Außenpolitik Obama beschwört den inspirierenden "Geist von Berlin"
"Willkommen bei Freunden": So von Bundeskanzlerin Angela Merkel per Du begrüßt, hielt US-Präsident Barack Obama vor Tausenden Menschen seine bereits vorab als historisch eingeschätzte Rede vor dem Brandenburger Tor, wo Deutschland einst geteilt war. Es war viel Pathos im Spiel, wie es so wohl nur US-Amerikaner vermitteln können. Im Vordergrund stand das atmosphärische Moment - Obamas Stärke. "Diese Mauer ist eine Sache der Geschichte, aber wir müssen ebenfalls Geschichte schreiben", rief er und meinte etwa die atomare Abrüstung.
Mit Merkel betonte der Präsident Einigkeit in Bezug auf Afghanistan und die geplante Freihandelszone. Dezente Kritik äußerte die Kanzlerin in der Syrien-Frage und im Zusammenhang mit der NSA-Datenspionage im Internet. Es hatte Verstimmungen im deutsch-amerikanischen Verhältnis gegeben, auch weil der pazifisch orientierte Präsident bislang keinen offiziellen Staatsbesuch in Berlin abgehalten hatte. Entgegen der Forderungen von Seiten der Opposition war es darum logisch, dass Merkel nun keine Konfliktfelder verschärfen, sondern die Verbundenheit betonen würde.
Inspirierende Helden der Vergangenheit
Obama appellierte, man solle sich von den Helden der Freiheit inspirieren lassen, denn das sei der Geist von Berlin: "This is the spirit of Berlin", sagt der US-Präsident. Wegen der großen Hitze legte Obama sein Jackett ab und rief die über 4000 Gäste dazu auf, es ihm gleich zu tun. "Unter Freunden können wir viel informeller sein", sagte er.
Ungeachtet der Verstimmungen über amerikanische Abhöraktionen mit dem Programm "Prism" übten Obama und Merkel demonstrativ den Schulterschluss. "Europa und Amerika können mit als Vorbild vorangehen und Dinge tun, zu denen andere Länder nicht bereit sind", betonte der US-Präsident.
USA wollen atomare Sprengköpfe reduzieren
Obama erwähnte auch die Helden, die die Freiheit für Ostdeutschland erkämpft hätten: von den Piloten der Rosinenbomber bis zu den Bürgerrechtlern der DDR. Und er erinnerte an den Mauerfall 1989: "Keine Mauer kann dem Drang nach Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit standhalten." Er warnte davor, selbstgefällig zu werden - die Herausforderungen heute seien nicht so düster wie früher, benötigten aber trotzdem Kampfgeist.
Der US-Präsident machte in seiner Rede ein weitreichendes Abrüstungsangebot. Ziel sei es, die Zahl der strategischen Atomwaffen Russlands und der USA um bis zu einem Drittel zu verringern. Auch zu Verhandlungen über einen Abbau des Arsenals an taktischen Atomwaffen sei er bereit. Dies verband Obama mit der Ankündigung eines Gipfels zum sicheren Umgang mit Atommaterial: 2016 soll der in den USA stattfinden.
"Wir leben nicht mehr in Furcht vor einer globalen Vernichtung" sagte Obama. "Aber solange es Atomwaffen gibt, sind wir nicht wirklich sicher." Das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen müsse verfolgt werden - "ungeachtet dessen, wie weit sich dieser Traum in der Zukunft befinden mag".
Der US-Präsident hob die Aufgabe hervor, nach der Rezession die zunehmende Not arbeitsloser junger Menschen nicht aus dem Blick zu verlieren. Alle Menschen sollten durch Arbeit Würde erhalten - egal, ob in Chicago oder Cleveland, Belfast oder Berlin, in Athen oder Madrid, sagte Obama.
Er sprach sich außerdem für eine weitgehende rechtliche Gleichstellung von Homosexuellen aus. Deren Liebe müsse vor dem Gesetz gleichgestellt werden, sagte der US-Präsident.
Merkel beschwört Freundschaft
Vor Obama hatte Merkel das Wort: Sie beschwor die enge Freundschaft zwischen Deutschland und den USA: "Die transatlantische Partnerschaft ist auch im 21. Jahrhundert der Schlüssel zu Freiheit, Sicherheit und Wohlstand für alle." Es gebe eine tiefe Verbundenheit, auf die beide Länder auch in Zukunft bauten.
Gemeinsam finde man Antworten auf weltpolitische Fragen genauso wie auf die Finanzkrise und wirtschaftliche Herausforderungen. Merkel dankte den USA für deren Hilfe nach dem Krieg und würdigte die Rolle Amerikas bei der Wiedervereinigung.
Vor der Rede hatten sich Merkel und Obama zu einem Mittagessen unter vier Augen getroffen. Bei einer gemeinsamen Pressekonferenz bemühte sich Obama sichtlich, die Aufregung um "Prism" einzudämmen. Sowohl beim Thema Internet-Kontrolle, dem umstrittenen Einsatz von Angriffsdrohnen als auch bei der geplanten Schließung des amerikanischen Gefangenenlagers Guantanamo wollten die USA auch im Anti-Terrorkampf ihre Werte nicht verraten, betonte der Präsident.
Obama sieht die Balance bewahrt
Man müsse bei den NSA-Aktionen sehen, dass aus den Erkenntnissen mehr als 50 Anschläge in den USA und auch anderen Staaten - darunter auch in Deutschland - hätten verhindert werden können. "Ich bin überzeugt, dass wir die angemessene Balance haben", betonte Obama. Die Abhöraktionen stünden unter strenger Kontrolle amerikanischer Gerichte. Allerdings bezog er sich dabei offensichtlich vor allem auf Abhöraktionen in den USA selbst.
Merkel betonte, sie habe mit Obama "sehr lange und ausführlich" über das Thema gesprochen. "Wir schätzen die Zusammenarbeit mit den USA in Fragen der Sicherheit", sagte sie. "Ich habe auch deutlich gemacht, dass das Thema der Verhältnismäßigkeit immer ein Wichtiges ist." Es seien immer noch Fragen offen, inwieweit deutsche Staatsbürger betroffen seien.
Es sei verabredet, dass diese von den Sicherheitsbehörden beider Staaten geklärt würden. Mit dem "Prism"-Programm soll der US-Geheimdienst NSA weltweit Internet-Daten ausgespäht haben. Nach Facebook und Microsoft gab auch Apple Einblick in die Datenüberwachung der US-Regierung.
Gemeinsame Agenda
Obama und Merkel betonten besonders die gemeinsamen Herausforderungen, die die Supermacht und der größte EU-Staat zu bewältigen hätten. Im Falle Afghanistans sagte Obama, dass bei den nun geplanten Aussöhnungsgesprächen der Regierung mit den radikal-islamischen Taliban noch große Probleme zu überwinden seien. Zugleich lobte er den Beitrag Deutschlands als drittgrößten Nato-Truppensteller.
Mit Blick auf Syrien betonten beide, eine Befriedung des Landes ohne den Abtritt von Präsident Baschar al-Assad werde es nicht geben. Merkel sagte, dass Deutschland grundsätzlich keine Waffen in Bürgerkriegsgebiete liefere. Sie vermied aber Kritik an den Plänen der USA, eben dieses zu tun.
Beide hoben auch die Bedeutung der Verhandlungen über ein transatlantisches Freihandelsabkommen hervor, die Anfang Juli beginnen sollen. Dies bringe Arbeitsplätze auf beiden Seiten des Atlantiks.
Rede - Steinbrück - Dinner
Im Anschluss an seine Rede vor dem Brandenburger Tor traf Obama auch SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Der US-Präsident und Steinbrück kamen zum Meinungsaustausch in der Repräsentanz der Commerzbank am Pariser Platz zusammen - die Atmosphäre wirkte locker und entspannt. Zu den Inhalten der Gespräche wurde offiziell nichts bekannt.
Aus SPD-Kreisen verlautete, dass Obama sich besonders für Steinbrücks Einschätzungen zur Lösung der europäischen Schuldenkrise interessiert habe. Der Kanzlerkandidat selbst erzählte auf dem Pariser Platz, er sei sich mit dem Präsidenten einig, dass es in Europa neben Sparmaßnahmen auch Wachstumsimpulse geben müsse.
Den offiziellen Teil seines von großen Sicherheitsvorkehrungen begleiteten Deutschland-Besuchs hatte der US-Präsident am Vormittag mit dem Besuch von Bundespräsident Joachim Gauck in dessen Amtssitz Schloss Bellevue begonnen. Am Abend stand ein festliches Dinner in Schloss Charlottenburg auf dem Programm mit Spargel, Königsberger Klopsen und Birnenstich.