TV-Kritik zu "Günther Jauch" Deutschland in der Flüchtlingskrise: hilflos und ratlos
Eine Diskussion über Flüchtlinge in Deutschland ohne populistische Ausbrüche? Das hat Günther Jauch am Sonntag tatsächlich geschafft. Die Probleme bei ihren Wurzeln zu packen? Das hatte man wohl nicht erwarten können. Die Spaltung Deutschlands thematisieren dagegen schon. Das blieb aber aus.
Auch die Antwort auf die Frage, was Deutschland aus dem gerade erst gefeierten Jahrestag der deutschen Einheit für Lehren ziehen könne. Stattdessen machte es die Runde im ARD-Gasometer der deutschen Politik nach - diskutieren, ohne voran zu kommen.
"Flüchtlingsrepublik Deutschland - Wo liegen unsere Grenzen?" Günther Jauch stellte die Gretchen-Frage, die viele Experten in ganz Europa aktuell diskutieren.
Was kommt auf Länder wie Deutschland zu, wenn der Strom an Menschen in den kommenden Monaten nicht abebben sollte? Worauf muss sich Deutschland einstellen? Die Politik, die Deutschen, die Flüchtlinge? Die Quintessenz des Abends: Keiner weiß es.
Entkräftete Argumente eines hilflosen Politikers
Das konnte keiner am Sonntag besser demonstrieren als in seiner Hilflosigkeit Peter Altmaier. Während von der CSU täglich Angriffe auf Kanzlerin Angela Merkel gefahren werden, sprach der Chef des Bundeskanzleramtes von "Nuancen", die CDU und CSU in der Grundhaltung zur Flüchtlingspolitik auseinander lägen. Er wollte den Zuschauern erklären, dass die Parteien zusammenhielten, eine gemeinsame Richtung verfolgten. Wohlwissend, dass diese gemeinsame Richtung längst Illusion geworden ist.
Altmaier konnte weder glaubhaft versichern, dass die Große Koalition an einem Strang zieht, noch dass eine gemeinsame europäische Lösung realistisch sei. Aussagen wie "die Kanzlerin wird insistieren, dass alle europäischen Länder sich ihrer Verantwortung stellen" wurden im Nu widerlegt. Schließlich kann ein Land wie Tschechien erklären, es nehme viele Flüchtlinge auf. Wenn diese aber nach Deutschland wollten, so könnten sie dies - die offenen Grenzen machen es möglich.
Und wenn Altmaier erklärte: "Wenn ein Flüchtling im Stande ist, sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen, dann dürfen wir ihn nicht durch administrative Hürden daran hindern", klang das zwar nach einer guten Idee. Er machte sich aber selbst seine hoffnungsvolle Aussage wieder zunichte, indem er eingestehen musste, dass ein "Erfolg bei der Arbeitsvermittlung aktuell eher gering ist, weil die Ämter die Qualifikationen der Menschen nicht kennen".
Haltlose Grammatik statistischer Flüchtlingshilfe
Die Hilflosigkeit des Kanzleramtschefs entlarvte die Zwickmühle, in der sich die deutsche Politik befindet. Alle Anwesenden lobten die vielen Deutschen, die den Vertriebenen eine Flut an Sympathien entgegen bringen. So wie der Musiker Herbert Grönemeyer, für den es "die Gesellschaft war, die sich erwachsen verhalten und so der Politik gezeigt hat, wie sie sich verhalten soll". Auch Politikwissenschaftler Werner Patzelt fand: "Es schlummert so viel Hilfsbereitschaft, die es wert ist, zu fördern."
Nur hilft es dabei wenig, darauf hinzuweisen, dass es 11.000 Gemeinden in Deutschland gebe und das Problem gelöst sei, wenn jede 40 oder 50 Flüchtlinge aufnehmen würde. Es sind theoretische Konstrukte, wenn Wissenschaftsjournalist Ranga Yogeshwar erklärt, dass sich nur ein Prozent der deutschen Bevölkerung engagieren müsse, um allen Flüchtlingen in Deutschland einen Paten zur Seite zu stellen. Denn am Ende, so Yogeshwar, "merkt man, dass diese Grammatik der Verfahrensweisen nicht funktionieren kann". Weil Politik, Deutsche und Flüchtlinge gleichermaßen überfordert sind.
Die Vertriebenen, weil sie nach Monaten der Flucht in einem fremden Land angekommen sind, einer fremden Kultur mit fremdem Essen, fremder Sprache, fremdem Klima und in Notunterkünften erst einmal den äußeren und inneren Frieden wiederfinden müssten, wie Grönemeyer betonte. Die Deutschen, weil bei aller Hilfsbereitschaft nicht vergessen werden darf, wie zerrissen die Gesellschaft aktuell ist. Nicht umsonst hat Kanzlerin Merkel zuletzt in den Umfragen deutlich eingebüßt, während Horst Seehofer mit populistischen Äußerungen erfolgreich auf Stimmenfang ging.
Und die Politik selbst, die zwar vollmundig erklärt, Taten folgen zu lassen, dafür aber erst einmal das Rechtssytem ändern müsste, "das noch daran angepasst ist, dass Einwanderer mit allen Mitteln vom Arbeitsmarkt abgehalten werden", wie Patzelt feststellte. Regelungen, die aus einer Zeit stammen, in der die Arbeitslosenquote deutlich höher war als heute.
"Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen"
Und dann sind da noch die Helfer, die zwischen all diesen Fronten täglich kämpfen. Wie Michaela Vogelreuther, Leiterin des Sozialamtes in Fürth. "Die Situation hat sich in den letzten Monaten zugespitzt", beklagt sie. "Wir stoßen an unsere Kapazitätsgrenzen." Es fehlt am Minimum für die Ankömmlinge. Alles läuft nach dem Motto: "Wir werden den Anforderungen gerecht werden. Aber ob es dann auch eine menschenwürdige Lösung wird, steht auf einem anderen Blatt."
Mehr Mitarbeiter sind zugesagt, deren Einstellung und Arbeitsbeginn wird aber noch Wochen, wenn nicht Monate dauern. Zeit, die die Flüchtlinge nicht haben und die die Kommunen nicht haben. Ein Bürokratie-Stau, der das ganze Dilemma auf einen Punkt bringt: Bürokratie blockiert, was keine Bürokratie sein dürfte, sondern Hilfe von Mensch zu Mensch.