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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Anruf bei thüringer Linken-Politikerin AfD-naher YouTuber gab sich als Ministerpräsident aus
Nächste Episode im Wirrwarr um die Thüringer Ministerpräsidentenwahl: Die Linken-Landesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow wurde mit einem vermeintlichen Angebot reingelegt, Ministerin zu werden.
Ein AfD-nahe YouTuber hat sich bei einem Anruf am Mittwochabend kurz vor Mitternacht als Thüringens Ministerpräsident Thomas Kemmerich ausgegeben und damit weiter für Verwirrung gesorgt: Der YouTuber rief bei der Frau an, die Kemmerich bei der Wahl den Blumenstrauß vor die Füße geworfen hatte und damit bundesweit bekannt wurde: Susanne Hennig-Wellsow, die Landes- und Fraktionsvorsitzender der Linken. Inhalt des Telefonats war ein vermeintliches Angebot an sie, Innenministerin zu werden. Die Situation ist in diesem Video zu sehen:
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Die Linken-Politikerin entschuldigte sich am Sonntag in einem Beitrag auf Facebook, nachdem der Youtuber Klemens Kilic sein Video mit dem Anruf veröffentlicht hatte. Sie war zwar auf das Angebot nicht eingegangen und hatte dem Anrufer nur gesagt, es zur Kenntnis zu nehmen und die Gremien zu informieren.
"In absurden Zeiten nichts für unmöglich gehalten"
Sie hatte den Anruf aber für echt gehalten und so auch an Journalisten weitergegeben, ohne noch einmal bei Kemmerich nachzufragen. Das sei nicht in Ordnung gewesen, so Hennig-Wellsow. "Ich habe in diesen absurden Zeiten nichts für unmöglich gehalten."
Der "Spiegel" hatte die Information der Linken-Politikerin in einem Beitrag zur Situation in Thüringen dann ungeprüft verbreitet. Am Samstag hatte die FDP Thüringen auf Twitter erklärt, die Nachricht von einem Angebot an Hennig-Wellsow sei "glatt gelogen". Kemmerich selbst hatte auf Twitter nur sachlich klargestellt: "Es gab kein Angebot an Frau Hennig-Wellsow, ein Ministeramt zu übernehmen."
Die Verwirrung um die gegensätzliche Darstellung wurde dann am Sonntag aufgelöst, als Kilic sein Video veröffentlichte. Der Spiegel korrigierte seinen Text entsprechend mit dem Hinweis. Die reingelegte Politikerin kommentierte Kilic: "Ein rechter Troll, der schon Politiker aus anderen Parteien mit Telefonscherzen belästigt hat, um sich dann in der rechtsradikalen Social Media Blase von anderen rechten Trollen feiern zu lassen".
Auch Stegner und Baerbock schon Opfer
Medien-Experten kritisierten aber auch die Leichtgläubigkeit in der Politik: "Falls es bislang nicht passiert ist, ist eine Sensibilisierung in Sachen Social Engineering jetzt in allen demokratischen Parteien überfällig", kommentierte Karolin Schwarz, Faktencheckerin und Autorin des demnächst erscheinenden Buchs "Hasskrieger. Der neue globale Rechtsextremismus". Der Social-Media-Experte und Politikberater Martin Fuchs, auf twitter als "Wahl-Beobachter" unterwegs, merkte an: "Medienkompetenz in der Politik. Soooo wichtig. Gibt's da eigentlich irgendwo Kurse für das Spitzenpersonal?"
In der Vergangenheit hatte Kilic schon einmal den SPD-Politiker Ralf Stegner mit einem Fake-Anruf genarrt. Als vermeintlicher SPD-Vorsitzender Norbert Walter-Borjans hatte er Stegner gefragt, ob der den Posten von Olaf Scholz übernehmen wolle. Stegner hatte das Angebot ernst genommen und aufgegriffen. Kilic hatte sich auch auf einer Veranstaltung zur Grünen-Vorsitzenden Annalena Baerbock gestellt und dann ein Video davon verbreitet, wie er an ihrer Seite "Blau wählen für Deutschland und Sachsen" sagt.
Trotz der einseitigen Auswahl wehrt er sich dagegen, "in die Ecke gestellt zu werden". Er bezeichnet sich selbst als "patriotisch und konservativ". Dagegen hatte etwa der CDU-Politiker Friedrich Merz gesagt, Kilic gehöre "ganz eindeutig der rechtsradikalen Szene" an.
*In einer früheren Version des Textes hatten wir Thorsten statt Thomas Kemmerich geschrieben.
- Eigene Recherchen
- Posting Susanne Hennig-Wellsow