Hilfe für Flüchtlinge Presseschau: "Deutschland erlebt zweites Sommermärchen"
Mitfühlend, vorbildlich, gut organisiert - die internationale Presse überschlägt sich mit Lob für Deutschlands Rolle in der europäischen Flüchtlingskrise. Die "Huffington Post" spricht - mit Blick auf das Engagement vieler Bürger - gar von einem zweiten "Sommermärchen". Und Kanzlerin Angela Merkel wird als "intelligente Führerin" gelobt. Doch nicht alle Kommentatoren vermuten ausschließlich humanitäre Gründe hinter ihrer Flüchtlingspolitik. Ein Blatt prangert zudem brennende Flüchtlingsheime in Deutschland an. Eine Presseschau.
Die US-amerikanische Onlinezeitung "Huffington Post" schwärmt von deutscher Hilfsbereitschaft:
"Deutschland erlebt derzeit ein zweites Sommermärchen. Menschen stehen an den Bahnhöfen des Landes und empfangen Tausende Flüchtlinge. Sie applaudieren den Leidgeplagten, sie bringen ihnen Spenden, sie schaffen ein Klima des Willkommens. Die britische BBC postete ein Video der Szenen auf dem Münchner Hauptbahnhof auf Facebook. Mittlerweile haben es knapp 25 Millionen Menschen weltweit gesehen (...) Wir werden die Bilder (...) auch selbst noch brauchen. Sie werden uns an all das erinnern, was die Momente derzeit so großartig macht. Sie werden uns an die Hilfsbereitschaft, an die Großzügigkeit, an die Warmherzigkeit erinnern. Denn die werden wir brauchen, wenn der komplizierte Alltag der Integration der Flüchtlinge beginnt. Aber die Bilder machen Mut, dass Integration und ein Miteinander statt ein Nebeneinander tatsächlich gelingen kann."
Der Mailänder "Corriere della Sera" schreibt zur Rolle von Bundeskanzlerin Merkel:
"Kanzlerin Angela Merkel ist keine deutsche Reinkarnation von Dr. Jekyll und Mister Hyde: Eine Heilige, die den Flüchtlingen die Türen öffnet, oder ein Mannsweib, das von den verschwenderischen Griechen Geld einfordert. Sie ist die intelligente politische Führerin eines großen Landes, das Interessen, Ambitionen und Projekte hat. Und das vor allem ein großes Bewusstsein für sich selbst und seine eigene Rolle hat, gemeinsam mit der Erinnerung an die eigene Geschichte."
Die national-konservative lettische Tageszeitung "Latvijas Avize" sieht dennoch weitere Pflichten auf der Seite Deutschlands:
"Berlins politische Entscheidung, achthunderttausend Migranten aufzunehmen, nötigt natürlich Respekt ab, auch wenn humanitäre Erwägungen nicht die einzigen Gründe dafür waren. Deutschland ist an Arbeitskräften interessiert und daran, seine überalternde Bevölkerungsstruktur aufzufrischen. (...) Es sind jedoch keine konkrete Antworten auf unbequeme Fragen erkennbar, und möglicherweise müssen wir bis zum 24. September warten, wenn die Kanzlerin versprochen hat, ihren Plan zur Lösung der Migrantenkrise vorzulegen."
Die Turiner Tageszeitung "La Stampa" meint, in Deutschland schlage Hilfsbereitschaft die Bürokratie:
"In der bayrischen Hauptstadt München, die derzeit als wichtigster Knotenpunkt für die Verteilung der Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak gilt, die aus Ungarn ankommen, funktioniert die Aufnahme schnell und effizient, ist aber auch von einer gewissen Flexibilität geprägt. (...) Neben den Emotionen, der großzügigen Gesten von Hunderten Deutschen, die die Ankunft der Flüchtlinge im ganzen Land mit unglaublicher Begeisterung erwartet haben, hat Deutschland auch seine sprichwörtliche Organisationsmaschine in Gang geworfen."
Die linksliberale polnische Zeitung "Gazeta Wyborcza" erinnert außerdem an Hunderte Angriffe auf Flüchtlingsheime.
"Auf den Bahnhöfen von München und anderen Städten, an denen die Züge mit den Flüchtlingen ankamen, sahen wir das freundliche Gesicht Deutschlands. Mitfühlend, solidarisch, christlich. Das war keine einmalige Bewegung. Seit Monaten kümmern sich Tausende Deutsche um Immigranten. Sie ernähren und kleiden sie, lehren sie Deutsch, bilden sie in Berufen aus, betreuen die Kinder. (...) Gleichzeitig brennen Heime für Asylbewerber, zum Glück noch unbewohnte. Von Anfang des Jahres bis Juli wurden 200 Angriffe gezählt. Diese Zahl hat sich seit Juli sicher noch erhöht."
Die liberale Wirtschaftszeitung "Hospodarske noviny" aus Tschechien ist der Meinung: Deutschland schultert die Lasten der Flüchtlingskrise fast allein.
"Nach Ansicht des tschechischen Ministerpräsidenten Bohuslav Sobotka sollte alles getan werden, um zunächst die Lage in den Herkunftsländern der Flüchtlinge zu verbessern, etwa in Syrien. Das ist ein schöner, aber inhaltsleerer Gedanke. Wie soll das bitte gehen, Herr Premier? Soll man Bomben und Panzer schicken oder den syrischen Präsidenten Assad überzeugen, nicht mehr um die Macht zu kämpfen? Während die Deutschen mit Hilfe der Österreicher die konkrete finanzielle, logistische, politische und moralische Last der Aufnahme der Kriegsflüchtlinge schultern, träumen tschechische Politiker weiter vom Ende aller Kriege auf Erden."
Die linksliberale slowakische Tageszeitung "Pravda" zeigt dagegen Verständnis für Ungarns viel kritisierte Haltung im Flüchtlingsdrama: "Gute Deutsche, böse Ungarn" ist zu vereinfacht".
"Nachdem Deutschland nun die Gültigkeit des Dubliner Protokolls für die aus Ungarn einreisenden Flüchtlinge aussetzte, sieht es nach einem Märchen von den guten Deutschen und den bösen Ungarn aus. (Der ungarische Regierungschef Viktor) Orban hat mit seinen Sprüchen gegen Flüchtlinge und EU selbst zu dieser einseitigen Wahrnehmung beigetragen. Wenn wir aber wirklich wollen, dass sich der Bruch innerhalb der EU nicht vergrößert, müssen wir eingestehen, dass die Dinge nicht so einfach sind. Wenn sich nämlich Deutschland in einem Monat plötzlich überlegen sollte, dass die internationalen Asyl-Regeln doch wieder gelten - werden sich dann wieder alle danach richten müssen?"
Zur unbürokratischen Aufnahme Tausender Flüchtlinge in Deutschland schreibt die niederländische Zeitung "Trouw": Die deutsche Position verdient Nachahmung.
"Wie lange halten die Deutschen das durch? Nicht allein moralisch, sondern auch finanziell? Die Aufnahme der in diesem Jahr erwarteten 800.000 Flüchtlinge wird nach neuesten Berechnungen zehn Milliarden Euro kosten. (...) Kritiker von Merkels Flüchtlingspolitik (im eigenen Land) verlangen von ihr ein überzeugendes Auftreten in Europa. Es müssen Regeln zur Verteilung der Asylbewerber auf alle EU-Mitgliedstaaten kommen. Und Europa muss dazu beitragen, die Fluchtursachen zu bekämpfen. Unterdessen bleibt Merkel bei ihrer Position. Sie nennt Deutschland ein "Land der Hoffnung und Chancen" für Flüchtlinge. In den Ohren unwilliger EU-Partner mag das nach Jesus "Lasset die Kinder zu mir kommen" klingen. Aber Deutschland sieht es vor allem als humanitären Aufruf, und der verdient Nachahmung."