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Fall al-Bakr bei Anne Will: Justizminister von Sachsen hilflos nach JVA-Suizid


Fall al-Bakr bei "Anne Will"
Sachsens Justizminister demonstriert Hilflosigkeit

t-online, Silke Asmußen

Aktualisiert am 17.10.2016Lesedauer: 5 Min.
Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow machte auch bei Anne Will keine gute Figur.Vergrößern des Bildes
Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow machte auch bei Anne Will keine gute Figur. (Quelle: Jürgen Heinrich/imago-images-bilder)
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Der Suizid von Dschaber al-Bakr in der JVA Leipzig war der Höhepunkt einer wahren Pannenserie im Umgang mit Deutschlands Terrorverdächtigen Nummer eins. Die sächsische Landesregierung und Justiz stehen seitdem heftig in der Kritik.

"Der Fall al-Bakr – Ist der Staat dem Terror gewachsen?" - diese Frage wollte Anne Will mit ihrer Runde klären. Die diskutierte heftig darüber, wie das Debakel passieren konnte, wer versagt hat und wer die Verantwortung übernehmen müsste. Für Sachsens Justizminister Gemkow wurde der Talk fast zum Verhör.

Die Gäste:

Sebastian Gemkow (CDU), sächsischer Justizminister
Joachim Herrmann (CSU), bayerischer Innenminister
Katja Kipping, Parteivorsitzende der Linken
Georg Mascolo, Leiter der Recherchekooperation von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung
Abdul Abbasi, syrischer Videoblogger

Kern der Diskussion

Anne Will startete mit einem Frontalangriff auf Sebastian Gemkow: "Es sind Fehler gemacht worden, welche davon von Ihnen?", wollte sie von ihm wissen. Damit gab sie die Linie für einen großen Teil der Sendung vor: Was ist bei der Verhaftung und Inhaftierung von al-Bakr schiefgelaufen, wer hat das zu verantworten, und müsste Gemkow nicht die Konsequenzen ziehen?

Die Moderatorin nahm Gemkow regelrecht unter Beschuss. Ob er den Mitarbeitern der JVA nicht die besondere Schwere des Falles klargemacht hätte, warum er selbst sich nicht der Bedeutung des Gefangenen entsprechend permanent über die Situation informiert habe, aus welchem Grund Sachsen nicht rechtzeitig Unterstützung angefordert hätte, als der Fall aus dem Ruder lief.

In die Defensive gedrängt, machte Gemkow keine wirklich gute Figur. Er führte ins Feld, sowohl die Bediensteten der JVA als auch er hätten im Rahmen des rechtlich Zulässigen gehandelt. Wenn keine akute Suizidgefahr des Gefangenen vorliege, seien Kontrollintervalle von weniger als 30 Minuten nicht erlaubt. Signale für einen Suizid habe es jedoch nicht gegeben.

Eine Einschätzung, die schwer nachvollziehbar ist: Der mutmaßliche Bombenbauer verweigerte seit seiner Festnahme die Nahrung, riss in seiner Zelle die Deckenlampe heraus und manipulierte die Steckdosen - möglicherweise, um sich mit einem Stromschlag zu töten.

Gemkows Verteidigung zeige die offensichtliche Hilflosigkeit der sächsischen Behörden. Sachsen und ganz Deutschland seien auf diesen Typ von Gefangenen nicht eingestellt, räumte der Minister ein. Und auf hochqualifizierte Mitarbeiter müsse man vertrauen können. Angesichts der eklatanten Fehldiagnose der JVA-Psychologin in Bezug auf den mentalen Zustand al-Bakrs kamen da sicher manchem Zuschauer starke Zweifel. Überzeugen konnte Gemkow mit seinem Credo "Es gibt keine Versäumnisse" auch die Diskussionsrunde nicht.

Die Fronten

Harsche Kritik musste der Justizminister etwa von Katja Kipping einstecken. Sie forderte, die Beschäftigten der JVA Leipzig nicht zu den Sündenböcken für den Selbstmord al-Bakrs zu machen. In den sächsischen Gefängnissen fahre die Landesregierung "beim Personal auf Verschleiß". Für den Tod des Terrorverdächtigen trage Gemkow als Justizminister die Verantwortung. Al-Bakrs Selbstmord zeige "den verheerenden Zustand der sächsischen Justiz und der sächsischen Politik".

Gelassen, aber ohne Nachsicht las Journalist Georg Mascolo Gemkow die Leviten. Dass ein schwerer Sprengstoffanschlag verhindert werden konnte, sei zunächst ein großer Erfolg für die deutschen Sicherheitsbehörden. Wenn Sachsen aber mit islamischen Gefangenen keine Erfahrung habe, hätte sich Gemkow Hilfe von Bundesländern wie NRW, Hamburg oder Bayern holen müssen. Die verzögerte Festnahme von al-Bakr in Chemnitz nahm Mascolo ebenfalls aufs Korn und hakte nach, warum Sachsen nicht eine Spezialeinheit wie die GSG 9 angefordert habe.

Allein der bayerische Innenminister Joachim Herrmann ging mit dem CDU-Mann weniger hart ins Gericht - es sei nicht auszuschließen, dass solche Pannen auch in Bayern passieren können. Bayern verfüge jedoch über die Möglichkeit der Videoüberwachung bei Suizid-Verdacht – Sachsen eben nicht.

Aufreger des Abends

Abdul Abbasi, der 2012 aus Aleppo nach Deutschland geflohen ist und sich mit seinem Videoblog "German LifeStyle" für eine bessere Verständigung zwischen Deutschen und Syrern einsetzt, hielt sich zunächst sehr zurück, war dann aber von Herrmanns einseitiger Terrordarstellung genervt. "Warum sprechen Sie so oft über islamistischen Terror? Man muss über den Terror insgesamt sprechen, darunter auch rechter Terror." Allein in Sachsen habe es in diesem Jahr 159 Rechtsübergriffe gegen Flüchtlinge gegeben. Dem werde keine Aufmerksamkeit geschenkt. Abbasi forderte: "Wir dürfen nicht die Leute in einem Bundesland unter Generalverdacht stellen. Nicht alle Leute in Sachsen sind rechts, und nicht alle Flüchtlinge sind Terroristen."

Moderatorinnen-Moment

Auf dem falschen Fuß erwischte Anne Will die Linken-Chefin Kipping. Kipping hielt Gemkow vor, zur dauerhaften Bewachung von al-Bakr hätte eine 24-Stunden-Stuhlwache eingesetzt werden können. Will konterte prompt: "Das wundert mich, dass Sie als Linke-Politikerin sagen, Sie würden einem Gefangenen jede Privatsphäre, alle Persönlichkeitsrechte nehmen. Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut!"

Moderatorinnen-Frage des Abends

Was er gedacht habe, als er von al-Bakrs Tod gehört habe, fragte Will den Blogger Abbasi. Die Antwort zeigte noch einmal deutlich, wie falsch die Mitarbeiter der JVA Leipzig mit ihrer an Ahnungslosigkeit grenzenden Beurteilung des Gefangenen lagen. Die Nachricht von al-Bakrs Selbstmord sei ein Schock gewesen, sagte Abbasi. Er habe erwartet, dass dieser nicht wie ein normaler Gefangener behandelt werde. Ihm sei klar gewesen, dass der Mann kein Problem mit dem Tod gehabt hätte. Er habe das Gefühl, die Syrer würden nicht ernst genommen. Dabei hat der Medizinstudent den Fahndungsaufruf im Fall al-Bakr ins Arabische übersetzt, auf seiner Facebook-Seite veröffentlicht und dadurch dazu beigetragen, dass drei Syrer al-Bakr am Ende stellten.

Zoff des Abends

Auf Herrmanns Forderung einer strikteren Kontrolle der Reiseaktivitäten von Flüchtlingen reagierte Kipping aufgebracht und hielt beherzt dagegen. Als die Talkmasterin sie ausbremste, fühlte sie sich offenbar gegenüber dem CSU-Politiker im Nachteil und beschwerte sich: "Bekommt man bei Ihnen Redezuschlag als Mann?"

Fakt des Abends

In einem Punkt waren sich Wills Gäste einig: Mit dem zum Glück vereitelten Sprengstoffanschlag hat der Terror in Deutschland eine neue Dimension erreicht. Wie zuvor bereits Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich, räumte auch Gemkow ein, man müsse sich im Kampf gegen den Terror auf neue Dimensionen einstellen und andere Maßstäbe ansetzen. Das gab CSU-Mann Herrmann Gelegenheit, nochmals für ein europäisches Ein- und Ausreiseregister zu plädieren, um durch härtere Kontrollen rechtzeitig ausmachen zu können, wenn sich ein Flüchtling im Ausland radikalisiere.

Was offen blieb

Wie groß ist nun tatsächlich der Schaden für Deutschland, weil al-Bakr sich durch seinen Selbstmord weiteren Verhören entziehen konnte? Anne Will hakte nach. Ihre Runde tat sich mit der Frage allerdings schwer. Gemkow blieb eine Antwort schuldig. Mascolo betonte, die Kooperationsbereitschaft von Terrorverdächtigen mit den Behörden sei sehr unterschiedlich. Wegen der Größe des Anschlags wäre es natürlich sehr interessant gewesen, wenn al-Bakr noch geredet hätte. Und Herrmann warf ein, der Suizid spreche dafür, dass al-Bakr nicht kooperieren wollte. Doch das bleibe Spekulation.

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Höhepunkt der Sendung

Einen wichtigen Aspekt brachte Georg Mascolo zum Ende der Sendung auf. Er forderte Politik und Bürger auf, nicht in die Falle von Terror-Organisationen zu tappen. Der IS ziele auf eine Spaltung der Gesellschaft ab und wünsche sich einen Generalverdacht gegen alle Muslime. Terroristen lebten davon, dass Gesellschaften überreagieren und das müsse man ihnen verweigern. Dem konnte Anne Will nur zustimmen - und die Gesprächsrunde beenden.

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