Stimmung in der CDU kippt Silvester-Skandal wird für Merkel zur Zerreißprobe
Die Übergriffe von Köln entwickeln sich für die CDU zur Zerreißprobe: Die Stimmung im Land droht zu kippen, auch parteiintern sind lange nicht mehr alle auf Merkels Kurs. Ein Stimmungsbild aus der CDU-Spitze.
Die Frage wird so schnell nicht mehr verschwinden, das weiß Angela Merkel. Wann endlich greift ihr Flüchtlingskonzept, damit die Zahl der Schutzsuchenden an den Grenzen dauerhaft deutlich sinkt? Der Kanzlerin bleibt nach der Klausur der CDU-Spitze in einem Mainzer Hotel über dem Rhein nichts anderes übrig, als den Zeitpunkt offen zu lassen. "Mit Hochdruck" will sie die großen Aufgaben abarbeiten, sagt sie.
Die Erwartung an der Basis ist riesig. In den nächsten Monaten könnte die Zeit aber immer schneller gegen Merkel und ihren Kurs arbeiten, der auf eine faire Verteilung in der EU, Hilfe für Herkunftsländer und den Kampf gegen Schleuser setzt. Im März wird in drei Bundesländern gewählt, im Herbst in zwei weiteren. Die rechtspopulistische AfD könnte dabei Erfolge feiern.
Markenkern innere Sicherheit
Auch im Führungszirkel um Merkel spüren sie: Die Übergriffe von Köln verändern die Stimmung im Land. Es geht die Sorge um, dass sich unter den CDU-Anhängern der gefährliche Eindruck festsetzt, der Staat habe bei vielen Dingen im Zusammenhang mit der Integration kapituliert. Das wäre wie schleichendes Gift für die Unionsparteien. Nach den Übergriffen von Köln geht es um den Markenkern von CDU und CSU: die innere Sicherheit. Hessens Regierungschef Volker Bouffier sagt: "Wir haben Köln als Menetekel."
Drei Stunden lang diskutiert der CDU-Führungszirkel in der Nacht zum Samstag über die Lage. Für ihren Kurs in der Flüchtlingspolitik bekommt Merkel nach übereinstimmenden Angaben Rückendeckung. Doch es gibt auch große Sorgen.
"Die Stimmung an der Basis ist unterirdisch", wird der Chef des Unions-Mittelstands (MIT), Carsten Linnemann, von Teilnehmern zitiert. Wenn der Zustrom an Flüchtlingen so bleibe wie bisher, werde Integration nicht gelingen. Merkel spricht von einem "Paukenschlag" im Zusammenhang mit Köln. Bouffier sagt: "Köln hat alles verändert. Die Menschen zweifeln nun." CDU-Präsidiumsmitglied Jens Spahn meint: "Die Frage ist, wie viel Zeit wir noch haben, wie lange wir warten können, bis die europäischen Lösungen greifen."
Anwesende berichteten, die Kanzlerin habe zu erkennen gegeben, dass die verbleibende Zeit bis zur erhofften drastischen Verringerung der Zahl der Ankommenden begrenzt sei. "Spiegel Online" zitiert Merkel mit dem Verweis, es sei ein gutes Signal, dass derzeit nur 3000 Leute am Tag kämen, es seien schon 10.000 gewesen. "Aber ich kann rechnen, ich weiß, dass 365 mal 3000 auch noch zu viel ist."
Hat Merkel einen Plan B?
Für viele war schon beim Parteitag in Karlsruhe vor wenigen Wochen die Kernfrage: Wie viel Zeit geben wir einer europäischen Lösung noch? War damals von Herbst oder Winter die Rede, nennen manche im Vorstand nun den Sommer, viele das Frühjahr. Einer sagt, die Frage werde von Tag zu Tag dringender. Nach den zurückgehenden Zahlen von Flüchtlingen in diesen Wochen dürfe der Zustrom auch von März an nicht wieder steigen, sonst sei die angepeilte Begrenzung kaum mehr machbar.
Ein CDU-Spitzenmann glaubt, dass am Ende eine Situation entstehen könne, in der Merkel einen Plan B aus der Tasche zaubern muss. Von dem sie bisher beteuert, sie habe ihn gar nicht. Das könne wieder Grenzkontrollen wie in Schweden oder Dänemark bedeuten. Merkel warnt: "Das wäre ein Riesenrückschritt."
Bei jenen, die ihr näher sind als andere, heißt es, die Kanzlerin setze weiter auf die internationale Karte bei der Lösung der Flüchtlingskrise - aber sie habe keine Illusionen, dass es ein leichter Weg werde. "Jetzt muss man sich aufs Gelingen konzentrieren", heißt es da. Merkels Konzept habe bisher nicht ansatzweise die Zeit gehabt, die für Erfolge auf diesem schwierigen Gebiet notwendig sei. Es gebe noch keinen Grund, "nach wenigen Wochen die Flinte ins Korn zu werfen".
Seehofer kann Druck machen
Allerdings könnte die von CSU-Chef Horst Seehofer als Obergrenze genannte Zahl von 200.000 aufgenommenen Flüchtlingen pro Jahr im März überschritten sein. Und der Bayer dürfte Merkel dann weiter unter Druck setzen. Der Chef der Senioren-Union, Otto Wulff, fordert ein geschlossenes Bild der Union. "Die Leute müssen überzeugt sein, die schaffen das."
Für die Kanzlerin bietet die Lage aber auch eine Chance: In der Diskussion um Polizeieinsätze und Ausländergesetze kann sie handeln, ohne auf den Syrienkonflikt und internationale Partner wie die Türkei angewiesen zu sein. Da kommt es vor allem auf den Koalitionspartner SPD an. Schon kommende Woche dürfte sich in der SPD-Fraktion zeigen, ob die Offenheit von Parteichef Sigmar Gabriel für schärfere Gesetze eine Chance auf Umsetzung hat. Die Linken in der sozialdemokratischen Fraktion gelten in solchen Fragen als extrem kritisch.
Merkel bleibt am Ende in Mainz jedenfalls bei ihrem Credo: "Wie unser Programm ist, ist klar, dass wir das schaffen."