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Chinesischer Ministerpräsident in Deutschland: "Erst dann nimmt China uns ernst"


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Ministerpräsident zu Besuch in Deutschland
"China glaubt nicht, dass Putin eine Zukunft hat"


20.06.2023Lesedauer: 5 Min.
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Wladimir Putin und Chinas Präsident Xi Jinping (Archivbild): (Quelle: Kenzaburo Fukuhara-Pool/getty-images-bilder)

Es bleibt kompliziert: Die chinesische Unterstützung von Wladimir Putin überschattet auch die Gespräche zwischen Deutschland und China in Berlin. Doch beim Schlagabtausch kam alles anders als gedacht.

Ohne Zweifel war es für Deutschland einer der wichtigsten politischen Besuche in diesem Jahr. Die chinesische Regierung kam am Montag zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen nach Berlin, es war die erste Auslandsreise von Ministerpräsident Li Qiang seit seinem Amtsantritt im März. Trotzdem war die Erwartungshaltung an die Gespräche nicht besonders hoch, denn die Liste der Streithemen zwischen Deutschland und China ist lang.

Ohne die Unterstützung aus China könnte Kremlchef Wladimir Putin wahrscheinlich seinen Angriffskrieg in der Ukraine nicht führen. Das ist auch Deutschland ein Dorn im Auge. Doch wer in Berlin auf einen Lösungsansatz in dieser Frage hoffte, wurde enttäuscht: Auf der Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Li waren keine Fragen erlaubt, keine chinesischen Äußerungen zur Ukraine, kaum Abmachungen, keine neuen Deals.

Auf dem Papier gab es bei dem deutsch-chinesischen Zusammentreffen kaum Ergebnisse, trotzdem machten beide Länder einen Minischritt aufeinander zu. Das heißt noch nicht viel, aber der chinesische Präsident Xi Jinping scheint aktuell eine Charmeoffensive in Richtung Westen zu starten. Denn Xi hat gegenwärtig zwei zentrale Probleme: seine schwächelnde Wirtschaft und Wladimir Putin.

China steht vor großen Problemen

Natürlich stand auch am Dienstag in Berlin der Ukraine-Krieg im Fokus. Bei der Pressekonferenz nach den Beratungen legte Scholz erneut den Finger in die chinesische Wunde. China solle seinen Einfluss auf Russland stärker geltend machen, um den russischen Krieg in der Ukraine zu beenden. China habe als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats "eine ganz besondere Aufgabe", sagte Scholz im Kanzleramt in Berlin. Ähnliche Appelle gab es vom Kanzler schon bei seinem Besuch in Peking im vergangenen November.

Bisher sind die Appelle an China aus dem Westen immer wieder verhallt, sie hatten keine Wirkung. Peking hält an der Unterstützung für Putin fest, exportiert unter anderem Halbleiter nach Russland, die in der Rüstungsindustrie verwendet werden. "China fürchtet eine politische Instabilität Russlands und einen Sturz Putins", erklärt der China-Experte Klaus Mühlhahn im Interview mit t-online. "Es ist ein Spiel mit dem Feuer." Die chinesische Führung stellte zwar eine eigene Friedensinitiative für den Ukraine-Krieg vor, doch scheint es Peking damit nicht besonders eilig zu haben. Konkrete Ergebnisse hatte die Initiative bisher nicht.

China verfolgt vielmehr seine nationalen Interessen und profitiert davon, dass Russland mittlerweile abhängig von der Volksrepublik ist. So bekommt Xi billige Rohstoffe, hat mit Putin einen treuen Vasallen im Kampf gegen die westlich-dominierte Weltordnung. "Ohne die Geschäfte mit Russland und ohne die billigen russischen Rohstoffe wäre die wirtschaftliche Situation der Volksrepublik noch viel schwieriger", sagt Mühlhahn.

Der Experte weiter: "Die wirtschaftliche Situation in China ist nicht gut, und die Probleme wachsen weiter. Die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch, viele Städte haben sich noch nicht von der Corona-Pandemie erholt und sind hoch verschuldet." Die chinesische Wirtschaft wächst demnach nicht in dem Maße, wie die kommunistische Führung das geplant hatte. Das setzt Xi unter Druck. Vor allem zeigt Chinas gegenwärtige Lage auch, dass es noch immer abhängig vom Westen ist – und der Westen ist abhängig von China.

Deshalb gibt sich Peking derzeit dialogbereit – trotz der lauten geopolitischen Störgeräusche.

Keine Fragen zugelassen

Deutlich wurde das auch beim Empfang des US-Außenminister Antony Blinken am Montag in Peking. Blinken wurde vom chinesischen Präsidenten Xi Jinping persönlich empfangen – und das ist eigentlich unüblich. "Normalerweise achten die Chinesen extrem auf die Hierarchieebenen, Annalena Baerbock ist zum Beispiel nicht von Xi empfangen worden", erklärt Mühlhahn. Das sei nicht unbedingt eine Herabsetzung der deutschen Außenministerin. "Vielmehr zeigen die Gespräche mit Blinken, dass die Lage für China gegenwärtig schwierig ist."

Somit leistet es sich der Westen aktuell auch, rote Linien gegenüber China zu ziehen. Scholz betonte am Dienstag, es sei wichtig, dass China weiter keine Waffen "an den Aggressor Russland" liefere. Er erinnerte an seinen China-Besuch im November, bei dem gemeinsam mit Präsident Xi Jinping klargestellt worden sei, dass es keine Drohung mit und "schon gar keinen Einsatz" von Atomwaffen geben dürfe. "Das gilt unverändert fort und ich bin dankbar für diesen gemeinsamen klaren Standpunkt."

Li Qiang lächelte bei der Pressekonferenz die Appelle und die Kritik an der Ukraine-Politik seines Landes einfach weg. Der chinesische Regierungschef ging bei dem Auftritt vor der Presse nicht auf den Appell des Kanzlers ein, auf Chinas "strategischen Partner" Russland einzuwirken. Auf Wunsch der chinesischen Seite waren keine Fragen von Journalisten zugelassen.

Neue China-Strategie soll kommen

Das Interesse Pekings scheint klar: Man möchte die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Deutschland weiter vertiefen. Li Qiang bekräftigte das Interesse Chinas an einem Ausbau der Kooperation. China und Deutschland sollten die Beziehungen "auf ein immer höheres Niveau bringen". Er verwies auf die "komplexe" internationale Lage und die mangelnde Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft: "Wenn wir die Zusammenarbeit in Wissenschaft, Industrie und Wirtschaft verstärken, werden wir einen Beitrag zur Stabilität der Weltwirtschaft leisten."

Die Bundesregierung arbeitet dagegen an einer neuen China-Strategie. Darin wird die Volksrepublik auch weiterhin als Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale klassifiziert. Im Zuge der Konflikte in der Ukraine und um Taiwan steht dieser Dreiklang zunehmend international in der Kritik – vor allem aus den USA. Doch Deutschland muss zunächst seine Lieferketten diversifizieren, aber das geschieht langsam und im Hintergrund, erfuhr t-online aus Diplomatenkreisen.

Ungeachtet der Debatte über eine deutsche Abhängigkeit von China betonte Scholz, dass die Bundesregierung auf eine Weiterentwicklung der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit der zweitgrößten Volkswirtschaft setzt. "Wir haben kein Interesse an einer wirtschaftlichen Abkopplung von China", sagte der Kanzler. Er mahnte aber Verbesserungen bei dem Zugang zum chinesischen Markt sowie faire Wettbewerbsbedingungen an. Deutsche Firmen setzen in Bezug auf China bereits eine De-Risking-Strategie um. Dabei sollen die Unternehmen zunächst analysieren, bei welchen Vorprodukten und Rohmaterialien sie besonders abhängig sind von chinesischen Lieferanten.

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Ein Schritt in Richtung Deeskalation

Scholz betonte auch nach den Regierungskonsultationen die Themen, die ein deutscher Kanzler in den Gesprächen mit China betonen muss. Er sprach über Menschenrechte, über chinesische Wirtschaftsspionage, über Arbeitsbedingungen in China: "Würdige Produktionsbedingungen und damit verbunden Verbesserungen der Menschenrechtslage sind in unser beider Interesse." China steht besonders wegen Vorwürfen über Zwangsarbeit von Minderheiten wie den Uiguren unter Beobachtung.

Chinesische Führungen sind Vorwürfe aus dem Westen gewohnt, sie werden angehört, aber selten haben sie in der Vergangenheit zu Veränderungen geführt. Doch die geplante China-Strategie könne auch eine Chance sein. "Natürlich werden die Chinesen in ihren Risikoabwägungen erkennen, ob Wirtschaftsspionage auch tatsächliche Konsequenzen für sie hätte", meint Mühlhahn. "Deutschland muss praktische Instrumente finden, um mit Risiken umzugehen und sie einzugrenzen. Erst dann nimmt China uns ernst."

Immerhin scheint China ein Stück weit die Aggressivität abzulegen, mit der die Führung in den vergangenen Monaten und Jahren oft Außenpolitik betrieben hat. Besonders in der Taiwan-Straße drohte China mit einer militärischen Eskalation. "Für mich fehlt da eine Strategie", so Mühlhan. "So schießt sich China selbst ins Bein, denn diese Eskalationen machen es für die Welt nicht einfach, mit Peking wirtschaftlich zu kooperieren."

Eines erscheint sicher. Bei globalen Problemen wie zum Beispiel der Klimakrise braucht es auch die Zusammenarbeit mit China. Deshalb ist ein Dialog wichtig und auch Scholz nannte die Regierungskonsultationen sinnvoll. "Der direkte Dialog, das persönliche Gespräch, ein wirklicher Austausch – all das ist in dieser außergewöhnlichen Zeit voller globaler Herausforderungen und Krisen noch wichtiger als sonst." In Berlin gingen Deutschland und China aber nur einen Minischritt aufeinander zu.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Pressekonferenz von Olaf Scholz und Li Qiang
  • Gespräch mit Klaus Mühlhahn
  • spiegel.de: "Deutschland ist aus Chinas Sicht ein Schlüsselstaat"
  • deutschlandfunk.de: Deutschland und China wollen bilaterale Beziehungen ausbauen
  • Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa, rtr, afp
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