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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Amnesty International prangert an In jedem Handy stecken Menschenrechtsverbrechen
Menschenrechtsverbrechen begegnen uns in Deutschland jeden Tag: Sie stecken im Handy, im Tank und im Reisekatalog. Den wenigsten fallen sie auf.
Weitverbreitete Meinung: Verbrechen gegen die Menschenrechte sind weit, weit weg. Wenn in Afrika Sklaven in Bergwerken schuften, wenn in China das Internet gesperrt und in der Türkei Journalisten verhaftet werden. Wenn Trump gegen illegale Einwanderer hetzt oder Regierungschefs auf der Welt gegen Minderheiten mobilmachen. Selbst wenn in Ungarn durch Gesetze die Arbeit von Hilfsorganisationen behindert wird, denken viele: Was der Jahresbericht von Amnesty International anprangert, das tangiert mich in Deutschland doch nicht.
Richtig ist aber: Beim Tanken des Autos, beim Kaufen einer Tageszeitung oder beim Buchen des nächsten Urlaubs, ja sogar bei jedem Blick aufs Smartphone ist man unmittelbar mit den Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. Diese hat die Organisation in ihrem mehr als 400 Seiten starken Report zusammengetragen.
"Niemand von uns will von Kinderarbeit oder anderen Menschenrechtsverletzungen profitieren, wenn man der Familie eine Nachricht vom Smartphone sendet. Aber genau dieses Risiko besteht“, sagt Markus Beeko, Deutschlandchef der Menschenrechtsorganisation. Seltene Erden sind der wichtigste Bestandteil der Elektronik, und der kommt zum Teil aus dem Kongo.
Dort werden in Bergwerken Kupfer und Kobalt abgebaut. Oftmals von Kinderhänden. Erst 2025 will das Land die Kinderarbeit verbieten. Bis dahin werden die Erze nicht nur in Smartphones verbaut. Kobalt wird auch für Elektroautos verwendet. Beeko: "Die deutschen Autofirmen Daimler, Volkswagen und BMW konnten bei Amnesty-Recherchen nicht ausschließen, dass es auch in ihren Kobalt-Lieferketten zu Kinderarbeit und anderen Menschenrechtsverletzungen kommt."
Hass führt zu Taten
Keine Woche ist es her, da wurde der deutsch-türkische Journalist Deniz Yücel aus der Haft entlassen. Vor über einem Jahr wurde der "Welt"-Korrespondent festgenommen. Die Vorwürfe gegen ihn? Mindestens hanebüchen. Amnesty International kritisiert, dass in vielen Ländern dieser Welt die Arbeit von Journalisten erschwert werde. Und das betrifft das Leben der Bürger ganz direkt. Werden Journalisten festgenommen, können sie nicht berichten. Keine Missstände aufdecken, keine Fenster in andere Länder öffnen. Das gilt für die Presse der jeweiligen Länder, aber auch für das, was die Zeitungen und Nachrichtenportale in Deutschland füllt.
Trump ist ein Dampfplauderer, er nimmt kein Blatt vor den Mund. Was früher im Politikbetrieb nicht hätte ausgesprochen werden dürfen, wird heute gesagt. Nicht nur vom Präsidenten der Vereinigten Staaten. Auch in Deutschland äußern sich Politiker seit einiger Zeit immer unverblümter. Wo so geredet wird, wird Hass geschürt, wie Amnesty International kritisiert. Und wo Hass ist, da folgen Taten: 700.000 Muslime wurden in Myanmar vertrieben, nachdem erst gegen die Minderheit angeredet und dann mit Waffengewalt vorgegangen wurde.
Es sei krasseste sichtbare Folge von Hass-Rhetorik, sagt Amnesty. Doch auch anderswo wird Hass zur Tat. So sagte der damalige Innenminister Thomas de Maizière im Gespräch mit t-online.de, "dass vereinzelt aggressive Rhetorik in konkrete Planungen oder in tatsächliche Straf- und Gewalttaten mit terroristischer Dimension übergeht". 1.212 Angriffe auf Flüchtlinge gab es hierzulande im letzten Jahr.
Folter im Urlaubsparadies
Wer in den Urlaub fährt, erwartet ein Land in Katalogoptik: Doch in vielen Top-Reisezielen sind nicht nur Sandstrand und Palmen, sondern auch Menschenrechtsverletzungen an der Tagesordnung. So ist in Ägypten die Versammlungsfreiheit stark begrenzt, Willkürliche Verhaftungen und Folter laut Amnesty dokumentiert, die Rechte von Frauen und Kindern unterdrückt. Ähnliches gilt für Marokko und Tunesien. Und sogar Griechenland: Dort sollen Polizisten Flüchtlinge misshandelt haben.
Laut Amnesty International kam es im Sommer 2017 in einem Flüchtlingslager auf der Insel Lesbos bei der Festnahme von Asylsuchenden, die gegen die im Lager herrschenden, unerträglichen Lebensbedingungen protestierten, zu Auseinandersetzungen, bei denen die Beamten exzessive Gewalt angewendet haben sollen. "Die Polizei soll nach den Zusammenstößen auch einige der festgenommenen und in der größten Polizeiwache der Insel in Gewahrsam gehaltenen Personen misshandelt haben", heißt es im Bericht.
Ölkonzern unter Verdacht
Und auch beim Tanken ist man unmittelbar mit möglichen Menschenrechtsverletzungen konfrontiert. So reichten im Juni 2017 die Witwen von vier Männern aus dem Gebiet der Ogoni im Nigerdelta gegen den Ölkonzern Shell Klage in den Niederlanden ein. Ihre Männer seien 1995 nach einem unfairen Verfahren hingerichtet worden, kritisiert Amnesty.
Die Frauen werfen Shell vor, Komplize der Festnahme und Inhaftierung ihrer Ehemänner gewesen zu sein, als die Militärbehörden brutal gegen die Bewegung der Volksgruppe vorgingen. Internationale Organisationen forderten, die mutmaßliche Beteiligung des Konzerns an diesen Verbrechen müsse untersucht werden. Und: "Die mit der Erdölindustrie verbundene Umweltverschmutzung trägt nach wie vor dazu bei, dass die Bewohner des Nigerdeltas ihre wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte nicht in vollem Umfang wahrnehmen konnten", so der Bericht weiter.
- eigene Recherchen
- Jahresbericht Amnesty International