Wegen Schmähgedicht Erdogan stellt Strafantrag gegen Böhmermann
Die Satire mit der "Schmähkritik" von Jan Böhmermann gegen den Türkei-Präsidenten zieht immer weitere Kreise. Recep Tayyip Erdogan selbst hat in Mainz eine Strafanzeige eingereicht.
Zuvor hatte die türkische Regierung offiziell verlangt, dass der Satiriker strafrechtlich verfolgt wird. Das Gedicht sei nicht nur eine Beleidigung Erdogans, sondern aller 78 Millionen Türken, so Vize-Ministerpräsident Numan Kurtulmus.
"Deshalb wollen wir als Republik Türkei natürlich, dass dieser unverschämte Mann im Rahmen der deutschen Gesetze sofort wegen Beleidigung eines Präsidenten bestraft wird", so Kurtulmus. Er betonte aber, die Türkei wolle "absolut keinen politischen Druck" auf Deutschland ausüben.
"Alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen"
Er warf Böhmermann vor, mit dem Gedicht ein "schweres Verbrechen gegen die Menschlichkeit" begangen zu haben. Der Text habe "alle Grenzen der Schamlosigkeit übertroffen". Die Regierung in Ankara könne das nicht akzeptieren und habe eine entsprechende diplomatische Note an die deutschen Behörden geschickt.
Die Bundesregierung prüft den förmlichen Wunsch der Türkei nach Strafverfolgung. Dies werde ein paar Tage, aber nicht Wochen dauern, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert.
Freiheit der Kunst für Merkel nicht verhandelbar
Seibert betonte, die Freiheit der Kunst und die Pressefreiheit seien für Kanzlerin Angela Merkel (CDU) weder nach innen noch nach außen verhandelbar. Dies gelte unabhängig davon, ob sie etwas für geschmacklos halte und davon, dass die EU mit der Türkei in der Flüchtlingskrise zusammenarbeite.
Der 35-Jährige Böhmermann hatte in seinem Gedicht in der Fernsehshow "Neo Magazin Royale" bewusst beleidigende Formulierungen benutzt, um - wie er selbst vor dem Text erläuterte - die Unterschiede zwischen in Deutschland erlaubter Satire und verbotener Schmähkritik deutlich zu machen.
"Der gehört in den Knast!" Hier äußert sich Titanic-Chefredakteur Tim Wolff zum Fall Böhmermann. Das ganze Interview finden Sie auf www.dbate.de
Bundesregierung müsste Ermächtigung erteilen
Die Staatsanwaltschaft Mainz, die wegen mehrerer Anzeigen gegen Böhmermann sowie gegen ZDF-Verantwortliche ermittelt, wurde nach eigenen Angaben bislang nicht über das Strafverlangen der Türkei informiert. Für eine Strafverfolgung in solchen Fällen brauche es neben dem Strafverlangen der Türkei auch eine entsprechende Ermächtigung vonseiten der Bundesregierung.
Am Abend wurde bestätigt, dass Erdogan selbst Strafantrag gegen den Satiriker wegen Beleidigung gestellt habe. Ein entsprechendes Schreiben sei bei der Staatsanwaltschaft eingegangen.
Gegenstand des durch eine Anwaltskanzlei gestellten Antrags sei das "Schmähgedicht". Der Strafantrag werde in dem bereits anhängigen Verfahren geprüft werden, hieß es weiter.
DJV rechnet nicht mit Strafprozess
Der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV) Frank Überall rechnet nicht mit einem Strafprozess gegen Jan Böhmermann. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass Anklage erhoben wird. Und ich kann und will mir nicht vorstellen, dass Böhmermann tatsächlich verurteilt wird", sagte er.
Das ZDF will an seinem Moderator trotz des Ärgers festhalten. Dessen "Neo Magazin Royale" stehe nicht zur Disposition, teilte der Sender mit. "Die Sendung wird wie bisher fortgeführt." Böhmermann selbst, der am Freitagabend für eine frühere Satire-Aktion ("Varoufake") in Abwesenheit den begehrten Grimme-Preis erhielt, hält sich seit Tagen aus der öffentlichen Diskussion heraus.
Entschuldigung statt Anklage
Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Gökay Sofuoglu, hält eine Anklage nicht für notwendig. Böhmermann und das ZDF sollten sich aber entschuldigen, sagte er. "Ich finde das nicht satirisch, sondern deplatziert und beleidigend", erklärte Sofuoglu.
In der Öffentlichkeit hat Böhmermann zuletzt prominente Zustimmung erfahren: "Ich finde Ihr Gedicht gelungen. Ich habe laut gelacht", schrieb Axel-Springer-Chef Mathias Döpfner in einem offenen Brief an Böhmermann in der "Welt am Sonntag". "Dass Ihr Gedicht geschmacklos, primitiv und beleidigend war, war ja - wenn ich es richtig verstanden habe - der Sinn der Sache", so Döpfner.
Hallervorden spottet
Aus Solidarität mit Böhmermann verspottete der Kabarettist Dieter Hallervorden (80) den türkischen Staatspräsidenten in einem Lied: In "Erdogan, zeig' mich an", das Hallervorden am späten Sonntagabend auf seiner Facebook-Seite veröffentlichte, heißt es unter anderem: "Ich sing' einfach, was du bist. Ein Terrorist, der auf freien Geist scheißt."
Niels Annen, außenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, sagte der Tageszeitung "Die Welt": "Ich erwarte, dass die Bundesregierung einen rechtskonformen Weg findet, die Bitte der türkischen Regierung um eine Strafverfolgung abzulehnen."
Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Grünen, ergänzte: "Die Bundesregierung sollte den Fall unkommentiert der deutschen Justiz überlassen und damit Erdogan mit einem weiteren Prinzip demokratischer Staaten vertraut machen - der Gewaltenteilung."
Sahra Wagenknecht, Vorsitzende der Fraktion Die Linke, verlangte, Bundeskanzlerin Merkel müsse sich schützend vor die Presse-, Meinungs- und Kunstfreiheit in Deutschland stellen und Ankara eine Absage erteilen.