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Lösen Flüchtlinge unser Überalterungs-Problem? Ökonomen streiten


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Expertenstreit: Lösen Flüchtlinge Deutschlands Überalterungs-Problem?

Von Harald Schmidt, dpa

Aktualisiert am 07.11.2015Lesedauer: 3 Min.
Chirurg und Fensterputzer: Beide könnten ehemalige Flüchtlinge sein.Vergrößern des Bildes
Chirurg und Fensterputzer: Beide könnten ehemalige Flüchtlinge sein. (Quelle: dpa/Imago)

Deutschlands Bevölkerung altert, Zuwanderer werden dringend gebraucht. Können die Flüchtlinge zur Rettung beitragen? Sowohl Optimisten als auch Zweifler haben gute Gründe für ihre Antwort auf diese Frage.

Der aktuelle Flüchtlingszustrom ist eine Chance für das alternde Deutschland - so sieht es zumindest Deutsche-Bank-Chefökonom David Folkerts-Landau. Denn hierzulande würden die Arbeitskräfte knapp, die wirtschaftliche Dynamik drohe zu erodieren, analysiert Folkerts-Landau.

Potenzial, die Sozialkassen zu entlasten

"Ohne Zuwanderung würde das Wirtschaftswachstum in den nächsten 10 Jahren von derzeit im Schnitt etwa 1,5 Prozent auf nur noch 0,5 Prozent pro Jahr fallen. Das per Umlage finanzierte Rentensystem in der heutigen Form wäre ohne drastische Einschnitte kaum aufrechtzuerhalten", sagt er.

Der Flüchtlingszustrom habe das Potenzial, die demografiebedingten Herausforderungen Deutschlands abzumildern und die deutschen Sozialkassen zu entlasten, glaubt Folkerts-Landau: "Dies setzt aber eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt und in die Gesellschaft voraus, ein Kraftakt sowohl für die heimische Bevölkerung als auch die Neuankömmlinge."

Allerdings ist unter Ökonomen umstritten, ob die Menschen, die vor allem aus Syrien, Afghanistan oder dem Irak nach Deutschland kommen, angesichts der oft geringen Bildung überhaupt eine Chance auf Beschäftigung haben. Marco Wagner von der Commerzbank ist skeptisch: "Die Zuwanderer, die seit 2015 nach Deutschland kommen, dürften eher schlechte Chancen am deutschen Arbeitsmarkt haben."

"Schlecht auf deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet"

Denn wie Ökonom Michele Battisti vom ifo Institut betont, sind viele Zuwanderer Analphabeten, der Anteil der Hochschulabsolventen sei indes gering: "Sie sind schlecht für den deutschen Arbeitsmarkt vorbereitet." Neben Deutschkursen müsse Deutschland auch in die Berufsbildung investieren. Das verursache aber zusätzliche Kosten.

Auch Ökonom Jörn Quitzau vom Bankhaus Berenberg hat Zweifel: "Hoffnungen, die aktuelle Flüchtlingswelle könnte die wirtschaftlichen Folgen des demografischen Problems in Deutschland nennenswert lösen, werden sich wohl als Illusion erweisen." Die Krisen dieser Welt ließen ganz überwiegend andere Menschen flüchten, als die, die von den alternden Industrienationen benötigt würden.

"Fast ein Drittel hat eine Hochschulausbilung"

Zumindest mit Blick auf die Syrer ist die Ratingagentur Standard & Poor's optimistischer. Denn nach Angaben der Weltbank sei die syrische Bevölkerung im Vergleich zu der in anderen arabischen Ländern gut ausgebildet: "Fast ein Drittel der Erwachsenen, sowohl Männer als auch Frauen, verfügt über eine Hochschulausbildung." Daher sollten sich gerade in Ländern mit niedriger Arbeitslosigkeit wie Deutschland viele in den Arbeitsmarkt eingliedern können.

Sicher ist, dass auf Deutschland enorme Kosten zukommen. In einem Gastbeitrag für das "Handelsblatt" schreibt Ökonom Clemens Fuest, Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW): "Die heimische Bevölkerung erleidet wirtschaftliche Verluste, wenn die Zuwanderer weniger an Steuern und Abgaben in die öffentlichen Kassen einzahlen, als sie an Leistungen erhalten."

Die Commerzbank schätzt die direkten zusätzlichen Aufwendungen des Staates für Flüchtlinge auf rund 7 Milliarden Euro in diesem und 17 Milliarden Euro im kommenden Jahr. Hinzu kämen Aufwendungen etwa für zusätzliche Stellen für Lehrer, Erzieher oder Sozialarbeiter.

"Kosten für Steuerzahler" oder "Humankapitalinvestition"?

Andere Schätzungen gehen gar von 10 Milliarden Euro Kosten für Unterbringung, medizinische Versorgung und Verpflegung der geschätzten 800.000 Asylbewerber in Deutschland in diesem Jahr aus. Sollte 2016 eine ähnlich große Zahl an Menschen nach Deutschland kommen, steigen die Ausgaben demnach auf 20 Milliarden Euro.

"Damit die Flüchtlingskrise nicht zu einer andauernden finanziellen Überlastung des deutschen Steuerzahlers führt, müssen Flüchtlinge so schnell wie möglich in bezahlte Beschäftigung kommen, sodass sie selbst zu ihrem Lebensunterhalt beitragen können", fordert ifo-Mann Battisti deshalb.

Dabei sei zu befürchten, dass viele bei einem Mindestlohn von 8,50 Euro keine Beschäftigung finden. Ihre Produktivität sei schlicht zu gering.

Statt von Kosten für die Steuerzahler spricht Folkerts-Landau lieber von "staatlich finanzierten Humankapitalinvestitionen", die Flüchtlingen eine Chance am deutschen Arbeitsmarkt eröffnen. "Die Herkulesaufgabe der Integration der Flüchtlinge muss als Zukunftsinvestition begriffen werden. Die Flüchtlinge sind jung; der Anteil der unter 18-Jährigen liegt bei 30 Prozent."

50 Prozent ohne Berufsausbildung - aber bis zu 25 Prozent Akademiker

Allerdings hätten nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit vermutlich mehr als die Hälfte der Asylsuchenden keine abgeschlossene Berufsausbildung. Gleichzeitig hätten aber 15 bis 25 Prozent einen Hochschulabschluss.

Ein Teil der staatlichen Ausgaben fließt sofort in den Wirtschaftskreislauf zurück, wie KfW-Chefvolkswirt Jörg Zeuner betont: "Der starke Flüchtlingszustrom bedeutet konjunkturell einen positiven Impuls in Form von zusätzlichen Ausgaben, insbesondere für Konsum und Wohnbau." Die Mehrausgaben der Kommunen zur Unterbringung und Versorgung der Flüchtlinge vor Ort erhöhten auch die Umsätze vieler Mittelständler.

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), zählt auf, dass etwa Bauwirtschaft und Vermieter vom Wohnungsbedarf der Flüchtlinge oder Supermärkte von der zusätzlichen Nachfrage nach Lebensmitteln profitierten: "In der Tat ist der Beitrag der Ausgaben für Flüchtlinge zum Wirtschaftswachstum in Deutschland spürbar."

Selbst wenn nur die Hälfte der 2016 möglichen Ausgaben von 20 Milliarden Euro in den Konsum fließe, erhöhe das die Wirtschaftsleistung um 0,3 Prozent.

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