Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Geheimakten ausgewertet Deutschland deckte blutigen Putsch
Die deutsche Botschaft in Indonesien wusste im Jahr 1965 vom geplanten Militärputsch, in dessen Zuge die Junta um General Suharto mindestens eine halbe Million Menschen ermordete. Das geht aus einem ehemals geheimen Dokument der US-amerikanischen Auslandsvertretung hervor, das t-online.de vorliegt.
Im Oktober beginnen die Massaker. Militärs und muslimische Milizen erschießen, erwürgen, zerstückeln, spießen Köpfe auf Speere, werfen die Leichen in Flüsse und Massengräber. Zum Opfer wird jeder, der als Kommunist oder als einer ihrer Sympathisanten gilt. Hunderttausende sterben, Millionen werden verhaftet. Die Gräueltaten ziehen sich über Monate.
Es ist 1965, die USA kämpfen in Vietnam und der Massenmord ist ein Mittel im Kampf gegen die kommunistische Internationale, Indonesien das Schlachtfeld eines globalen Krieges. Westliche Regierungen loben das rigorose Vorgehen der Militärjunta. Doch tun sie noch mehr?
Nachricht eines "vertrauenswürdigen Geschäftsmannes"
Die deutsche Botschaft kann von den Ereignissen jedenfalls kaum überrascht sein. Bereits am 11. Oktober steht sie über einen Mittelsmann in Kontakt mit der indonesischen Armee: Die Militärs berichten den Diplomaten aus dem Westen von ihren Plänen, den Präsidenten Sukarno zu stürzen. Das geht aus dem nun freigegebenen Dokument der US-Botschaft hervor, das tags darauf in der indonesischen Hauptstadt Jakarta angefertigt wird.
"Laut deutschem Botschaftsbeamten zieht die Indo Armee nun die Möglichkeit in Erwägung, Sukarno persönlich zu stürzen, und kontaktiert mehrere westliche Botschaften, um ihnen die Möglichkeit dieses Schrittes mitzuteilen", konstatiert der Verfasser in dem Dokument, das damals als "GEHEIM" eingestuft ist. Ein "vertrauenswürdiger deutscher Geschäftsmann" habe die deutsche Botschaft informiert. Die Armee erhoffe sich "Wohlwollen und ökonomische Hilfe".
Zu diesem Zeitpunkt wird vom Militär bereits propagandistisch anti-kommunistische Hysterie geschürt, viele sind verhaftet worden. Das Schlimmste steht Indonesien aber noch bevor. Noch ist der Machtkampf innerhalb der indonesischen Autokratie zwischen dem national-kommunistischen Präsidenten Sukarno und den anti-kommunistischen Militärs nicht entschieden. Er wird mehrere Monate dauern – begleitet von schwersten Verbrechen.
Erst die Propaganda, dann die Massaker
Aber der Reihe nach: Das Vorspiel zu den Bürgerkriegswirren liefert der bis heute mysteriöse Versuch eines Staatsstreichs in der Nacht zum 1. Oktober. Eine Gruppe, die sich "Bewegung 30. September" nennt, entführt Generäle der Armee und ermordet sie. Bald wird die an der Einheitsregierung beteiligte kommunistische Partei (PKI) dafür verantwortlich gemacht – eine Theorie, die nach heutigem Stand zumindest nicht belegbar ist. Schon damals, so zeigen die nun veröffentlichten Dokumente, haben US-Offizielle begründete Zweifel.
Als wahrscheinlicher gilt: Sukarno versucht, sich mit der Aktion rivalisierender Militärs zu entledigen, um seine Macht und den national-kommunistischen Kurs zu festigen. Er will vermutlich einem Putsch durch die Generäle zuvorkommen. Der gescheiterte Coup schwächt allerdings seine öffentliche Position, rückt ihn ins Fadenkreuz der Militärs, die ihn Schritt für Schritt entmachten. Zunächst gehen sie allerdings gegen die Kommunisten vor. Erst kommt die Propaganda, dann beginnen die Massaker.
Ein General tut sich in der Armee dabei besonders hervor: Suharto. Er wird später nach der Macht greifen und sie über 30 Jahre lang behalten. Am 29. Oktober erreichen die US-Botschaft erste Berichte über Massenexekutionen und Gräueltaten, wie es in weiteren ehemals geheimen Dokumenten heißt. Präsident Sukarno steht dem Vorgehen der Armee machtlos gegenüber.
Die US-Botschaft ist über das Morden in den kommenden Monaten im Detail informiert, diskutiert sogar Möglichkeiten, die Armee zu unterstützen, was "verdeckte Operationen (...), Transport, Geld, Kommunikationsmittel und Waffen" umfassen könne. Ein Botschaftsmitarbeiter wird auf dem Höhepunkt der Massaker eine Liste mit den Namen von Kommunisten an die Junta übermitteln. Auch Geld und Material geht schließlich an die neuen Verbündeten.
Botschafter diskutiert Putsch-Pläne mit Militär
Deutsche Diplomaten halten in den kommenden Monaten ebenfalls den Kontakt zu den Militärs, diskutieren Wirtschaftshilfen und Putschpläne mit ihnen. Im Dezember – da ist das Schlachten in vollem Gange – empfängt der deutsche Botschafter einen hochrangigen Beamten des indonesischen Außenministeriums. Er soll die Deutschen im Auftrag der Armee um Wirtschaftshilfen bitten – "um den anti-kommunistischen Elan des Volkes" nicht zu gefährden. Das geht aus ehemals geheimen Akten des Auswärtigen Amtes hervor. Im Wortlaut heißt es dort weiter:
"Vor der Entscheidung über größere Kredithilfen sei es notwendig zu wissen, wohin Indonesien gehe. Antwort: Die Armeeführung sei sich dieser Notwendigkeit bewußt. Man beabsichtige zwar nicht, Sukarno von der Präsidentschaft zu beseitigen, werde ihn aber unter strenger Kontrolle halten. [Außenminister] Subandrio müsse auf jeden Fall verschwinden, wie vermutlich das ganze bisherige Präsidium. Der anti-kommunistische Kurs werde konsequent fortgesetzt."
Der Botschafter verspricht daraufhin, "die indonesischen Wünsche mit freundlichem Wohlwollen zu behandeln". Wenig später soll Kapitalhilfe fließen. Die deutschen Diplomaten verfügen offenbar über ein gut funktionierendes Netzwerk bis in engste Zirkel der Macht. Welche Interessen verfolgt die Bundesrepublik in Indonesien, am anderen Ende der Welt?
In Bonn beobachtet man seit Jahren zunehmend besorgt die Entwicklung in der Ferne. Einen Kredit in Höhe von 200 Millionen DM hat das Kabinett Adenauer bereits 1961 zugesagt – "in Hinblick auf die DDR und die politisch schwankenden Haltung von Präsident Achmed Sukarno", heißt es in den Kabinettsprotokollen. Hermes-Bürgschaften für "unstreitig unwirtschaftliche" Projekte und Kapitalhilfen folgen bis zum Jahr 1965, obwohl sie "wirtschaftlich kaum verantwortet" werden können.
Internationales Ringen um die "Deutsche Frage"
Denn Sukarno hat einen Trumpf im Ärmel, wie der Protokollant des Erhard-Kabinetts im Januar 1965 vermerkt: "Nach Auffassung des Bundesministers des Auswärtigen solle mit den vorgeschlagenen Maßnahmen der akuten Gefahr vorgebeugt werden, daß die indonesische Regierung die SBZ anerkennt und mit dieser diplomatische Beziehungen aufnimmt."
Die "SBZ", das ist im damaligen Sprachgebrauch die "Sowjetische Besatzungszone", die DDR. Die Bonner Republik ringt mit ihr international um den Alleinvertretungsanspruch für das deutsche Staatsgebiet. Und auch die DDR lässt Gelder und Material nach Indonesien fließen. Das wissen die westlichen Geheimdienste. Mehr noch: Der ohnehin mit dem Kommunismus liebäugelnde Sukarno ist nicht irgendwer, sondern einer der Mitgründer der "Bewegung der Blockfreien Staaten". Er hat Einfluss.
coremedia:///cap/blob/content/82582752#imageData
Die bundesdeutsche Regierung will deswegen mit Druck reagieren. "Es sei zu entscheiden, ob nicht in ähnlichen Fällen eine härtere Linie verfolgt werden solle, zumal auch der Osten bei seiner Entwicklungshilfe härter auf politisch unliebsames Verhalten der begünstigten Länder reagiere", wird Minister Walter Scheel im Protokoll zitiert. Die Geduld der Republik mit dem indonesischen Präsidenten nähert sich offenbar ihrem Ende.
Im Mai 1965 spitzt sich die Lage zu: Die deutsche Botschaft erhält Hinweise, die Anerkennung der DDR durch Indonesien stehe unmittelbar bevor. Auf Weisung Bonns hat die deutsche Botschaft bereits mit einem Abbruch der Beziehungen gedroht. "Die Bundesregierung müsse überlegen, was sie tun könne, um noch rechtzeitig zu versuchen, Einfluß auf die Entwicklung zu nehmen. Es müsse eilig eine Entscheidung getroffen werden", erklärt Bundesminister Ludger Westrick in der Kabinettssitzung.
"Das letzte solide Bollwerk gegen den Kommunismus"
Aus Akten des Auswärtigen Amtes geht hervor: Wenige Wochen vor den Wirren um den 30. September sieht die deutsche Seite in der indonesischen Armee "das letzte solide Bollwerk gegen den Kommunismus". Bundesminister Westrick, der im Kabinett eine "eilige Entscheidung" fordert, ist zu dieser Zeit der Bundesnachrichtendienst (BND) unterstellt.
Gründungspräsident des Geheimdienstes ist damals der ehemalige Wehrmachtsoffizier Reinhard Gehlen. Deckname: "Dr. Schneider". Er wird wenige Jahre später in seiner Autobiographie schreiben, unter den am 30. September in Indonesien ermordeten Generälen seien "zwei bewährte Freunde Deutschlands" gewesen. "Glücklicherweise" sei der BND in der Lage gewesen, "der Bundesregierung aus hervorragenden Quellen (...) rechtzeitig und eingehend über den Ablauf der für Indonesien so entscheidenden Tage berichten zu können". Das Militär habe die Kommunistische Partei mit "Konsequenz und Härte" ausgeschaltet.
Doch ist der BND daran auch aktiv beteiligt? Der Journalist und Geheimdienst-Experte Erich Schmidt-Eenboom meint: Deutschland greift ein. 2014 zitiert er in seinem Buch aus dem Entwurf eines Vortrags, den der spätere BND-Chef Gerhard Wessel im Jahr 1968 vor dem Vertrauensgremium des Bundestages gehalten haben soll:
"Im Oktober 1965 bereits bestehende enge Verbindungen zum indonesischen strategischen ND [Nachrichtendienst] ermöglichten Unterstützung (Berater, Geräte, Geld) des indonesischen ND und militärischer Sonderorgane bei Zerschlagung der KPI (und Entmachtung Sukarnos - Steuerung und Unterstützung von Demonstrationen). Nach Ansicht indonesischer Politiker und Militärs (Suharto, Nasution, Sultan) großer Anteil BND am Erfolg."
Sicher ist: "Wohlwollen und ökonomische Hilfe", die sich die Armee bereits Anfang Oktober 1965 für die Zeit nach dem Putsch von Deutschland erhofft, erhält sie im Nachgang tatsächlich. Schon im Dezember 1966 – nur wenige Monate nach den blutigen Pogromen – ist ein Sofortkredit in Höhe von 50 Millionen DM zugesagt und Außenminister Willy Brandt weist im nun regierenden Kabinett Kiesinger "auf die politische Bedeutung einer schnellen und großzügigen Hilfe aller Gläubigerländer für das neue Regime in Indonesien hin".
Der ehemalige Präsident Sukarno ist zu dieser Zeit nur noch "ein Gefangener der Generäle", wie der britische Außenminister im Gespräch mit der deutschen Regierung sagt. Suharto hat ein halbes Jahr zuvor mit seiner Junta die Macht übernommen.
Und Suharto wird an der Macht bleiben. Über 30 Jahre wird er diktatorisch regieren, während Deutschland sein Regime unterstützt, egal ob der Kanzler Brandt, Schmidt, oder Kohl heißt. Flugzeuge, Hubschrauber, U-Boote: Die großen deutschen Rüstungskonzerne machen gute Geschäfte mit der Junta. Die Bundesregierung sichert sie mit Bürgschaften ab, während Suharto Ost-Timor überfällt und besetzt. Dort sterben zwischen 1975 und 1999 erneut fast 200.000 Menschen.
Helmut Kohl geht mit Suharto angeln
Doch Deutschland weiß, was es an Suharto hat. "Ich begrüße Sie als einen bewährten Freund Deutschlands, der auch in schwierigen Zeiten immer unser Streben nach der Einheit unseres Volks verstanden hat", sagt Bundeskanzler Helmut Kohl 1995 zur Eröffnung der Hannovermesse. Indonesien ist Partnerland in diesem Jahr und Suharto besucht – begleitet von Demonstrationen – zum wiederholten Mal die Bundesrepublik. Zurück in der Heimat wird er Ermittlungen gegen angeblich beteiligte Aktivisten befehlen.
Auch Kohl besucht seinen "Freund". Den Ausdruck gebraucht er gern, wenn er von Suharto spricht. Vier Mal fliegt er während seiner Amtszeit ins ferne Jakarta, geht Angeln mit dem Präsidenten, während Menschenrechtler protestieren. Erst 1998 endet die Ära der Macht. Sowohl für Suharto, als auch für Kohl. Zehn Jahre später stirbt der General.
In Indonesien erkennt die Nationale Menschenrechtskommission 2012 die "massiven Menschenrechtsverletzungen" der Jahre 1965 und 1966 an. Suharto sei persönlich für sie verantwortlich. Bis heute hat sich die indonesische Regierung allerdings nicht für die Verbrechen entschuldigt. Strafrechtliche Prozesse gibt es nicht. Noch immer kämpfen Menschenrechtsgruppen für die Aufarbeitung.
In Deutschland streitet die Bundesregierung eine "Verstrickung deutscher Stellen" in die damaligen Ereignisse bislang ab, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken-Fraktion im Bundestag 2014 hervorgeht. Die Bundesregierung oder der BND hätten nach damaligem Kenntnisstand Gewalttaten weder "direkt noch indirekt" unterstützt. Die Bundesrepublik habe wesentlich "unter den Rahmenbedingungen des Kalten Krieges" gehandelt. Eine Analyse bleibe der historischen Forschung überlassen.
- Die ehemals geheimen Unterlagen des US-Außenministeriums wurden durch das National Security Archive an der George Washington University zugänglich gemacht. Die Dokumente des Auswärtigen Amts wurden in der Editionsreihe "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" vom Institut für Zeitgeschichte herausgegeben. Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierung stammen aus dem Bundesarchiv.