Umfragen bis zuletzt Wie Demoskopen den Wähler beeinflussen
Seit Wochen werfen die großen Meinungsforschungsinstitute Deutschlands mit tagesaktuellen Hochrechnungen zur Bundestagswahl um sich. Täglich melden sie, welche Partei wie viel Prozent erreicht und ob es letztendlich zu dieser oder jener Konstellation reichen könnte. So lieferte Forsa gerade erst eine Umfrage, wonach es mit jeweils 45 Prozent ein Patt zwischen dem schwarz-gelben Lager und Rot-Rot-Grün gebe. Erstmals sollen sogar noch am Wahltag Umfrageergebnisse veröffentlicht werden. So können die Demoskopen Einfluss auf die Wahlentscheidung nehmen.
Zwar handelt es sich bei Umfragen immer nur um eine Momentaufnahme, doch die Ergebnisse der Meinungsforscher zeigen vor allem eines: Aussagen von Demoskopen genießen zur Zeit eine enorme Macht. Das Problem an den Zahlen ist, dass sie niemals nur für sich stehen und als Nachricht Reaktionen auslösen.
Umfragen sorgen für politischen Sprengstoff
Allein in der letzten Woche vor der Wahl gab es dafür zahlreiche Beispiele. Die Grünen stürzten in aktuellen Umfragen ab und landen erstmals seit 2009 bei einem einstelligen Ergebnis. Die Linke steigert sich von Woche zu Woche, und die FDP krebst nur knapp an der Fünf-Prozent-Marke herum.
Bei allen Werten steht viel auf dem Spiel: Kann Schwarz-Gelb in der Regierung weitermachen? Oder übernimmt doch noch Rot-Grün? Und dann sind da die Außenseiter wie die Piratenpartei und vor allem die Alternative für Deutschland, die als mögliche Überraschungssieger gehandelt werden: Wenn sie in den Bundestag einziehen, werden die gängigen Machtkonstellationen kräftig durcheinandergewirbelt. In den aktuellen Umfragen steckt also jede Menge politischer Sprengstoff.
Sichere Wahl-Vorhersagen sind schwierig
Dabei sind Vorhersagen alles andere als einfach. Laut dem Kommunikationswissenschaftler Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim gibt es drei Faktoren, die die Meinungsforscher nur schwer in den Griff bekommen: Taktische Wähler, Protestwähler und Wähler, die sich in Umfragen nicht zu bestimmten Parteien bekennen wollen. Hinzu kommt die kurzfristige Mobilisierung in den letzten 72 Stunden vor der Wahl.
Auch aus Sicht des Wahlforschers Schöppner können die taktischen Wähler für Überraschungen sorgen. "Unklar ist derzeit vor allem, wie viele wirtschaftsaffine CDU-Wähler der FDP ihre Stimme geben wollen." Außerdem sei offen, wo die Protestwähler ihre Stimmen vereinen. "Wenn die AfD jetzt mit vier oder fünf Prozent gehandelt wird, ist es noch attraktiver, der Partei eine Stimme zu geben", so Schöppner. Doch das entscheide sich erst kurz vor der Wahl.
"Bandwagon-Effekt" gut für die CDU
Beeinflussen also die Umfragen vor der Wahl das Wahlergebnis selbst? "Eher ja als nein", gibt TNS-Emnid-Chef Schöppner zu, "aber eigentlich nur bei einem kleinen Teil der Wähler. Taktische Wähler sähen sich natürlich die letzten Umfragen an, aber ihre Entscheidung werde auch maßgeblich von den Koalitionsaussagen der Parteien beeinflusst. Wissenschaftliche Beweise dafür, dass Umfragen das Abstimmungsverhalten verändern, gibt es allerdings kaum.
Wird einer Partei ein klarer Wahlsieg vorausgesagt, sprechen mache Experten oftmals vom sogenannten "Bandwagon-Effekt" (zu deutsch "Mitläufer-Effekt"). Damit wird die Bereitschaft bei unentschlossenen Wählern bezeichnet, der Partei seine Stimme zu geben, die in aktuellen Umfragen als mutmaßlicher Sieger gilt. Auf aktuellen Umfragen basierend würde davon vor allem die CDU profitieren.
Grüne und FDP könnten von "Underdog-Effekt" profitieren
Andere Experten postulieren eher den "Underdog-Effekt". Demnach bekommen Parteien, die zuletzt in Umfragen deutlich abgesunken sind oder denen ein Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde vorausgesagt wird, Mitleid vom Wähler, der ihnen dann seine Stimme gibt.
Nach der Niederlage der FDP bei der Bayern-Wahl und den aktuellen Umfragen, welche die Partei bei fünf Prozent sehen, könnte dieser Effekt dazu führen, dass die Freidemokraten auf Bundesebene am 22. September wieder verstärkt gewählt werden. Auch die Grünen hoffen noch auf diesen Effekt.
Veröffentlichung am Wahltag sollte sich "von selbst verbieten"
Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik hielten sich Medien und Meinungsforschungsinstitute in diesem Jahr nicht an die bisher gängige Praxis, in der Woche vor der Wahl keine neuen Umfragen mehr zu veröffentlichen. Die "Bild am Sonntag" will sogar am Tag der Bundestagswahl selbst eine neue Umfrage des Instituts Emnid präsentieren. Bundestagspräsident Norbert Lammert sprach zuletzt davon, dass sich die Veröffentlichungen von Umfragen am Wahltag "von selbst verbietet".
Kritisch hatte sich zuvor auch der Chef des Instituts Infratest dimap, Richard Hilmer, geäußert. Die letzte Woche soll den Wählern gehören, sagte Hilmer in mehreren Interviews. Statt mit Umfragezahlen sollten sich die Wähler dann besser mit den Programmen der Parteien befassen. Beide wissen um die Macht der Demoskopen.