vorsichtig hinzu: "Sollten sich daraus finanzielle Möglichkeiten ergeben, werden wir sie nutzen." Das klang ein wenig versöhnlich.
Wie sehr die Vorstellungen der FDP mit denen von SPD und Grünen kollidieren, zeigt sich auch in der Pandemiepolitik. Noch vergangene Woche stellten Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) und Justizminister Marco Buschmann (FDP) ihren Vorschlag für das neue Infektionsschutzgesetz vor. Doch der ist brüchig, wie sich nun zeigt. Lauterbach warnte in der "Welt am Sonntag" vor "schwierigen Zeiten", die dem Land bevorstünden – ein indirekter Appell, sich offen für neue Maßnahmen zu zeigen. Dagegen stemmt sich aber Buschmann. Er wurde in der "FAZ" deutlich: Seine Partei werde einem erneuten Lockdown nur zustimmen, "wenn sich die Hölle unter uns auftut". Man dürfe die Menschen nicht "durch Horrorszenarien verrückt machen". Der Ton wird also wieder schärfer.
Die grüne Angst
Bei den Grünen fanden sie das Verhalten der FDP schon vor der Sommerpause ziemlich grenzwertig. Dass sich jeder Partner profilieren muss in einer Koalition, das sehen natürlich alle ein. Aber die FDP, so die Kritik, tue das zu oft auf Kosten der anderen. Zuletzt meist: auf Kosten von Robert Habeck.
Das ging aus ihrer Sicht schon vor der Sommerpause los, nämlich mit der Atomkraftdebatte. Die FDP beharrte darauf, dass Habeck doch noch einmal prüfen möge, ob ein Weiterbetrieb der drei letzten Meiler nicht doch etwas Linderung bringen könnte. Bei den Grünen wertete das mancher als reine Schikane, immerhin war ein solcher Stresstest von Habeck schon einmal zum Ergebnis gekommen, dass er in dieser Lage nicht viel nutze. Und doch beugte sich der Wirtschaftsminister.
Denn da gibt es eine Angst bei den Grünen: Was, wenn im Herbst mit den Energiepreisen die Wut auf die Bundesregierung weiter steigt? Und wenn dann alle auf den Wirtschaftsminister zeigen, der das mit dem Gas und den Atommeilern ja nun mal lösen muss? Er rechne mit einer heftigen Debatte, sagte Habeck selbst vor der Sommerpause, "auch über mein Ministerium, über meine Person".
Es ist dieser Kontext, in dem die jüngsten Attacken auf Habeck aus grüner Sicht zu sehen sind. Als sich nun auch hochrangige SPD-Politiker zuletzt als Habeck-Kritiker hervortaten, platzte dem Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz auf Twitter der Kragen: "Die schlechte Performance des Bundeskanzlers, seine miesen Umfragewerte, Erinnerungslücken bei Warburg und seine Verantwortung bei Northstream 2 werden durch unloyales Verhalten und Missgunst in der Koalition nicht geheilt werden."
Die SPD ist "stinkig"
Es ist tatsächlich bemerkenswert, wie die SPD nach der Sommerpause auftritt. SPD-Chef Lars Klingbeil höchstpersönlich warf Habeck bei der Gasumlage "handwerkliche Fehler" vor und forderte "Substanz" statt "schöner Worte". Sein Generalsekretär Kevin Kühnert sagte, das "argumentative Kartenhaus" breche zusammen, wenn Unternehmen profitierten, die gar nicht von der Insolvenz bedroht seien. Viele Abgeordnete im Bundestag seien "stinkig". Und zwar auf Habeck.
Und am Sonntag setzte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese noch einen drauf, mit einer deftigen Generalkritik am Wirtschaftsminister: "Das Prinzip Habeck geht so: Auftritte filmreif, handwerkliche Umsetzung bedenklich und am Ende zahlt der Bürger drauf."
Nun geht es in der Politik manchmal deftig zu, man denke nur an die schwarz-gelbe Koalition, wo man bei der Union und FDP mit "Wildsau" und "Gurkentruppe" eher eigenwillige Kosenamen füreinander fand. Doch die Ampel wollte es ja gerade anders machen, die SPD vorneweg. Und zwar aus einem einfachen Kalkül heraus.
Die SPD wollte gewissermaßen das Merkel'sche Naturgesetz kopieren: Solange die Regierung halbwegs solide Arbeit leistet, profitiert am Ende die Kanzlerin. Oder jetzt eben: der Kanzler. Die Genossen waren daran in den Jahren der großen Koalition fast verzweifelt, weil sie für sich in Anspruch nahmen, eigentlich viel mehr zu tun in der Regierung. Und trotzdem verlor die SPD von Wahl zu Wahl immer mehr an Boden – im Gegensatz zu Merkels CDU.
FDP und Grüne sollten deshalb in der Ampel glänzen, ganz ausdrücklich. Damit alle und am Ende auch der Kanzler und die SPD glänzen. So die Theorie. Doch neun Monate später glänzen in der Praxis eben vor allem die Grünen. In den Umfragen liegt die SPD zum Teil nur noch bei 18 Prozent. Schon länger deutlich hinter der Union, aber inzwischen eben auch deutlich hinter den Grünen, die bei rund 25 Prozent liegen. Auch dank ihres beliebtesten Ministers: Robert Habeck.
Das kann sich natürlich ändern, Politik ist schnelllebig, die nächste Bundestagswahl noch lange hin. Doch bei der SPD wächst erkennbar die Nervosität. Wohl auch, weil in Niedersachsen Anfang Oktober eine Landtagswahl ansteht und die CDU der regierenden SPD dort gefährlich nahekommt.
Doch ob sich der Raufmodus der Ampel bis dahin ohne größere Blessuren durchhalten lässt?
- Eigene Recherchen
- youtube.de: Vorstellung des Koalitionsvertrags zwischen SPD, BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und FDP
- Umfragen via wahlrecht.de