Neuanfang nach Wahldebakel "Der Platz der SPD ist in der Opposition"
Als um 18 Uhr die erste Prognose über die Bildschirme im Willy-Brandt-Haus lief, war es für einen Moment ganz ruhig. Den Genossen im Atrium der Parteizentrale war der Schock ins Gesicht geschrieben. 20 bis 21 Prozent für ihre SPD. Das schlechteste Nachkriegsergebnis. Ein Desaster.
Die Umfragen ließen ein schwaches Ergebnis erwarten. Viele Partei-Anhänger dürften jedoch gehofft haben, dass es so schlimm nicht kommt. Als Kanzlerkandidat Martin Schulz zwanzig Minuten später vor die Anhänger trat, fand er deutliche Worte: „Heute ist ein schwerer und ein bitterer Tag für die deutsche Sozialdemokratie“, sagte er. Die SPD habe ihr Wahlziel verfehlt.
Doch Schulz wäre nicht Schulz, wenn er selbst in diesem bitteren Moment auf eine Kampfansage verzichten würde. Er kündigte an, mit der SPD in die Opposition zu gehen. "Mit dem heutigen Abend endet unsere Zusammenarbeit mit der CDU/CSU", sagte Schulz unter tosendem Applaus und "Martin, Martin"-Rufen. Es schien, als hätte er der Partei eine enorme Last von den Schultern genommen.
"Die SPD wird für ihre Prinzipien und ihre Werte Toleranz, Respekt und Gemeinsinn auch in der nächsten Wahlperiode kämpfen", hob Schulz hervor. Mit Blick auf das Erstarken der AfD sagte er: Die SPD habe in ihrer langen Geschichte schon viele schwere Stunden erlebt, doch "wir haben immer die Kraft aufgebracht, die Demokratie in Deutschland zu verteidigen".
Schulz will Parteichef bleiben
Schulz kündigte zugleich eine "grundsätzliche Neuaufstellung" der Partei an. Er selbst aber will an deren Spitze bleiben: "Ich sehe mich in der Verpflichtung, diesen Prozess mit den Mitgliedern der SPD gemeinsam als Vorsitzender zu gestalten." Fraktionschef Thomas Oppermann sagte Schulz seine Unterstützung für den Verbleib an der Parteispitze zu.
Schulz war im März mit 100 Prozent der Stimmen zum Parteivorsitzenden gewählt worden. Drei verlorene Landtagswahlen im Saarland, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein brachten jedoch Ernüchterung. Der auf das Thema Soziale Gerechtigkeit fokussierte Wahlkampf zündete auch im Schlussspurt nicht. Der erhoffte Schub durch die Stimmen vieler unentschlossener Wähler blieb aus.
Debatte um Zukunft der Partei entbrannt
Die SPD steht nun vor turbulenten Wochen. Schon im Vorfeld der Wahl trat der Parteivize und hessische SPD-Landeschef Thorsten Schäfer-Gümbel eine Debatte über "Richtung und Ausrichtung der Sozialdemokratie" los. "Wir haben uns zu wenig Zeit genommen, über die großen grundsätzlichen Fragen zu reden, wie die Zukunft der Arbeit, die soziale Sicherung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt", sagte er. Die Gesellschaft sei im Wandel. Antworten darauf könne die SPD liefern.
Auch personell zeichnet sich eine erste Veränderung ab. Weil Schulz Parteichef bleiben will, gilt der Fraktionsvorsitz im Bundestag als einer der zentralen Posten. Als aussichtsreiche Kandidatin wird Arbeitsministerin Andrea Nahles gehandelt, Thomas Oppermann müsste dann weichen.
Weitere Weichenstellungen werden für die Sitzungen der Parteigremien am Montag erwartet. Am Nachmittag ist eine Pressekonferenz anberaumt. Mitte Oktober wartet dann der erste wichtige Stimmungstest auf die "neue" SPD. In Niedersachsen will Stephan Weil (SPD) sein Amt als Ministerpräsident verteidigen.