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Historisches Urteil: Islamverbände sollten keine Religionsgemeinschaft sein


Historisches Urteil
Richtig so: Islamverbände sind keine Religionsgemeinschaften

Meinungt-online, Lamya Kaddor

Aktualisiert am 10.11.2017Lesedauer: 4 Min.
Minarett und Kuppel einer Moschee in Berlin: Das Religionsverfassungsrecht in Deutschland muss geändert werden.Vergrößern des BildesMinarett und Kuppel einer Moschee in Berlin: Das Religionsverfassungsrecht in Deutschland muss geändert werden. (Quelle: Archivbild/Paul Zinken/dpa-bilder)
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Ein historisches Urteil nach 20 Jahren Rechtsstreit: Der Zentralrat der Muslime und der Islamrat sind keine Religionsgemeinschaften. Das ist gut so.

Der Islamrat und Zentralrat der Muslime sind keine Religionsgemeinschaften im Sinne des Grundgesetzes. So hat es das Oberverwaltungsgericht Münster nach fast 20 Jahren Rechtsstreit entschieden. Das Urteil ist richtig! Weniger aus juristischer Sicht, mehr aus gesellschaftspolitischer. Die Entscheidung bietet eine große Chance.

Es droht Ungemach in deutschen Klassenzimmern, wenn ein Verband wie der Islamrat die Ausrichtung des Religionsunterrichts an staatlichen Schulen allein bestimmt. Diese Möglichkeit hätte nämlich ein anders lautendes Urteil des OVG geschaffen. Prägendes Mitglied im Islamrat ist die Bewegung Millî Görüş, ein Erbe des türkischen Islamisten Necmettin Erbakan. "Millî Görüş" heißt auf Deutsch: "National Sicht" – und damit ist nicht die deutsche gemeint.

Liberale Positionen? Nicht im Islamrat

Erst im Juni dieses Jahres zeigte der Islamrat sein Gesicht, als er es ablehnte, einen Aufruf zu einer Kundgebung gegen Gewalt und Terror im Namen des Islams zu teilen. Jemand mit liberalen islamischen Positionen würde von einem Verband wie dem Islamrat kaum eine Idschaza erhalten, eine Lehrerlaubnis für den islamischen Religionsunterricht.

Auch mit dem größten deutschen Islamverband, der DITIB, würde es angesichts ihrer aktuellen Führung, ihrer Verbindungen zur türkischen Regierung sowie ihren machtpolitischen Strategien und Egoismen zu erheblichen Problemen kommen, würden sie irgendwann die Anerkennung als Religionsgemeinschaft im Sinne des Grundgesetzes erhalten.

Koordinationsrat muss als gescheitert gelten

Meines Erachtens sollten gar keine einzelnen islamischen Verbände als Religionsgemeinschaften anerkannt werden. Ein solcher Weg institutionalisiert nur eine Zersplitterung des Islams, die am Ende niemand mehr überblickt. Jeder würde sich nur noch um eigene Belange kümmern. Schon der Koordinationsrat der Muslime (KRM), der Zusammenschluss der vier größten Islamverbände in Deutschland, muss seit langem als gescheitert gelten, dort herrscht allenfalls ein gemeinsames Gegeneinander.

Zudem vertreten die großen Islamverbände in Deutschland durchweg ein konservatives Religionsverständnis – was absolut legitim ist, denn konservative oder traditionelle Religionsauffassungen an sich sind kein Problem, sondern Realität. Aber kein einziger Vertreter auf Verbandsseite repräsentiert explizit liberale Einstellungen. Hier könnte der Liberal-Islamische Bund e.V. sehr wichtige Impulse setzen; selbstverständlich schreibe ich hier auch als diejenige, die einst die Gründung des LIB organisiert hat.

Man kommt an den Verbänden nicht vorbei

Doch es geht mir dabei nicht nur um Verbandsinteressen, jeder neutrale Beobachter der muslimischen Gemeinschaft wird bestätigen können, dass die großen Islamverbände zwar einen nennenswerten, dennoch nur einen Teil der Muslime repräsentieren.

Man kommt an den Verbänden daher selbstverständlich nicht vorbei. Aber seit Jahren wird davor gewarnt, diesen vieren die alleinige Verantwortung zu übertragen. Diesen Fehler haben schon die frühere Landesregierung in Nordrhein-Westfalen und andere Bundesländer begangen, indem sie exklusive Übereinkünfte mit diesen Verbänden schlossen.

Neu und größer denken

Es ist gesellschaftspolitisch fatal, ihnen die alleinige Hoheit zukommen zu lassen. Letztlich sind sie ein Produkt des historischen Zufalls. Drei der Verbände sind durch und durch von der türkischen Auffassung vom Islam geprägt, und das nur deshalb, weil ein Großteil der so genannten Gastarbeiter einst aus der Türkei kam. Hätte es vor 50 Jahren Anwerbeabkommen mit dem Iran gegeben, hätten wir heute drei iranisch geprägte Verbände.

Keine Frage, es ist in der Tat ein schlechter Witz, dass der Islam, die zweitgrößte Religionsgemeinschaft der Welt, bis heute keine staatliche Anerkennung im Sinne des Grundgesetzes hat. Von daher muss natürlich gehandelt werden. Der Staat kann keine islamischen Inhalte bestimmen, dass können die Muslime nur selbst für sich tun. Es ist aber an der Zeit, das Ganze endlich neu und größer zu denken. Die Politik sollte mit dem Versuch aufhören, den Islam mit aller Gewalt in die bereits vorgefertigten Strukturen zu pressen. Die Grundlagen des Religionsverfassungsrechts bzw. des Staatskirchenrechts in Deutschland sind veraltet.

Voraussetzungen andere als in der Weimarer Republik

Würden die Katholiken oder Juden unter heutigen gesetzlichen Bedingungen neu starten, hätten sie ähnliche Schwierigkeiten wie die Muslime – die Katholiken, weil sie beispielsweise mit der Gleichberechtigung von Frau und Mann Schwierigkeiten bekämen; die Juden, weil ihre Religion ähnlich vielfältige Denkstrukturen und auch kein Oberhaupt hat.

Die deutschen Vorstellungen von der staatlichen Organisation einer Religionsgemeinschaft gehen zurück auf die Weimarer Republik. Heute sind die Voraussetzungen ganz andere. Ein Drittel der Bevölkerung ist konfessionslos, genau so viele wie katholisch und evangelisch sind. Hinzu kommen orthodoxe Christen, Juden, Hindus, Buddhisten und eben auch Muslime. Deutschland ist im Zeitalter von Globalisierung, Einwanderung und Individualisierung multireligiös und pluralistischer geworden.

Staatskonstruktion wird sich ändern müssen

Auch wenn es immer noch zahlreiche Verteidiger des Staatskirchenrechts gibt, die Konstruktion unseres Staates wird sich an dieser Stelle irgendwann zwangsläufig anpassen müssen. Denn der Staat ist für die Menschen da, nicht die Menschen für den Staat. So hieß es schon im Entwurf des Verfassungskonvents von Herrenchiemsee, 1948.

Der scheinbare Nachteil, dass sich Muslime nicht so schön staatlich organisieren lassen wie Katholiken, könnte auch ein großer Vorteil sein. Wir Muslime haben die Chance dazu, vielleicht zum ersten Mal in der neueren Geschichte des Islams, uns unter den freiheitlichen Bedingungen eines Rechtsstaats demokratisch zu organisieren.

Im Islam drängt sich da das ureigene Prinzip eines Beirats (arabisch: Schura) förmlich auf. Die meisten Muslime in Deutschland befinden sich im Religionsspektrum irgendwo zwischen liberal und konservativ. Das könnte ein Beirat prima abbilden. Vom Grundsatz her hat das Land NRW da den richtigen Gedanken aufgegriffen, indem es einen Beirat schuf, der die Inhalte des Islamunterrichts vorgibt. Leider hat die rot-grüne Vorgängerregierung alle Warnungen in den Wind geschlagen und die Besetzung nur in Kooperation mit dem Koordinationsrat der Muslime gestaltet. Aber diese als Übergangslösung installierte Konstrukt sollte weitergedacht werden.

Die Frage, die zu klären bleibt, ist die: Wer kommt wie in diesen Beirat. Da gäbe es verschiedene Möglichkeiten: Anerkannte Vereine und Verbände entsenden abwechselnd Mitglieder, entweder in einer demokratischen Wahl unter allen Muslimen in Deutschland bestimmt oder nach einem festen Rotationsprinzip. Das würde natürlich nicht nur Bewegung auf Seiten des Staats beim Staatskirchenrecht erfordern, sondern selbstverständlich auch Bewegung unter den Muslimen selbst.

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