Stille sächsische Beleidigungen Kretschmer, die Sorben und ein fataler Irrtum
Sachsens neuer Premier Michael Kretschmer, CDU, schweigt im TV an der falschen Stelle. Er grenzt damit die Minderheit der Sorben aus und
Erst einen Monat ist er im Amt, aber ein Versprechen hat Sachsens neuer Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU schon einmal gebrochen. "Ich will der Ministerpräsident aller Sachsen sein", versprach Kretschmer bei seiner Kür im vergangenen Jahr. Doch damit machte er schon mal Schluss.
Im traditionell unkritischen DDR-Nostalgiesender MDR stellte sich der neue Regierungschef den Fragen zu den dringlichen Problemen des Landes. Es ging um Jobs, Landflucht, innere Sicherheit – aber wenig um die dringliche Frage des rechten Extremismus. Holger Reinboth, der parteilose Bürgermeister der Gemeinde Arzberg (Eigenwerbung "Im Ostelbien Nordsachsens"), durfte mit Kretschmer über die finanziellen Sorgen der klammen Kommunen sprechen.
Und er machte Kretschmer ein Kompliment. "Man muss ihm ja auch ein bisschen Bonus geben. Michael Kretschmer ist der erste sächsische Ministerpräsident. Nachdem wir zwei Ministerpräsidenten aus den westlichen Bundesländern hatten und einen Sorben", sagte Bürgermeister Reinboth und Kretschmer nickte genüsslich. Auch die beiden Moderatoren schwiegen zu dem kleinen Eklat.
Rechte Alltäglichkeit oder gezielte Verbeugung nach rechts?
Denn Reinboths Kompliment war vergiftet. Auf die Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf (geboren in der pfälzischen Chemiemetropole Ludwigshafen am Rhein) und Georg Milbradt (geboren im Luftkurort Eslohe im Hochsauerland) übernahm 2008 Stanislaw Tillich die Regierungsgeschäfte in Dresden. Tillich wurde in Neudörfel geboren, das liegt in der Lausitz in Sachsen. Aber auch im Siedlungsgebiet der Sorben.
Die Sorben (Serby) sind eine slawische Minderheit, mitunter auch bekannt als Wenden. Sie sprechen eine eigene Sprache, feiern ihre eigenen Osterbräuche, aber um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen, stellte Tillich noch als Ministerpräsident einmal klar: "Sorben und Deutsche leben seit mittlerweile tausend Jahren in der Lausitz. Wenn man wollte, könnte man den intellektuellen Streit entfachen, wer zuerst da war – Sorben oder Deutsche."
Kretschmers bewusste Beleidigung und Ausgrenzung
So viel Historie interessiert Kretschmer aber nicht. Sein Schweigen offenbart nicht allein historische Unkenntnis. Es ist auch eine stille Beleidigung seines Vorgängers Tillich. Und eine bewusste Ausgrenzung. Der CDU-Politiker macht auf konservative Wende. Doch der neue Konservatismus ist reichlich geschichtsvergessen. Und reichlich anbiedernd. Denn man könnte in Kretschmers Schweigen rechte Alltäglichkeiten in Sachsen vermuten. Oder ist es doch eine Anbiederung an den neuen alltäglichen rechten Extremismus im sächsischen Kernland. Denn im Gefolge von der ausländerfeindlichen Aufzüge von Pegida kam es in Sachsen auch verstärkt zu Übergriffen auf Sorben. "Über die vielen Jahre ist ein friedliches Miteinander prägend. Dennoch gibt es immer wieder auch einzelne Anfeindungen", musste Tillich schon vor vier Jahren in einem Interview mit der Tageszeitung "Die Welt" einräumen.
Kretschmers Inländerfeindlichkeit verstößt gegen UN-Konvention
Kretschmers Schweigen ist minderheitenfeindlich. Und es steht jenseits von Grundgesetz und völkerrechtlichen Konventionen. Schon 1979 definierte der renommierte Völkerrechtler Francesco Capotorti in einem UN-Bericht eine Minderheit als "numerisch unterlegene Gruppe", die in der betreffenden Gesellschaft keine "beherrschende Position" einnimmt, aber ihre kulturellen Besonderheiten aufrechterhalten will. Die Definition umfasst auch, dass Angehörige einer Minderheit Staatsbürger ihres Aufenthaltslandes sind. Die Sorben waren also nicht nur vor den Sachsen da. Sie besitzen auch einen deutschen Pass. Das garantierte schon die DDR, auch wenn Kretschmer jetzt scheinbar schweigend an diesem Rechtsstatus zweifelt.
Nach dem Fall der Mauer nahmen sich auch UN, Europarat und die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (heute OSZE) der Minderheiten an. Kern der Vereinbarungen sind das Recht auf eigene Bildungs-, Kultur-, Religionseinrichtungen, die Option auf muttersprachlichen Unterricht – sowie das Verbot der Diskriminierung. Auch durch Schweigen, wie im Fall des sächsischen Jung-Premiers Michael Kretschmer, der sich bereits im vergangenen Monat ereignete.
Ach, hätte CDU-Mann Kretschmer doch nur nicht geschwiegen
Die Bundesrepublik Deutschland hat die Konvention des Straßburger Europarats am 1. Februar 1998 angenommen und fünf Minderheiten anerkannt: die rund 60.000 in Brandenburg und Sachsen lebenden Sorben, circa 50.000 Friesen, knapp 70.000 deutsche Sinti und Roma sowie rund 50.000 in Schleswig-Holstein beheimatete Dänen.
In vielen Fällen gilt der weise Spruch: "Ach, hätte er doch nur geschwiegen." In Kretschmers Fall ist es anders: Ach, hätte er doch nur etwas gesagt. In jedem Fall sollte nicht nur den neuen Konservativen die Geschichtsvergessenheit des sächsischen Regierungschefs zu denken geben.
Quellen:
- Michael Kretschmers Schweigen im Nostalgiesender MDR (ab Min. 40:13)
- Interview mit Stanislaw Tillich
- Wikipedia-Eintrag Sorben
- Abriss zum Minderheitenrecht