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Ost-Landrat Götz Ulrich über AfD in Sonneberg: "Das kann in die Hose gehen"


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Ost-Landrat über die AfD
"Das empfinden viele als ungerecht und bedrohlich"

InterviewVon Miriam Hollstein

Aktualisiert am 24.08.2023Lesedauer: 5 Min.
Björn Höcke, Robert Sesselmann, Tino Chrupalla: Die AfD im Freudentaumel.Vergrößern des Bildes
Sonnebergs AfD-Landrat Robert Sesselmann: Seinen Wahlsieg feierte er Ende Juni mit dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke (li.) und dem Bundessprecher der AfD, Tino Chrupalla (re.). (Quelle: Martin Schutt/dpa)

An diesem Mittwoch wird im thüringischen Sonneberg Robert Sesselmann als Landrat für die AfD vereidigt. Welche Macht er hat, erklärt ein Amtskollege aus Sachsen-Anhalt.

Die AfD feierte den Wahlsieg als Durchbruch, andere äußerten sich entsetzt: Im Juni wurde mit Robert Sesselmann erstmals ein AfD-Politiker in das Amt des Landrats gewählt. Götz Ulrich ist seit neun Jahren Landrat in Sachsen-Anhalt. Er hält eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene für gefährlich.

t-online: Robert Sesselmann ist der erste AfD-Landrat in Deutschland. Heute legt er vor dem Kreistag seinen Eid ab. Was raten Sie Ihrem neuen Amtskollegen?

Götz Ulrich: Der Wunsch, Rat zu geben und Rat anzunehmen, wird sich auf beiden Seiten in Grenzen halten. Aber es gibt dafür auch keinen Bedarf: "Mein" Burgenlandkreis ist mit vielen Landkreisen in Thüringen in Nachbarschaft, aber nicht mit dem Landkreis Sonneberg.

Wie sehr kann ein Landrat politisch Einfluss nehmen?

Sein Einfluss ist erheblich. Einerseits ist er Chef einer großen Verwaltung, die ein ganz breites Aufgabenspektrum hat. Das reicht von Sozialverwaltung und öffentlichem Gesundheitsdienst bis zur Genehmigung von Windrädern, von KfZ-Zulassungen, Waffen- und Versammlungsbehörden bis zur Überwachung der Tierhaltung. Hier kann der Landrat Einfluss nehmen auf das Tempo von Entscheidungen, kann Spielräume nutzen, die Gesetze bieten, kann Unternehmen durch den Behördendschungel lotsen.

Und andererseits?

Andererseits bringt er in den vielen Zuständigkeiten der Landkreise ständig Vorschläge in den Kreistag ein oder entscheidet selbst: über Schulbau und Straßenbau, über ÖPNV und Rettungsdienst, über Breitbandausbau und Volkshochschulangebote. Der Landrat kann sogar Beschlüsse des Kreistages anhalten, wenn er der Meinung ist, sie seien rechtswidrig oder für den Landkreis von Nachteil.

Götz Ulrich
Götz Ulrich (CDU) (Quelle: Hendrik Schmidt/Archiv/dpa)

Der Landrat

Götz Ulrich (CDU) ist seit 2014 Landrat im Burgenlandkreis. 2021 wurde er wiedergewählt. Der 53-Jährige wurde in Naumburg an der Saale geboren, studierte Rechtswissenschaften und wurde später Bürgermeister der Verbandsgemeinde An der Finne, bevor er in das Amt des Landrats kam. Anfang August übernahm er die Schirmherrschaft für den ersten Christopher Street Day in Weißenfels. Dieser geriet bundesweit in die Schlagzeilen, weil er von Rechtsextremen gestört wurde.

Er hat also eine besondere Stellung in der Kommune?

Ja, er ist der höchste unmittelbar vom Volk gewählte politische Beamte in Deutschland. Alle Verwaltungsebenen weiter oben haben diese direkte Legitimation des Volkes nicht. Daher ist der Landrat als Repräsentant seines Landkreises auch Sprachrohr der Menschen gegenüber Bund und Land. Er wird daher meistens von den Landesregierungen ernst genommen. Verkürzt kann man es so ausdrücken: Das Volk platziert an der Spitze der Verwaltung eines Landkreises einen Gewählten aus seinen Reihen, der zwar viele Gesetze vollziehen muss, aber dabei dem Volk aufs Maul schaut und darauf achtet, dass das Verwaltungshandeln eine Grundakzeptanz findet.

Gesetzt den Fall, ein Landrat verstößt gegen die demokratischen Spielregeln: Wie stark sind die Kontrollmechanismen?

Da gibt es mehrere: Zunächst ist da der Kreistag, der den Landrat und seine Verwaltung kontrolliert und überwacht. Wenn der Landrat aus Sicht des Kreistages seinen Job sehr schlecht macht, kann der Kreistag ein Abwahlverfahren einleiten und dem Volk die Frage vorlegen, ob es den Landrat schon vor Ablauf seiner Amtszeit abwählen will. Außerdem gibt es die Kommunalaufsicht. Das sind Behörden der Bundesländer. Sie heißen Regierungspräsidium, Landesverwaltungsamt oder Landesdirektion, in Bayern einfach Regierung. Dort wacht man darüber, dass Landrat und Kreistag die Gesetze einhalten. Wenn das nicht geschieht, kann diese Behörde einschreiten. Sie kann auch ein Disziplinarverfahren gegen den Landrat eröffnen. Das kann schlimmstenfalls mit der Entfernung aus dem Dienst enden.

Neben Robert Sesselmann wird in Raguhn-Jeßnitz der AfD-Politiker Hannes Loth als Bürgermeister vereidigt. Ist das der Auftakt für einen Siegeszug durch die Kommunen, wie ihn sich die AfD verspricht, oder sind solche Wahlen immer sehr der jeweiligen Gemengelage vor Ort geschuldet?

Kommunale Wahlen sind viel stärker personenbezogen als Wahlen in Bund und Ländern. Die Parteizugehörigkeit spielt eine geringere Rolle als bei Landtagswahlen. Dennoch gilt auch hier: Ist der Frust der Menschen besonders groß, wird auch kommunal Protest gewählt, selbst wenn da ein Besenstil als Kandidat aufgestellt wird.

Welche Gefahr sehen Sie in solchen Ergebnissen?

Einzelne kommunale Wahlerfolge der AfD sind noch keine Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie. Aber sie erzeugen eine bundesweite, mediale Aufmerksamkeit und könnten in anderen Gemeinden oder Landkreisen dazu führen, dass Wähler ihre Scheu ablegen, ganz rechts auf dem Wahlzettel anzukreuzen.

Sie haben sich klar gegen eine Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene positioniert. Wäre das nicht eine Möglichkeit, Politiker auch zu "entzaubern"?

Das kann in die Hose gehen, wie wir Deutsche ganz besonders gut wissen. Aber auch ein Blick nach Österreich liefert da Erhellendes: Die rechte FPÖ war oder ist sogar Koalitionspartner von ÖVP und SPÖ in den Bundesländern. Es gab zahlreiche Skandale bei ihr. Und dennoch steht sie im Moment bundesweit auf Platz 1 in den österreichischen Wahlumfragen.

Was erwarten Sie von Ihrem Parteichef Friedrich Merz in dieser Frage?

Den Abstand zur AfD auch künftig einzuhalten. Es muss klar erkennbar einen Unterschied in Sprache und Inhalt geben zwischen einer Union und Parteien am ganz rechten Rand.

Wie nehmen Sie die Stimmung vor Ort wahr? Woher kommt der derzeitige Erfolg der Populisten in den Umfragen?

Im Bereich Klima und Energie glauben viele Menschen nicht daran, dass Deutschland durch sein Tun das Weltklima retten und zugleich die deutsche Wirtschaft, insbesondere die starke Exportindustrie, in ein neues Zeitalter überführen kann. Am Ende, so denken sie, könnte alles ruiniert sein: das Klima, die Wirtschaft, der eigene Wohlstand und die eigene Existenz. Hier fehlen die überzeugenden Erzählungen der Regierenden, warum und wie das gelingen kann. Beim Thema Zuwanderung sehen die Menschen zu viele Migranten in den Sozialsystemen und zu wenige in Arbeit. Auch das empfinden viele als ungerecht und bedrohlich. An solchen Themen arbeiten wir im Burgenlandkreis mit unserer Migrationsagentur.

Was tut diese Migrationsagentur?

Die Migrationsagentur bündelt alle Leistungen für Migranten an einer Stelle, von Ausländerbehörde bis Arbeitsvermittlung, Geldleistungen, Sprache und so weiter. Das gibt es – jedenfalls in Ostdeutschland – nur im Burgenlandkreis.

Kommunalpolitiker beklagen, dass sie immer häufiger und heftiger angefeindet werden. Erleben Sie das auch so?

Die gibt es vor allem in den sogenannten sozialen Netzwerken. Ich schütze mich davor, indem ich diese Beschimpfungen nicht lese. Wenn sie per Brief kommen, kann man sich ihrer Wirkung schwerer entziehen.

Sie haben die Schirmherrschaft für den ersten Christopher Street Day in Weißenfels übernommen, der durch Rechtsextreme gestört wurde. Welche Reaktionen haben Sie aus der Bevölkerung bekommen?

Die Reaktionen waren natürlich sehr unterschiedlich, überwiegend jedoch anerkennend, dass ich die Schirmherrschaft übernommen habe. Allerdings kamen aus dem Burgenlandkreis selbst recht wenige Reaktionen, mehr aus dem ganzen Land. Mir als Landrat war wichtig und auch ein Grund meiner Schirmherrschaft, dass die Einwohnerinnen und Einwohner im Burgenlandkreis verstehen, dass auch bei uns queere Menschen leben, die selbstverständlich zu unserer Heimat dazugehören, die wir respektieren, achten und wertschätzen.

Verwendete Quellen
  • Schriftlich geführtes Interview mit Götz Ulrich
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