TV-Talk bei Plasberg Lindner wirft Merkel "Realitätsverlust" vor
von David Heisig
Streit mit der Schwesterpartei, Ärger in der Koalition und Volkes langsam keimende Zweifel an der Willkommenskultur. In Angela Merkels Haut möchte man in diesen Tagen nicht stecken. Plasberg malt in seiner ARD-Sendung "Hart aber fair" gar das Bild der angezählten Boxerin. Das Handtuch zum Werfen indes will ihr in der Diskussion keiner reichen.
Der Zuspruch für die Flüchtlingspolitik der Bundeskanzlerin bröckelt. Immer lauter werden die Zweifel in der eigenen Partei, ob ihr Pilgerweg nicht doch ein zu steiniger ist. Besonders laut krakeelt die Schwesterpartei CSU aus der Interims-Festung Wildbad-Kreuth. Da hat Talkgast Thomas Kreuzer, Vorsitzender der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, eine komfortable Position in der Diskussion. Merkel müsse bei den Flüchtlingen "endlich die Notbremse ziehen" meint er. Grenzsicherung und Zurückweisung als nationale Lösungen müssten her.
Elmar Brok, EU-Politiker der CDU, schüttelt den Kopf. Nationaler Alleingang? Nutzlos. Man müsse die Türkei ins Boot holen und Hotspots zur Registrierung an den EU-Außengrenzen schaffen. Obergrenzen würden nicht helfen. Christian Lindner von der FDP meint, die Kanzlerin leide an "Realitätsverlust". Sie habe "unser Land mit ihrer Willkommenskultur ins Chaos gestürzt". Man brauche die Wende. Eigentlich gute Voraussetzungen, um sich schön auf das Thema der Sendung einzuschießen.
"Getarnte Flüchtlingsdiskussion"
Aber eine Äußerung Lindners verdeutlicht: Die Diskussion geht in eine ganz andere Richtung. Nicht Merkels berufliche Perspektive mache ihm Sorgen, sondern die Tatsache, dass einige Menschen das Zutrauen in die Politik verlören. Plasberg stülpt seiner Runde ein anderes Themenkleid über. Eigentlich trägt man wieder eine Diskussion über die Flüchtlingspolitik im Allgemeinen aus - mehr gegenseitige Schuldzuweisungen denn Lösungsansätze.
Broks Europapolitik trifft auf Kreuzers Bayernshow. Thomas Oppermann, Vorsitzender der Bundestagsfraktion der SPD betont, dass Sätze wie "Wir schaffen das" nicht auslangten, um Integration zu gewährleisten. Lindner meint, die Regierung zerreibe sich nur in Streitigkeiten, was die Rechtspopulisten stark mache.
"Wollen wir das?"
Plasberg zeigt die Montage eines Bildes: darbende Flüchtlinge an einem Grenzzaun. Zusammen mit der implizierten Frage "Wollen wir das?" ein Totschlagargument für eine fundierte Diskussion. "Sie machen mir damit keine Angst" meint Lindner, der striktere rechtsstaatliche Regulierungen für die Einwanderung fordert. Oppermann nennt es die Forderung nach "legitimen Verfahren". In der Diskussion geht es kreuz und quer. Mal laut, mal leise. Irgendwie hat man das alles schon mal gehört. Wissensgewinn des Zuschauers? Fehlanzeige. Merkel muss im TV-Sessel nicht zusammenzucken.
Plasberg lässt die Diskussion jovial laufen. Spiegel-Redakteurin Melanie Amann versucht, hier Kontrapunkte zu setzen. "Man muss Herrn Kreuzer noch einen ganz anderen Vorwurf machen, finde ich" sagt sie zum Thema Obergrenzen. Die seien eine Illusion. Kein Flüchtling lasse sich davon abhalten. Leider kann auch sie nichts aus den Gästen herauskitzeln. Da hilft nur süffisantes Drüber-weg-Lächeln.
Und der Zuschauer?
Das Abbild der Zuschauermeinungen zeigt: Auch die Adressaten des "Wir schaffen das", die ehrenamtlichen Hochhalter der Willkommenskultur, bekommen langsam Zweifel. Zufrieden sei man mit der Politik nicht. Von "sofortiger Kehrwende" über "Kontrollverlust" bis hin zu "Angst um die Familie“ finden sich diverse Aussagen.
Andere meinen, Angela Merkel führe richtig und bringe Menschlichkeit ins Spiel. Sie vertrete eine "authentische christliche Position", so ein Nutzer.
"Kein Putsch gegen Merkel"
Am Ende bleibt die Erkenntnis, dass keiner in der Runde an einen gelebten Aufstand gegen Angela Merkel glaubt. Es werde "keinen Putsch gegen Merkel" geben, so Amann. Plasberg springt ihr bei, indem er die CSU als "zahnlosen Tiger" bezeichnet.
Kreuzer kann nur entgegnen, dass es ihm eigentlich um die Sache gehe. Lindner prognostiziert, dass Merkel gar gestärkt aus den kommenden Landtagswahlen hervorgehen könnte. Der aktuelle Talk jedenfalls sieht keinen K. o. der Kanzlerin.