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Streit um KiKa-Doku: Wie uns die Liebe zwischen Einheimischen und Geflüchteten herausfordert


Streit um Flüchtlings-Doku
Diese Liebe fordert uns alle heraus

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

12.01.2018Lesedauer: 4 Min.
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Malvina und Diaa: Ein starker Film im falschen TV-Format.Vergrößern des Bildes
Malvina und Diaa: Ein starker Film im falschen TV-Format. (Quelle: Kinderkanal/Youtube)

Ein deutsches Mädchen (16) verliebt sich in einen jungen Syrer (19) mit problematischen Einstellungen. Der KiKa von ARD und ZDF hat eine Doku darüber gemacht und wird dafür nun massiv kritisiert. Ein Lehrstück über Konfliktlinien in unserer Einwanderungsgesellschaft.

Um es vorweg zu schicken: Ich liebe den KiKa. Der Sender von ARD und ZDF ist im Vergleich zur Konkurrenz wunderbar. Wenn Kinder in ihrer Fernsehzeit den Kinderkanal einschalten, können sich aufmerksame Eltern zurücklehnen. Mit einer Doku aber über die Liebe zwischen dem 16-jährigen deutschen Mädchen Malvina und dem 19-jährigen syrischen Geflüchteten Diaa haben sich die Programmmacher aus pädagogischer Sicht allerdings etwas verhoben.

Derzeit prasselt die Kritik nur so auf sie ein. Zunächst gab es Irritationen wegen des Alters des Jungen. Es musste korrigiert werden, was nicht sein sollte. Dafür hat sich der Sender entschuldigt. Vor 4 Jahren hätte so ein Fehler niemanden interessiert, aber heute diskutieren wir aufgeregt über minderjährige Flüchtlinge im Kontext von Kriminalität und Abschiebungen.

Haltungen mit Sprengkraft

Substanzieller ist die Auseinandersetzung mit dem Inhalt des 24-minütigen Films. Der junge Mann, in der Kriegsstadt Aleppo im Norden Syriens aufgewachsen, erhebt Besitzansprüche gegenüber seiner Freundin. Er möchte, dass sie keine kurzen Sachen trägt. Das sei für arabische Männer schwer zu akzeptieren, sagt er. Er mag es nicht, wenn andere Jungs sie umarmen. Es wäre ihm lieb, sie würde zum Islam konvertieren und ein Kopftuch tragen. Schwule mag er nicht. Solche Haltungen bergen Sprengkraft in sich, die man nicht unkommentiert stehen lassen darf. Ein gerade Volljähriger drängt seine minderjährige Freundin dazu, ihr Weltbild dem seinen anzupassen.

Das ganze Thema ist brandaktuell. Tagtäglich verlieben sich Einwanderer und Deutsche ineinander, insbesondere nach dem gesteigerten Zuzug von Menschen seit 2015. Dabei treten Konflikte auf, und es ist ein Verdienst des KiKa, diese aufgegriffen zu haben.

Das TV-Format war ungeeignet

Der dargestellte Fall jedoch ist zu komplex für eine bloße Ausstrahlung im TV. Er spricht zu viele Dimensionen an: Bürgerkrieg, Flucht, Jugendalter, Erste Liebe, Elternkonflikte, Heirat, Geschlechterrollen, fremde Kulturen, Religionen, Skepsis gegenüber dem Islam, Vorurteile, Minderheitensituation, Ängste. Jedem Fachkundigen werden die vielen Diskrepanzen sofort klar, aber Laien nicht. Der Fall eignet sich nicht für ein TV-Format, in dem nur die Protagonisten zu Wort kommen und ein Sprecher aus dem Off oder Interviewpartner mit Einordnungen fehlt. Es wäre besser gewesen, man hätte hierfür eine weniger konfliktreiche Beziehung ausgewählt.

So überfordert der Film jugendliche Zuschauer. Nicht mal Erwachsene können all die Dimensionen ohne Weiteres begreifen, wie die öffentliche Kritik an der Doku zeigt. Sie kapriziert sich auf die Situation des Mädchens und viktimisiert es. Aber das Mädchen ist kein Opfer. Sie ist für ihr Alter sehr selbstbewusst, höchst reflektierend, sagt Sätze wie: "Ich bin eine Christin. Und eine Emanze."

Zugleich wird der junge Mann zum Bösen stilisiert. Dabei ist er ebenso um Entgegenkommen bemüht. Er setzt sich mit der Haltung seiner Freundin auseinander, hört ihr zu, sagt Sätze wie: "Wenn der Vater etwas sagt, muss der Sohn bei uns zuhören. Aber machen muss er es nicht." Würde man den Film übrigens einem arabischen Publikum zeigen, würde es vor allem den Jungen als Opfer sehen: entwurzelt, getrennt von der Familie, unverstanden, angeprangert für seine Sozialisation.

Film verdient dennoch das Prädikat wertvoll

Dem Autor der Doku, Marco Giacopuzzi, ist dennoch ein starker Film gelungen. Pädagogisch verdient er das Prädikat wertvoll. Ich würde ihn jederzeit in der Arbeit mit minderjährigen Flüchtlingen, deutschen Jugendlichen, mit Mädchen und selbst Erwachsenen einsetzen – aber im Rahmen einer didaktisch konzipierten Vor- und Nachbereitung. Der Film gibt keine Lösungen vor. Er bringt allein die Schwierigkeiten einer Liebesbeziehung und die Spannungen eines Paares zum Ausdruck. Der Zuschauer weiß nicht, ob es ein Happy End gibt oder nicht. Und das ist klug, denn das kann niemand wissen.

Junge Männer, die allein nach Deutschland kommen, sind oft verloren, erst recht, wenn sie kriegstraumatisiert sind und in ihrer neuen "Heimat" Ablehnung spüren. Sie sind orientierungslos in einem fremden Land. Ihre ersten Freunde sind Gleichaltrige mit ähnlichen Lebensgeschichten, nicht weniger verloren als sie selbst. Aus solchen Verbindungen, in denen das erzieherische Korrektiv der Eltern fehlt, entsteht oftmals nichts Gutes.

Nicht selten finden sie ihren ersten positiven Zugang zur deutschen Gesellschaft über eine Romanze mit einem deutschen Mädchen. Sie lassen sich auf diese Mädchen ein, versuchen, offen zu sein. Wie in der Doku angedeutet, droht jedoch mitunter ein Bruch in der Liebesbeziehung, wenn die Eltern und der Rest der Familie nachgeholt werden.

Der Vater sagt dem Jungen im Film, ihm sei es nicht recht, dass er eine deutsche Freundin habe. Das vergrößert die Zerrissenheit. Plötzlich stehen die jungen Männer zwischen der Liebe zu ihrer deutschen Freundin und der besonderen Anziehungskraft der eigenen Familie in diesem Kulturkreis. Hinzu kommt womöglich Mitleid mit den Eltern, die aufgrund mangelnder Sprachfähigkeiten noch hilfloser in der Fremde sind als man selbst. Wem gehört nun die Loyalität?

Beide Seiten sind überfordert

Zugleich sind deutsche Mädchen überfordert, kennen in der Regel weder die Herkunftskultur ihres Geliebten, noch können sie mit den schlimmen Lebenserfahrungen (der Junge im Film sagt, er wolle lieber nicht über seine Kriegserinnerungen sprechen) etwas anfangen. Zur Toleranz erzogen, öffnen sie sich mit guten Absichten (das Mädchen im Film zeigt sich kompromissbereit: Dann verzichte sie eben auf Hotpants, er sei ihr wichtiger, sagt sie) und kommen womöglich unter die Räder.

Die KiKa-Doku gibt viele Hinweise auf potenzielle Liebeskrisen, die man mit Jungen und Mädchen in Einwanderungsgesellschaften bereden sollte. Viele binationale oder bireligiöse Beziehungen funktionieren gut, manche scheitern. Herausforderungen gibt es in jeder Partnerschaft. Wichtig ist, sich über mögliche Stolpersteine vorher mal Gedanken gemacht zu haben.

Die massive öffentliche Kritik an dem Film, mehr als einen Monat nach der Erstaustrahlung Ende November, schließlich ist hanebüchen. Die künstliche Aufregung ist wieder mal ein Produkt der sozialen Medien, primär betrieben von jenen Stimmungsmachern gegen muslimische Flüchtlinge, die Angela Merkel für eine "Volksverräterin" halten oder den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als "Staatsfunk" diffamieren. Vergessen Sie diese Hysterie. Um die Sache geht es diesen Scharfmachern nicht.

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