G20-Talk bei Dunja Hayali Ist linke Gewalt die bessere?
Links, rechts, ganz unten und ganz oben: Bei Dunja Hayali ging es am Mittwoch in allen Himmelsrichtungen um die Extreme. Der menschliche Irrsinn lauert überall.
Die Gäste
- Bodo Ramelow, Die Linke, Ministerpräsident Thüringen
- Markus Söder, CSU
- Olaf Sundermeyer, Journalist
- Katja Suding, Landesvorsitzende FDP, Hamburg
- Mara Fischer, Leiterin Notunterkunft Berlin
- Ulla Kock am Brink, TV-Moderatorin
Das Hauptthema
Gibt es die „Legende der guten Gewalt“? Dunja Hayali hat noch einmal den Finger in die Wunde gelegt. Hamburg. G20. Als Kontrapunkt das Rechts-Rock-Konzert in Thüringen. Gewalt. Von links. Von rechts. Die Gipfel-Gegner, die ein ZDF-Team besucht hatte, und ihr Streben nach einer „linken Gegenkultur“, die sich mit internationalen Befreiungsbewegungen solidarisiert, die „Hass auf die Strukturen“ predigt, der angeblich „kein Hass auf die Menschen, die hier leben“ sein soll. Aber „Do not love Cops“-Shirts werden trotzdem produziert. Denn: Laut der linken Extremen braucht es die „Auseinandersetzung mit der Polizei auf der Straße“. Also das, was in Hamburg passiert ist.
Es braucht die Verdrehung der Gewalt, in der die Polizei zu den eigentlichen Tätern werden und die militante Linke sich dieser Entwicklung mutig entgegen stellt. Eine bizarre Welt, die Hayali aufzeigte, in der der Anti-Globalisierungskampf anerkannt wird, während Rechtsextremismus zurecht verteufelt wird.
Die Fronten zwischen Links und Rechts
Mutig von Hayali, für einen solchen Talk zwei Extreme aus der Parteienlandschaft einzuladen. Bodo Ramelow und Markus Söder, dazwischen der Journalist Olaf Sundermeyer, der den zentralen Satz sagte: „Die linke Szene reicht deutlich weiter in die Mitte der Gesellschaft hinein als die rechtsextreme.“ Und damit das Problem umriss. Während Ramelow sich dagegen wehrte, dass in seiner Fraktion Teilnehmer an den Protesten seien, blieb der Publizist beharrlich: „Herr Ramelow weiß genau, dass er in seiner eigenen Partei Mitstreiter hat, die Teil des schwarzen Blocks sind.“
Damit war nicht die tiefschwarze Söder-CSU gemeint, sondern jener Mob, der in Hamburg ganz in Schwarz ganze Stadtzüge in „bürgerkriegsähnliche Zustände“ verwandelte, wie Söder selbst formulierte. Er, der offenbar ganz gezielt immer wieder dazu anhielt „islamistische Gewalt“ in der Aufzählung nicht zu vergessen – fühlte sich sichtlich wohl. Er konnte gegen die Linke in Richtung Gewaltbereitschaft pushen, Martin Schulz einen mitgeben und gleichzeitig seine CSU weit genug vom jenem rechten Rand entfernt wissen, der mit Heil-Hitler-Grüßen in Thüringen für beschämende Bilder gesorgt hatte. Doch so gerne es Hayali am Ende gehabt hätte, Lösungsansätze präsentierte niemand.
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Aufreger des Abends
Auch nicht Ramelow, der zwar zurecht darauf hinwies, dass die 6000 Neo-Nazis nicht von 1000 Polizisten hätten verhaftet werden können. Alleine die Vorstellung, welche Gewalt ein solcher Polizeieinsatz heraufbeschworen hätte, lässt einem das Blut in den Adern gefrieren. Doch Ramelow wählte einen Lösungsansatz, auf den man nicht sofort gekommen wäre, um solche Aufmärsche zu verhindern: „Ich möchte, dass da Eintritt erhoben wird.“ Seine Logik: Eintritt mache das Konzert kommerziell, so müsse der Veranstalter alle Kosten selbst zahlen und der Steuerzahler würde nicht noch indirekt damit belastet werden. Mag sein. Das Rechts-Problem löst Eintritt aber sicher nicht.
Fakt des Abends
Ein Blick auf die Zahlen half zur Einordnung zwischen links und rechts: Zwischen 2006 und 2016 wurden vom Bundeskriminalamt insgesamt 22.471 rechtsextremistische Straftaten erfasst, im gleichen Zeitraum insgesamt 5230 Taten mit linksextremistischen Hintergründen. Auf Gewalttaten heruntergebrochen, überwogen allerdings 2015 sogar die linken Taten, 2016 dann war das Verhältnis 1600 rechts und 1201 links. Zahlen, die Sundermeyer in die richtige Perspektive setzte: „Man darf die Gewalt nicht vergleichen. Die Methodik mag ähnlich sein, aber die Gewalt von rechts ist hinterhältig.“ Die linke Gewalt dagegen, siehe Hamburg, findet auf offener Straße statt.
Tiefpunkt des Abends
Auf offener Straße. So lautete auch das zweite Thema des Abends, es war der Tiefpunkt der Sendung, zumindest in Sachen Schicksal: es ging um „unsichtbare Obdachlose“ in Deutschland, um jene Menschen, die sich selbst mit einem festen Job keine Bleibe leisten können. Wenn 1100 Euro netto monatlich in der Bundesrepublik nicht für eine Wohnung reichen, läuft eine ganze Menge in diesem Land schief. Und doch hat das Thema „keine Lobby“, wie Mara Fischer von der Notunterkunft Berlin zu berichten wusste. Insgesamt leben 335.000 Menschen in Deutschland ohne ein Dach über dem Kopf. Bis 2018 soll die Zahl auf 540.000 anwachsen.
Die Probleme in Deutschland sind offensichtlich und erschreckend: Es fehlen 2,7 Millionen bezahlbare Kleinwohnungen, Sozialwohnungen sind in dieser Rechnung nicht einmal enthalten. Während in ganzen Landstrichen Thüringens die Wohnungen leer stehen, baut Berlin. Aber was? Luxus, wie Hayali richtig sagte. Bezahlbarer Wohnraum? Er bleibt für viele Menschen in Deutschland pures Wunschdenken. Der Beweis? Die Reallöhne in Deutschland stiegen in den letzten zehn Jahren um acht Prozent. Die Mieten in Ballungsräumen schossen dagegen um 44 Prozent in die Höhe.
Rätselhafter Höhepunkt
In die Höhe – das passte zum letzten Thema des Abends. Wissen Sie, was ein „Social Influencer“ ist? Das hat nichts mit der Influenza zu tun, wobei die grippale Verbreitung dieses Phänomens tatsächlich kranke Züge angenommen hat. Wenn ein Teenager sein Privatleben auf Youtube teilt, über eine Million andere Teenager und junge Menschen ihm folgen, mehr als Schminktipps dabei aber nicht herumkommen, kommt die Frage auf: In welcher Gesellschaft leben wir? Klar ist: Wer über eine Million Follower hat, ist ein solcher Influencer ein potentieller Meinungsmacher für die Werbeindustrie. Was er dafür können muss? Der letzte Gast des Abends, Ulla Kock am Brink, brachte es auf den Punkt: „Nichts!“ Wer bereit ist, seine Privatsphäre einzutauschen für Klicks, kann Geld verdienen. Viel Geld.
Wie „AlexV“, ein Junge mit blondierten Haaren, der bislang in seiner Karriere 398 Videos online gestellt und teilweise über eine Million Aufrufe pro Video generiert hat. Der Inhalt dieser Videos? Donuts, Freunde, Witze, angeblich Authentisches. Authentisch ist am Ende aber wohl nur das Geld: 300 bis 500 Euro sind pro Video drin, alleine durch die Werbung bei Youtube. Bei 400 geschalteten Videos dürfte der Teenager also schon rund 150.000 Euro eingenommen haben. Womit der Preis für die Privatsphäre in Deutschland definiert wäre.