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Angebliche Vergewaltigung: Russisches TV hetzt gegen Flüchtlinge


13-Jährige angeblich vergewaltigt
Russisches TV hetzt gegen Flüchtlinge in Berlin

t-online, ckr

Aktualisiert am 21.01.2016Lesedauer: 3 Min.
Wer steckt dahinter: Ein neuer Streit tobt in Berlin um eine angebliche Vergewaltigung.Vergrößern des Bildes
Wer steckt dahinter: Ein neuer Streit tobt in Berlin um eine angebliche Vergewaltigung. (Quelle: dpa-bilder)
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Die Tat schien aus dem Lehrbuch für Ausländerfeinde zu stammen: Mehrere Asylbewerber hatten angeblich am 11. Januar ein 13-jähriges Mädchen entführt, 30 Stunden festgehalten und mehrfach vergewaltigt. Laut Polizei sind die Vorwürfe frei erfunden. Ein russischer Sender schlachtet den Fall aus - und hetzt Russlanddeutsche auf.

Fakt ist: Einen Tag nach dem angeblichen Verbrechen war das Kind wieder frei und ging mit seinen Eltern zur Polizei, um Anzeige zu erstatten. Die bat nach einiger Zeit die Eltern, mit dem Mädchen allein sprechen zu dürfen, weil ihnen offenbar manches an der Geschichte seltsam erschien.

Beamte machen in manchen Fällen von dieser Möglichkeit Gebrauch. Beispielsweise, wenn ihnen ein Kind in Gegenwart der Eltern besonders befangen erscheint.

Russisches TV behauptet: Polizei und Medien vertuschen den Fall

Das Ergebnis der Befragung folgte kurz danach: Nach derzeitigem Kenntnisstand habe es weder eine Entführung, noch eine Vergewaltigung gegeben, gab das Berliner Landeskriminalamt bekannt.

Merkwürdig erscheint vielen Beobachtern nun das Vorgehen von "Kanal 1" des staatlichen russischen Fernsehens. Denn der Sender berichtete auffallend schnell und intensiv über den Fall.

Sowohl dort als auch auf Seiten, die den Video-Bericht des Senders verbreiten, wird ein Zusammenhang zwischen der angeblichen Vergewaltigung und den in Deutschland lebenden Flüchtlingen unterstellt. Dazu behaupten die Macher an verschiedenen Stellen, deutsche Polizei und Medien würden den Fall gezielt vertuschen.

Seltsam klingende Gerüchte

Dabei strotzt die Angelegenheit vor Ungereimtheiten: So berichtet der frühere "Focus"-Korrespondent und Russland-Kenner Boris Reitschuster auf seiner Facebook-Seite, es habe schon verdächtig kurz nach der Entführung "professionell aussehende Suchmeldungen" in dem betroffenen Berliner Stadtteil Marzahn gegeben.

Und wo die angeblichen Fakten nicht reichten, da wurde einfach dazu erfunden: So filmte ein Korrespondent eine angebliche Demonstration von Verwandten des Kindes - in Wahrheit eine zuvor angemeldete Demonstration der NPD.

Kurz: "Kanal 1" war schon Stunden nach dem Verschwinden der 13-Jährigen verdächtig nah an der Sache dran.

Mittlerweile wurde der hetzerische TV-Bericht mit dem Tenor: "Jetzt sieht Deutschland, was es davon hat, muslimische Kinderschänder einzuladen", tausendfach geteilt. Russlanddeutsche Gruppen haben für Sonntag zu Demonstrationen aufgerufen.

Anwalt glaubt nicht an Zufall

In Windeseile waren vermeintliche Verwandte zur Stelle, die "Kanal 1" davon berichteten, wie die Polizei das Mädchen dazu gezwungen habe, seine Anschuldigungen zurückzunehmen.

Doch es gibt noch weitere Auffälligkeiten. Ein angeblicher Onkel des Mädchens berichtete dem Sender, die Polizei habe das Kind überredet zu sagen, es habe den Sex gewollt und die Männer verführt. Das sei völlig untypisch für die deutsche Polizei, aber nicht für den Umgang mit Vergewaltigungsopfern in Russland, schreibt Reitschuster, wie auch verschiedene Kommentatoren auf seiner Facebook-Seite.

Zu den mutmaßlichen Verdrehungen passt auch folgende Tatsache, über die Reitschuster berichtet: Die Mutter des Mädchens soll laut ihrem mittlerweile gelöschten Facebook-Account eine Anhängerin von Pegida sein und sich an der Stimmungsmache gegen Flüchtlinge aktiv beteiligt haben.

Zudem ist von Szene-Kennern immer wieder zu hören, Pegida - wo viele Putin-Fans mitmarschieren - werde von Moskau finanziell unterstützt. Eine Behauptung, die künftig Juristen und Politiker beschäftigen dürfte.

Der Konstanzer Anwalt Martin Luithle sagte t-online.de: "Verschiedene Geschehnisse haben sich innerhalb eines so kurzen Zeitraums ereignet, dass es insgesamt der allgemeinen Lebenserfahrung widerspricht, dass die Geschehnisse zufällig passiert sind."

Es liege daher der Rückschluss nahe, dass der Bericht gezielt vorbereitet wurde. Gegen den russischen Berlin-Korrespondenten hat Luithle Strafanzeige wegen Volksverhetzung erstattet (hier das t.online.de-Interview mit Luithle).

Angst vor dem Shitstorm

Möglicherweise hat die unsaubere Medienpraxis Methode. Mehrere Politiker sehen generell den Versuch Moskaus, gesellschaftliche Brüche in Deutschland und Europa zu nutzen und zu vergrößern.

Das Ziel: Der Ausbau der eigenen Macht und die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Selbst Amerikaner und Briten untersuchen derzeit akribisch das Ausmaß der Einflussnahme Moskaus auf europäische Medien und sogar Parteien, wie der britische "Telegraph" vor einigen Tagen berichtete.

Der Europaabgeordnete Elmar Brok (CDU) sagte t-online.de, es gebe seit Langem eine russische Destabilisierungsstrategie mit gezielten Desinformationskampagnen.

Noch krasser ist diese Aussage eines Bundestagsabgeordneten, der anonym bleiben möchte: "Ich denke genau darüber seit Wochen nach, traue mich aber nicht, darüber zu sprechen", bekennt der Mann. Zu groß ist die Angst des Politikers vor einem Shitstorm aus Russland sowie aus der eigenen Partei.

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