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Hubertus Knabe: "Extremisten halten Gewalt für notwendig"


Interview mit Hubertus Knabe
Kritik an Linksextremen? "Linke haben ein Problem damit"

t-online, Stefan Rook

14.07.2017Lesedauer: 4 Min.
Während des G20-Gipfels in Hamburg kam es zu Straßenschlachten und bürgerkriegsartigen Szenen in der Stadt.Vergrößern des Bildes
Während des G20-Gipfels in Hamburg kam es zu Straßenschlachten und bürgerkriegsartigen Szenen in der Stadt. (Quelle: reuters)

Die gewalttätigen Ausschreitungen während des G20-Gipfels in Hamburg sorgten für Entsetzen. Forderungen nach einem härteren Durchgreifen gegen Linksextremisten wurden laut. t-online.de hat mit Hubertus Knabe, Linksextremismus-Experte und Leiter der Stasi-Opfer-Gedenkstätte in Berlin-Hohenschönhausen, über linke Gewalt gesprochen.

t-online.de: Während des G20-Gipfels in Hamburg wurde deutlich, wie gewaltbereit Teile der linken Szene sind. Wurde und wird die Gefahr, die von Linksextremisten ausgeht, unterschätzt?

Hubertus Knabe: Es gab im Vorfeld zahlreiche Warnungen, vor allem aus Sicherheitskreisen. Aber die Politik hat diese ignoriert – weil die meisten Politiker Linksextremismus nicht als großes Problem betrachteten. Dabei hatte der Verfassungsschutz erst kurz vor dem Gipfel vor der steigenden Zahl gewaltbereiter Linksextremisten gewarnt.

Wie links waren die Krawalle in Hamburg? Kann man klar trennen zwischen "Gewalt-Tourismus" und linker Gewalt?

Der Versuch einiger Politiker, die Extremisten im Nachhinein zu Hooligans zu erklären, ist absurd. Linke und linksextremistische Gruppen haben monatelang für Hamburg mobilisiert. Das Motto der Demonstration des Schwarzen Blocks war bewusst gewählt: "Welcome to Hell". Es war das erklärte Ziel, den Staatschefs einen unangenehmen Empfang zu bereiten und wenn dies nicht gelingt, möglichst großen Schaden anzurichten. Das schließt nicht aus, dass sich der eine oder andere spontan an Plünderungen beteiligt hat.

Die jetzige Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig, strich 2014 als Familienministerin diverse Programme gegen Linksextremismus und nannte das Problem "aufgebauscht". Hat die SPD ein besonderes Problem im Umgang mit linker Gewalt?

Linke Parteien haben generell ein Problem damit, sich gegen linke Bewegungen zu stellen. Der Feind steht für sie rechts. Das gilt nicht nur für die SPD, sondern auch für die Grünen und besonders für Die Linke, die in Hamburg ja selbst eine der Demonstrationen angemeldet hatte. Als Frau Schwesig Familienministerin wurde, hat sie das Programm, mit dem Projekte gegen Linksextremismus gefördert werden sollten, sofort gestrichen. Von ihr geförderte "Initiativen gegen rechts" mussten auch nicht mehr unterschreiben, dass sie zum Grundgesetz stehen. Auf der anderen Seite gibt es in der SPD auch viele Leute, die mit dem linken Radikalismus nichts zu tun haben wollen.

Wie sieht es mit Aufklärung, Prävention und Strafverfolgung beim Thema Linksextremisten aus? Glauben Sie, dass von den zuständigen Stellen genug unternommen wird?

Es gibt in Deutschland praktisch keine Prävention gegen Linksextremismus. Die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen ist derzeit die einzige Einrichtung, die großflächig Jugendliche über linken Extremismus aufklärt. Die Bundeszentrale für politische Bildung, die das eigentlich tun müsste, hat erst unlängst einen Antrag für ein Projekt zur Online-Prävention wegen "geringer Förderrelevanz" abgelehnt. Auch die Strafverfolgungsbehörden konzentrieren sich auf Rechtsextremisten und Islamisten und kümmern sich wenig um die Gewalttaten von links – nicht zuletzt deshalb, weil sie dabei von der Politik meist allein gelassen werden. Es ist wenig verlockend, ein besetztes Haus zu räumen, wenn man anschließend von Parlamentariern und Journalisten an den Pranger gestellt wird.

Wie organisiert sich die linksextremistische Szene und aus welchen Ressourcen kann sie schöpfen?

Früher war die linksextremistische Szene vor allem dezentral organisiert: in kleinen Gruppen und lokalen Zentren, die ab und an zu nationalen oder internationalen Treffen zusammenkamen. Das hat sich aufgrund des Internets geändert. Koordinierung und Mobilisierung sind dadurch viel einfacher geworden – wie man in Hamburg gesehen hat, wo mehrere Tausend gewaltbereite Linksextremisten stundenlang die Straße beherrschten. Größere Ressourcen sind dafür kaum erforderlich, die Unkosten werden über Spenden und Solidaritätskonzerte gedeckt. Aus Thüringen wurde bekannt, dass in 46 Fällen die Organisation und Fahrt zu Demonstrationen und Blockaden gegen rechte Aufmärsche staatlich gefördert worden war.

Im Gegensatz zum Rechtsextremismus scheint es in Teilen der Gesellschaft eine gewisse Akzeptanz für linke Gewalt zu geben. Wie kommt es zu diesem Phänomen?

Zum Einen ist die linke Ideologie attraktiver, gerade für gebildete und junge Menschen, die von einer idealen Gesellschaft träumen. Zum anderen verblassen die kommunistischen Verbrechen hinter den nationalsozialistischen. Der antitotalitäre Konsens, dass Rechts- und Linksextremismus gleichermaßen bedrohlich sind, hat sich peu à peu aufgelöst. Beigetragen haben dazu vor allem die sogenannten 68-er, aber auch die antifaschistische Indoktrination in der DDR und die Tatsache, dass es keine linken Diktaturen mehr in Europa gibt.

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Würden Sie eine Unterscheidung treffen zwischen Gewaltbereitschaft in der linken Szene Deutschlands und Gewaltbereitschaft in der rechten oder in der islamistischen Szene?

Die drei Extremismen praktizieren verschiedene Formen der Gewalt: Terroranschläge, Brandanschläge, Straßenschlachten mit der Polizei. Auch die Zahlen, die soziale Herkunft und das Gefährdungspotential unterscheiden sich teilweise. Aber das dahinter liegende Denken ist ähnlich: Extremisten halten es für legitim und sogar notwendig, im Namen einer höheren Idee Gewalt gegen andere auszuüben.

Glauben Sie, dass es im Anschluss an die Krawalle in Hamburg langfristige und nachhaltige Änderungen im Umgang mit linker Gewalt in Deutschland geben wird?

Ich habe den Eindruck, dass einige Politiker doch wach geworden sind. Das gilt besonders für die SPD, weil sie den Regierenden Bürgermeister in Hamburg stellt und dadurch besonders betroffen ist. Die Frage ist, wie lange dieser Schock anhält. Wichtig wäre es, nun auch praktische und politische Konsequenzen zu ziehen.

Was wären Sofortmaßnahmen, die die Bundesregierung in Angriff nehmen sollte?

Zunächst müssen die Täter konsequent verfolgt werden. Das ist vor allem eine Sache der Hamburger Justiz. Aber auch bundesweit muss der Verfolgungsdruck erhöht werden – zum Beispiel gegen die Internetplattform „Indymedia“, auf der regelmäßig zu linker Gewalt aufgerufen wird. Das Familienministerium und die Bundeszentrale für politische Bildung müssen Aufklärungsprogramme starten, die nicht nur die Gewalt in den Blick nehmen, sondern auch die Ideologie, mit der diese gerechtfertigt wird. Spätestens im Koalitionsvertrag der nächsten Bundesregierung sollten sich dazu klares Aussagen finden.

Vielen Dank für das Gespräch.

Das Interview führte Stefan Rook.

Dr. Hubertus Knabe wurde 1959 in Unna geboren. Er studierte von 1978 bis 1983 Geschichte und Germanistik in Bremen und arbeitete anschließend zwei Jahre als Pressesprecher der Fraktion der Grünen in der Bremischen Bürgerschaft. Seit 2001 ist er wissenschaftlicher Direktor der Stiftung Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen im ehemaligen zentralen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Er veröffentlicht weiterhin Bücher zur DDR-Geschichte, zur Untersuchungshaftanstalt Hohenschönhausen und zum Nachwirken der Diktatur in der wiedervereinigten Bundesrepublik. Außerdem gibt er Zeitzeugenberichte von Opfern des DDR-Regimes heraus. Im Jahr 2009 wurde Dr. Hubertus Knabe mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.

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