Nach dem TV-Duell Überall nur Sieger
Das TV-Duell ist vorbei, der Kampf um die Deutungshoheit läuft. Die SPD sieht Steinbrück im Aufwind, die Union gibt sich gelassen. So viel Wunschdenken bei den Sozialdemokraten im Spiel sein mag - zu sicher sollte sich Angela Merkel ihrer Sache nicht sein.
Sie wollen alle wie Sieger aussehen. In den Frühnachrichten in Fernsehen und Radio, in den sozialen Netzwerken, vor den Treffen der Spitzenfunktionäre in den Berliner Parteizentralen, überall sind die Mitstreiter von Angela Merkel und Peer Steinbrück mit zufriedenen Kommentaren über den Ausgang des TV-Duells zu vernehmen. Die Kanzlerin hat gewonnen, tönt es aus der Union. Der Herausforderer liegt vorn, sind sie sich in der SPD sicher.
Am Tag nach dem über weite Strecken müden Duell ist der Kampf um die Deutungshoheit in vollem Gang. Die Botschaft vom vermeintlichen Erfolg des eigenen Favoriten muss unters Volk, als ob der Zuschauer unfähig wäre, sich sein eigenes Urteil bilden zu können. Tatsächlich ist die Sache so eindeutig nicht, wie es die Strategen von Merkel und Steinbrück den Wähler nun glauben machen wollen. Von der erhofften Trendwende für den SPD-Herausforderer kann nach den 90 Minuten im TV-Studio von Berlin-Adlershof wohl keine Rede sein. Genau so wenig hat allerdings die Kanzlerin einen Grund, sich nach ihrem Auftritt entspannt zurückzulehnen.
Steinbrück legt um 17 Prozentpunkte zu
Hinter den Kulissen klingen die Wahlkämpfer denn auch schon deutlich gedämpfter. Freude ja, Euphorie nein - so lassen sich die Gefühle der Sozialdemokraten beschreiben. Immerhin, es ist nichts richtig schiefgegangen, das ist ja schon mal was in diesem Wahlkampf. Und die Umfragen zur Debatte sind auch in Ordnung, allen voran die der ARD.
Dass Steinbrück im "Deutschlandtrend" in der Frage nach der Direktwahl nun 17 Prozentpunkte nach oben geschossen sein und mit 45 Punkten nur noch knapp hinter der Kanzlerin (48 Punkte) liegen soll, ist ein Detail, mit dem sich zu Wochenbeginn vielleicht etwas anfangen lässt. "Peer, du bist eine coole Sau", sagte Parteichef Sigmar Gabriel nach dem Duell in Richtung des Kanzlerkandidaten.
Es fehlt der große Moment
Aber klar ist auch: Es gibt ein paar Dinge, die den Sozialdemokraten nicht gefallen können. Dass es noch drei andere Umfragen gibt, die Merkel als Siegerin des Duells sehen - geschenkt. Ärgerlicher aus Sicht der SPD-Strategen ist, dass Steinbrück ein echter Wirkungstreffer, ein Moment, über den noch einige Zeit gesprochen werden wird, fehlte. Sicher, ein bisschen Angriff war dabei. Aber für einen Mann, von dem der Satz stammt, dass man als Kanzlerkandidat mit jeder Pore seines Körpers für den Sieg arbeiten müsse, war es ein eher harmloser Auftritt. So ist es unwahrscheinlich, dass die Debatte eine völlig neue Dynamik im Wahlkampf entfalten wird.
Verloren geben will das Rennen gegen Merkel trotz der schwierigen Lage niemand in der SPD. Besonders an einer Front sei das Duell hilfreich gewesen, heißt es: Im Kampf um die unentschlossenen Wähler. Hier punktete Steinbrück tatsächlich teils deutlich mehr als die Kanzlerin, und das gibt den Genossen Hoffnung. Die gesamte SPD-Strategie für die letzten Wochen beruht schließlich darauf, jene Menschen zu überzeugen, die in ihrer Parteipräferenz noch nicht entschieden sind. Von diesem Montag an wird noch einmal der Haustürwahlkampf intensiviert. Auch noch am Wahlsonntag selbst wollen die Sozialdemokraten durch die Gegend ziehen und Unentschlossene ansprechen.
Auch im Lager der Bundeskanzlerin wird man sich die Duell-Analysen am Tag danach noch einmal genau ansehen. In die allgemeine Zufriedenheit dürfte sich dabei auch die eine oder Unsicherheit mischen. Aufmerksam registriert man im Konrad-Adenauer-Haus, dass Steinbrück die Chance nutzte, sich beim Wähler überhaupt als kanzlertaugliche Alternative in Erinnerung zu rufen. Mit ihrer Strategie, den Herausforderer bestmöglich zu ignorieren, hatte Angela Merkel dem Wähler bisher ja recht erfolgreich den Eindruck vermittelt, es gebe überhaupt kein Rennen um das Kanzleramt.
Nächstes Duell im Bundestag
Nun kann Steinbrück womöglich auf ein bisschen Rückenwind hoffen. Das mag ein noch so laues Lüftchen sein, Merkels Ziel einer Neuauflage der schwarz-gelben Koalition könnte es gefährlich werden. Zumal dieses Ziel schon vorher ambitioniert war. Merkels Wunschpartner FDP jedenfalls hat jetzt erst recht Grund, nervös zu sein: Eine Große Koalition ist nach diesem Duell wahrscheinlicher geworden.
Dass man in der Union durchaus Respekt vor Steinbrück hat, war auch am Sonntag am Rande des Duells zu spüren. In Merkels "Fanblock" im Pressezentrum neben dem Studio hatte sich reichlich Parteiprominenz eingefunden - deutlich mehr als in der Steinbrück-Ecke. Die Anspannung versuchten Wolfgang Schäuble, Ursula von der Leyen und Co. mit ein paar Scherzen und ein bisschen Überheblichkeit zu überspielen. Im Laufe der Übertragung passierte dann selbst im Unionslager das, wovor der SPD-Kanzlerkandidat die Zuschauer gleich zu Beginn gewarnt hatte: Man ließ sich einlullen, spielte lieber auf dem Handy herum oder kümmerte sich um Nachschub von der Weinbar.
Als alles vorbei war, lobten die CDU-Granden pflichtgemäß ihre Kanzlerin. Finanzminister Schäuble räumte immerhin ein, dass Steinbrück "rhetorisch nicht schlecht" sei. Von Merkel behauptete das niemand. "Bei ihr plätschert das so dahin", sagte ein hochrangiger Unionsmann. Brandneu ist diese Erkenntnis nicht. Die Frage ist nur, ob der eine oder andere Wähler erst im direkten Vergleich gemerkt hat, dass er es lieber etwas flotter hätte.
Schon der Dienstag könnte in diesem Punkt zur weiteren Meinungsbildung beitragen. Dann treffen die beiden Kontrahenten im Bundestag erneut aufeinander, in der Sondersitzung mit dem Thema: "Zur Situation in Deutschland". Vielleicht regt die Stimmung im Parlament ja zu etwas mehr Leidenschaft an als das TV-Studio.