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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Wie die AfD sich ausbreitet "Wir haben längst ein Problem mit radikalen Christen"
Lange schienen politisierte Christen allein ein Problem der USA. Jetzt jedoch wagen sich auch in Deutschland reaktionäre Gläubige in die Öffentlichkeit und machen gemeinsame Sache mit rechtspopulistischen Gruppen. Sie sind nicht viele, aber sehr laut, sagt die Juristin Liane Bednarz im Gespräch mit t-online.de.
Frau Bednarz, bekommen wir ein Problem mit radikalen Christen - ähnlich wie in den USA?
Die Frage ist nicht, ob wir es bekommen. Wir haben es längst.
Wie zeigt sich das?
Es gibt ein ultrakonservatives christliches Milieu, das lange am Rand agiert hat und jetzt der AfD zuströmt. Seit Thilo Sarrazins Buch "Deutschland schafft sich ab" wittert dieses Milieu Morgenluft. Es tritt immer offensiver auf - und findet oftmals eine geistige Heimat in der AfD.
Was sind die Feindbilder dieser Christen in der AfD?
In den Internet-Foren finden sich in etwa die gleichen Feindbilder wie bei säkularen oder atheistischen Rechtspopulisten. Sprich: "Genderwahn" (Protest gegen die gesetzliche Förderung der Frau, Anm. d. Red.), "Homo-Lobby", "GEZ-Medien" oder "Staatsfunk" (angeblich staatlich gelenkte öffentlich-rechtliche Medien), die Islamisierung des Abendlandes, Angela Merkel und so weiter.
Das Übliche…
Genau. In den erzreaktionären christlichen Milieus hat man auch frühzeitig mit den Zielen von AfD und Pegida sympathisiert. Prominente Christen wie die Journalisten Matthias Matussek oder Alexander Kissler haben die AfD und die Pegida-Bewegung verteidigt. Kissler breitet auf seinem Twitter-Account mutmaßliche Delikte von Flüchtlingen aus, was auffallend unverhältnismäßig zu seinen wenigen Tweets über Gewalttaten gegen Flüchtlinge ist.
Sie sagen, Sarrazin habe den Anfang gemacht? Die Richtung war nicht schon immer da?
Sie war schon immer da, aber sie hat sich nicht öffentlich gezeigt. Seit Sarrazin wagen sich diese Leute stärker in die Öffentlichkeit und versuchen, das Christentum für ihre ultrakonservativen und gar nicht christlichen Zwecke zu instrumentalisieren. Es gibt eine Kaskade von Ereignissen: Zuerst Sarrazins Buch. Dann kam die Euro-Krise. Da begann auch, was ich den Diktatursprech nenne: Die EU - die "EUdssR" - wird seither mit einer Diktatur gleichgesetzt, ihre Politiker werden als Diktatoren, der Rettungsfonds ESM als "Ermächtigungsgesetz" denunziert - also mit Anklängen an 1933. Dann kam die Gründung der AfD. Da konnte man schnell beobachten, wie rechts-evangelikale und rechts-katholische Kreise sich von ihr angezogen fühlten.
Liane Bednarz, Jahrgang 1974, ist Juristin. Sie hat mehrere Bücher über die AfD und die Neue Rechte verfasst.
Ist eine Konfession besonders betroffen?
Nein. Im Protestantismus betrifft es die Evangelikalen, wobei es auch dort eine moderate Fraktion gibt, die beispielsweise fordert, dass man mit Homosexuellen fairer umgeht.
Und bei den Katholiken?
Da ist es schlimmer: Innerhalb des dortigen konservativen Teils gibt es - anders als bei den Evangelikalen - kaum Diskussionen. Das ist eine fest geführte Wagenburg. Der moderate Teil der konservativen Katholiken ist leider sehr still.
Warum ist das so? Sind die geistig schon überrannt?
Ganz offen gesagt: Ich weiß es nicht. Der publizistisch wahrnehmbare Teil ist jedenfalls sehr aktiv. Es gibt eine ganze Blogger-Szene. Sie haben ihre prominenten Gallionsfiguren wie Matussek, Kissler und andere. Das ist bei den Evangelikalen nicht so. Die haben (den ZDF-Journalisten) Peter Hahne, wobei der nicht unbedingt radikal ist. Rechte Katholiken dagegen haben ihre Stars und sind sehr selbstbewusst.
Welche Vorbilder haben diese Leute?
Übereinstimmungen zwischen vielen von ihnen und der AfD gibt es bei der Haltung gegenüber autoritären, sich christlich gebenden Regimen wie Putins Russland, Orbans Ungarn und Kaczynskis Polen.
Und die Kirchen unternehmen nichts?
Erst jetzt fangen sie langsam an, sich abzugrenzen: So wird bei AfD-Demonstrationen in Erfurt der Dom verdunkelt. Moderate Erzbischöfe werden aus dieser Szene mittlerweile extrem angefeindet.
Wenn man in den vergangenen Jahren von den Kirchen gehört hat, ging es meist um die evangelischen Kirchentage, das ökumenische Netzwerk "Kirche von unten" oder die katholische Initiative "Wir sind Kirche". Rechte Gruppen kamen darin nie vor.
Bei den evangelischen Kirchen wird Religion vielfach für linksgerichtete Politik instrumentalisiert. Das jetzt ist die Gegenbewegung. Aber nicht nur: Es gibt auch eine klar erkennbare Radikalisierung.
Wie viel Prozent der Christen folgen in etwa solchem Gedankengut?
Darüber gibt es keine empirischen Erhebungen. Ich würde sagen: etwa fünf Prozent der aktiven Christen.
Das klingt nach nicht viel.
Ja, aber leider sind sie sehr laut und prominent.
Wer sind ihre Gallionsfiguren innerhalb der AfD?
Vor allem Beatrix von Storch.
Die hat ja gerade dazu aufgerufen, Flüchtlinge mit Waffengewalt aufzuhalten. Wie verträgt sich das eigentlich mit der Vorstellung von christlicher Nächstenliebe?
Gar nicht. Aber es ist nicht ihre erste Entgleisung. Sie hat vor ein paar Tagen auf Facebook ein Video gepostet, wo sie sagt, Flüchtlinge müssten nicht integriert werden, das sie ja ohnehin irgendwann zurückkehren. Sie müssten sich hier lediglich an die Gesetze halten. Sie sollen also jahrelang herumsitzen. Wie kann man als Christin so etwas sagen? Das ist eiskalt. Ein anderes Beispiel: Sie spricht gern über Christenverfolgungen in den muslimischen Ländern - und macht so Stimmung gegen Muslime. Aber überschreitet ein Mensch auf der Flucht die deutsche Grenze, wird er bei ihr offenbar zum Feindbild.
Wo sehen Sie die AfD in fünf Jahren?
Ich befürchte, dass sie bei der nächsten Bundestagswahl über 15 Prozent bekommt - wenn nicht noch mehr. Man sieht es ja an anderen Ländern wie der Schweiz, Frankreich oder Österreich.
Und dann?
Das größte Problem, das ich sehe, ist, dass überall Große Koalitionen entstehen, weil es für etwas anderes nicht mehr reicht. Das wiederum befeuert natürlich den Eindruck, dass die Politik eher betäubt, dass alles gleich ist. Dann wünschen sich viele die scharf machende Opposition. Im schlimmsten Fall steht die AfD in fünf Jahren bei 30 Prozent.
Die Fragen stellte Christian Kreutzer