Nach Pleite in NRW Die Grünen kämpfen ums Überleben
Den Grünen stehen ungemütliche Zeiten bevor. Nach der NRW-Wahlniederlage fordern die Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl, Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir, Korrekturen. Bundesweit liegen die Grünen nach einer aktuellen INSA-Umfrage nur noch bei sechs Prozent.
Göring-Eckardt will Nachbesserungen bei den sicherheitspolitischen Zielen. "Wenn die Leute das Gefühl haben, dass man beim Thema innere Sicherheit nicht an uns denkt, dann sollte uns das zu denken geben", sagte auch Özdemir im Deutschlandfunk.
Reizthema Polizei
Das Thema ist heikel, denn immer noch sieht ein Gutteil der Grünen in der Polizei Vertreter der Staatsmacht, denen man mit Misstrauen begegnet. Ein Beispiel dafür ist die zum linken Flügel gehörende Parteichefin Simone Peter, die zu Jahresbeginn die Kölner Polizei kritisierte, nachdem diese eine Gruppe arabisch wirkender junger Männer den Zugang zur Innenstadt verwehrt hatte. Bundesweit wurde Peter dafür angegriffen, schließlich hatte die Polizei nur die Konsequenzen aus der Sylvesternacht 2015/2016 gezogen, bei der es zu massenhaften schweren Übergriffen auf Frauen vor allem durch männliche Migranten gekommen war.
Folgt man der NRW-Wahlanalyse im ZDF, liegt bei den Grünen weit mehr als die Sicherheitspolitik im Argen. So gestehen nur vier Prozent der Wähler den Grünen Kompetenzen in der Bildungspolitik zu. In der Flüchtlingspolitik sind es sechs Prozent, bei sozialer Gerechtigkeit fünf Prozent, und bei der Kriminalitätsbekämpfung sowie der Arbeitsplatz-Sicherung jeweils ein Prozent. Am besten liegen sie in der Verkehrspolitik mit elf Prozent. Zum Vergleich: die CDU kommt beim Thema Verkehrs auf 30 Prozent.
Erneuter Streit zwischen Realos und linkem Flügel droht
Özdemir und Göring-Eckardt fordern nun, die Wahlen in NRW und in Schleswig-Holstein zu vergleichen und daraus Schlussfolgerungen zu ziehen. Gemessen am Erfolg ist die Analyse einfach: In Schleswig-Holstein fuhren die Grünen unter dem inoffiziellen Spitzenkandidaten und Realo Robert Habeck knapp 13 Prozent ein. Die als eher links geltenden NRW-Grünen halbierten nahezu ihr Ergebnis von 2012 und erreichten nur magere 6,4 Prozent. Schleswig-Holstein aber zur Blaupause für den Bundestagswahlkampf zu machen hieße, den Streit zwischen Realos und linken Flügel anzufeuern, der mühsam nach der Bundestagswahl 2013 geschlichtet wurde. Im Kern geht es dabei darum, ob die Grünen ein eher bürgerliches oder linkes Profil präsentieren sollten.
Göring-Eckardt bezog am Montag für keinen der beiden Flügel Stellung, erklärte jedoch, in Schleswig-Holstein habe man klarmachen können, dass Ökologie und Ökonomie kein Gegensatz seien. In NRW sei das nicht gelungen. Der Parteilinke und Bundestagsfraktionsvorsitzende Anton Hofreiter forderte im "Kölner Stadtanzeiger": "Auf Bundesebene müssen wir jetzt mit klaren inhaltlichen Botschaften rüberkommen." Die beiden Landtagswahlen hätten gezeigt, dass dann noch alles drin wäre.
Kritik an Kretschmann wegen Abschiebungen
"Klare Botschaften" stoßen aber auch innerhalb der Grünen auf Grenzen. Der Realo Özdemir sagte zum Thema Integration von Flüchtlingen: "Das war wohl etwas zu viel des Guten." Für viele linke Grüne gehört aber die bedingungslose Aufnahme von Hilfesuchenden zur Grundüberzeugung. Seit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 wird bei den Grünen darüber gestritten. Ziel der Kritik eines großen Teils der Bundesspitze war immer wieder Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann, weil der beliebteste Grünen-Politiker etwa im Bundesrat die Abschiebung bestimmter abgelehnter Asylbewerber erleichterte oder von Grenzen der Aufnahmefähigkeit sprach.
Für den Meinungsforscher Manfred Güllner von Forsa liegen die Unterschiede zwischen Realos und linkem Flügel weniger in klassischen politischen Forderungen, sondern mehr in der Art, wie sie durchgesetzt werden sollen. So haben die NRW-Grünen im Wahlkampf seiner Ansicht nach eine Art "Bevormundungsideologie" vertreten. "Diese Art von Grünen sind alle die leid, die nicht zur Kerntruppe der Grünen gehören", sagte Güllner zu Reuters. "Der Habeck repräsentiert dagegen in der Tat einen pragmatischen Typus."
Forsa-Chef: Trendwende kaum zu schaffen
Dass die Grünen eine Trendwende ihrer niedrigen Werte in bundesweiten Umfragen bis zur Bundestagswahl im September schaffen können, glaubt Güllner nicht: "Das ist jetzt zu kurzfristig, als dass da noch viel passieren könnte. Es sei denn, es gibt ein Tschernobyl oder ein Fukushima." Die Grünen seien wieder auf ihre Stammwählerschaft geschrumpft. "Damit ist das Maximum definiert, das sie erreichen können bei der Bundestagswahl."