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Demonstration für Oury Jalloh: Und wenn es doch Mord war?


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Demonstration zum Tod von Oury Jalloh
Und wenn es doch Mord war?

Von Lukas Latz, t-online.de, Dessau

07.01.2018Lesedauer: 5 Min.
Demonstranten in Dessau: Auch die erhobene Faust der US-amerikanischen "Black Lives Matter"-Bewegung war zu sehen.Vergrößern des Bildes
Demonstranten in Dessau: Auch die erhobene Faust der US-amerikanischen "Black Lives Matter"-Bewegung war zu sehen. (Quelle: Sebastian Willnow/dpa-Zentralbild)
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Im Herbst wurden die Ermittlungen zum Tod des Asylbewerbers Oury Jalloh eingestellt, obwohl ein Staatsanwalt von einem Tötungsdelikt ausging. Aber Freunde des Toten finden sich damit noch nicht ab.

Mouctar Bah lässt nicht locker. Der Wagen mit dem Lautsprecher ist kaputt, er fährt nicht mehr, aber er muss sich bewegen. Also schiebt Bah, immer weiter, gemeinsam mit einem halben Dutzend Helfer. Drei Stunden lang, ohne Handschuhe, dabei hat es gerade vier Grad. Noch weniger, wenn der Wind geht. Mouctar Bah lässt nicht locker, weil er eine Mission hat.

Er will die Welt davon überzeugen, dass sein Freund ermordet wurde. Er will, dass der Landtag sich dem Fall noch einmal annimmt. Dass aufgerollt wird, was er für einen der größten Justizskandale der Bundesrepublik hält. Dafür demonstriert er in Dessau – dreizehn Jahre nach dem Tag, an dem sein Freund Oury Jalloh in einer Zelle des Dessauer Polizeireviers verbrannte. Wenige Wochen nach dem Ende des Verfahrens.

Für Bah egal. Er hat erlebt, wie der Protest größer wurde. An jedem Jahrestag organisiert Ba gemeinsam mit der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ einen Marsch durch Dessau. „Bei unserer ersten Demonstration waren wir 200 Leute“, sagt er. „Heute sind wir mehrere Tausend Menschen.“

Bis zu 5000 Menschen, schätzen die Veranstalter, sind diesmal gekommen. Nach Schätzungen von t-online.de dürften es zwischen 3000 und 4000 Menschen gewesen sein. So viele wie nie. Viele Demonstranten kommen aus der linken Szene; sie sind aus Berlin, Leipzig oder Hamburg angereist.

Die Frage, die sie umtreibt, weil sie die offizielle Antwort nicht glauben, heißt: Was passierte am 07. Januar 2005 zwischen 12:05 und 12:35 in der Dessauer Polizeistelle?

Jalloh verbrante in der Zelle

Wirklich sicher ist nur, dass Polizisten Oury Jalloh, einen Asylbewerber aus Sierra Leone, am Morgen in Gewahrsam nehmen, weil er alkoholisiert in einem Park Frauen belästigt haben soll. Routine. Gegenüber den Polizisten soll er aggressiv gewesen sein, deswegen fixieren die Beamten ihn auf einer Matratze. Sie fesseln ihn an Armen und Beinen. Dann bricht ein Feuer in der Zelle aus. Oury Jalloh verbrennt.

Die bis heute ungeklärte Frage lautet: Wie kam es zu dem Brand? Hat Jalloh seine Liege angezündet, um Aufmerksamkeit zu erregen? War es ein Unfall? Oder hat, wie Bah glaubt, jemand anderes das Feuer gelegt? Was also, wenn es Mord war?

Der Dienstgruppenleiter wird zu einer Geldstrafe verurteilt

Die Staatsanwaltschaft geht zunächst davon aus, dass sich Jalloh in der Zelle selbst angezündet hat. Auf dieser Grundlage klagt sie den Dienstgruppenleiter an, der in der Nacht die Verantwortung für die Polizeistation trug. Also auch für Jallohs Leben.

Die Gerichte urteilen: Der Dienstgruppenleiter hätte den Tod Jallohs verhindern können, wenn er vorschriftsgemäß auf den Feueralarm reagiert hätte. Sie verurteilen ihn wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von 10.800 Euro. Das Urteil wird im Dezember 2014 rechtskräftig.

Aber Freunde von Oury Jalloh sind damit nicht zufrieden. Warum sollte Jalloh sich selbst anzünden, fragen sie. Und vor allem: wie? Immerhin war er an Händen und Füßen gefesselt.

Freunde geben Gutachten in Auftrag

In der Zwischenzeit haben sie sich in der „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ organisiert. Im Jahr 2013 stellen sie ihr erstes Brandgutachten vor, das sie mithilfe eines Experten durchgeführt haben und das die Selbstmordtheorie infrage stellt. Zwei Jahre später folgt ein zweites Gutachten, demzufolge an Jallohs Verbrennung wahrscheinlich Dritte beteiligt seien.

Der ermittelnde Oberstaatsanwalt Folker Bittmann lässt sich darauf ein und geht der These aus den beiden Gutachten nach. Auch er lässt die Verbrennung rekonstruieren. Die Experten kommen zu dem Schluss, es sei unwahrscheinlich, dass Oury Jalloh sich selbst angezündet habe.

Nicht nur, dass er gefesselt war: Die Matratze, auf der Oury Jalloh verbrannte, war mit einer feuerfesten Schicht überzogen. Es ist extrem schwer, dieses Material zu entzünden. Man müsste wohl die obere Schicht aufreißen oder Brandbeschleuniger verwenden. Außerdem stellten die Gerichtsmediziner bei der Autopsie von Jalloh einen normalen Adrenalinspiegel fest. Ein Mensch, der bei vollem Bewusstsein verbrennt, erlebt jedoch große Schmerzen und extremen Stress.

Trotz Mordverdacht: Verfahren wird eingestellt

Staatsanwalt Bittmann passt daraufhin seinen Ermittlungsansatz an. „Anfangsverdacht von Mord an Oury Jalloh durch die Dessauer Polizei“ – diese Notiz schreibt er in interne Unterlagen, die an die Presse durchgestochen wurden.

Jallohs Unterstützer schöpfen kurzzeitig Hoffnung.

Doch Bittmann wird später der Fall von der Generalstaatsanwaltschaft entzogen. Die Staatsanwaltschaft in Dessau sei überlastet gewesen, erklärt sie, es sei sinnvoll, noch einmal eine neutrale Stelle zu beuauftragen. Sie weist die Staatsanwaltschaft in Halle an, den Fall zu übernehmen. Die stellt das Verfahren Anfang Oktober 2017 ein.

Es habe keine ausreichenden Hinweise auf eine Beteiligung Dritter gegeben, begründen die Ermittler ihre Entscheidung: „Auch der von zwei verschiedenen Sachverständigen vorbereitete, gemeinsam durchgeführte und getrennt begutachtete Brandversuch vom 18.08.2016 hat keine sicheren Erkenntnisse erbracht.“ Die Staatsanwaltschaft glaubt nach mehreren Gutachten nicht mehr, dass der Fall zweifelsfrei geklärt werden kann.

Einige Gutachter werfen daraufhin der neu zuständigen Staatsanwaltschaft in Halle vor, sie nicht persönlich angehört zu haben.

Jallohs Bruder ist aus Sierra Leone gekommen

Nach fast zehn Jahren und mehreren Wendungen sind die Ermittlungen damit zu einem Ende gekommen. Juristisch ist der Fall abgeschlossen. Diesmal: endgültig.

Aber damit wollen sich Mouctar Bah und die anderen Demonstranten nicht abfinden. Und Saliou Jalloh erst recht nicht. Der Bruder von Oury Jalloh ist extra für die Demonstration aus Sierra Leone angereist. Auf Französisch bedankt er sich für die Solidarität. Er glaubt zu wissen, was passiert ist. Kurz nur wendet er sich an die Menge: „Oury Jalloh ist ermordet worden. Oury Jalloh ist ein menschliches Wesen. Oury Jalloh, das ist Blut, das geflossen ist.“

Die Demonstrierenden ziehen vom Bahnhof zum Rathaus zur Staatsanwaltschaft zum Amtsgericht bis zur Polizeistation in der Wolfgangstraße, in der Jalloh verbrannte. Dort werfen sie Feuerzeuge gegen das Gebäude.

Immer wieder rufen sie: „Oury Jalloh – das war Mord“. Hin und wieder auch: „Black lives matter!“ Es ist der der Slogan der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung, die gegen Polizeigewalt an Schwarzen kämpft.

Linke und Grüne fordern einen Untersuchungsausschuss

Weil sie den deutschen Behörden nicht mehr vertraut, fordert die „Initiative in Gedenken an Oury Jalloh“ die Einrichtung einer internationalen Kommission, die die Umstände des Todes von Oury Jalloh neu ermittelt. Dass eine solche Kommission eingesetzt wird, ist freilich extrem unwahrscheinlich.

Möglich wäre, dass der Landtag von Sachsen-Anhalt einen Untersuchungsausschuss einsetzt. Das fordern Linke und Grüne, denen aber einige Stimmen fehlen, um ihn einzusetzen. Sie wollen, dass das Parlament untersucht, ob die Justiz in dem Verfahren Fehler gemacht hat. Oder warum bis heute nicht schlüssig geklärt ist, was am 07. Januar 2005 zwischen 12:05 und 12:35 in der Zelle in Dessau passierte.

Quellen und weiterführende Informationen:
- Übersicht über die Entwicklung des Falls Oury Jalloh von 2005 bis heute auf Spiegel Online
- Feature im Deutschlandfunk über den Fall
- Bericht der ARD-Sendung „Monitor“ vom 30. November 2017, der die Diskussion um den Tod von Oury Jalloh wieder in Bewegung brachte
- Pressemitteilung der Staatsanwaltschaft Halle mit der Begründung für die Einstellung des Verfahrens
- Bericht in der taz über die Übertragung der Ermittlungen an die Staatsanwaltschaft Halle
- eigene Recherchen

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