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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Pistorius in Mali Das könnte richtig gefährlich werden
Bis Mai 2024 will sich die Bundeswehr aus Mali zurückgezogen haben. Ein Besuch von Boris Pistorius vor Ort zeigt: Das könnte richtig gefährlich werden – nicht nur für Mali.
Als Boris Pistorius aus dem Militärtransportflieger A400M in den roten Sand der Wüste Malis tritt, trägt er braune Kampfschuhe der Bundeswehr. Damit ist schon viel über den Unterschied zu seiner Vorgängerin Christine Lambrecht gesagt. Diese hatte bei ihrer Antrittsvisite der Bundeswehr in Mali Stöckelschuhe getragen, obwohl ihr davon abgeraten worden war. Dafür gab es massive Kritik.
Auch für Pistorius ist es der erste Besuch beim größten Auslandseinsatz der deutschen Armee. Aber der 63-Jährige hat erkennbar kein Bedürfnis, seine besondere Position als Verteidigungsminister auch optisch zu demonstrieren. In Khaki-Hemd, Wüstenschuhen und Jeans gibt er sich vielmehr schlicht und nahbar.
Dabei ist er mit keiner leichten Botschaft gekommen. Er muss den Soldatinnen und Soldaten erklären, warum ihre Arbeit hier so wichtig ist und gleichzeitig doch fast nichts gebracht hat. In einem Jahr wird ihr Einsatz in Mali enden. Pistorius ist hergekommen, weil er weiß, dass der Abzug der deutschen Soldaten schwierig ist – für Mali, aber auch für ihn als Verteidigungsminister. Er will sich vor Ort deshalb selbst ein Bild machen.
Zu wenig, um den Terror in den Griff zu bekommen
Lange hatte Mali als Vorzeigedemokratie in der Sahelzone gegolten. Und damit auch als ideal für den Westen, Verbindungen in eine komplizierte Region aufzubauen. Doch 2012 stürzten rebellierende Tuareg und islamistische Gruppierungen das Land in eine Krise. Mali ist fast viermal so groß wie Deutschland, hat rund 22 Millionen Einwohner und Streitkräfte mit einer Stärke, die der Berliner Polizei entspricht. Zu wenig, um den Terror, der das Land seitdem überzieht, in den Griff zu bekommen.
Die internationale Gemeinschaft sollte helfen, allen voran die einstige Kolonialmacht Frankreich. Die Bundeswehr ist seit 2013 in Mali im Einsatz. Zum einen mit der EU-Mission "European Training Mission Mali" (EUTM Mali), mit der das malische Militär in der Verteidigung ausgebildet werden soll. Zum zweiten mit der Multidimensionalen Integrierten Stabilisierungsmission der Vereinten Nationen in Mali (MINUSMA), die helfen soll, das 2015 zwischen den Separatisten und der Regierung beschlossene Friedensabkommen umzusetzen.
Seit dem vergangenen Herbst ist die deutsche Beteiligung an der EUTM faktisch beendet. Für MINUSMA sind aber noch rund 1.100 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr im Einsatz, die meisten davon im Nordosten des Landes im Camp Castor nahe der Stadt Gao.
Raketen landeten in der Wüste
Das Camp ist eine eigene Welt. Vier bis sieben Monate sind die Soldatinnen und Soldaten im Schnitt hier, bevor sie wieder ausgewechselt werden. Sie sind meist in Zweierstuben untergebracht, klimatisiert und mit Wlan, was im Vergleich zu anderen Auslandseinsätzen bereits ein kleiner Luxus ist. Alkohol ist hier verboten. Zu groß ist die Gefahr, dass bei einem Angriff nicht alle Reflexe sofort funktionieren.
Die Handys müssen während des gesamten Einsatzes im Flugmodus sein, damit sie nicht geortet werden können. Für Gespräche mit der Familie zu Hause wird das Wlan genutzt. An den Türen der Container warnen Schilder, dass bei jeder verdächtigen Drohne über dem Camp sofort Alarm geschlagen werden muss. Bislang ist nichts passiert. Ein paar Mal hat es Versuche gegeben, Mörsergranaten oder Raketen auf das Camp abzufeuern, aber sie landeten in der Wüste.
Die Spannung ist so greifbar wie die Hitze, die wie eine stickige Decke im Freien über allem liegt. Und sie kontrastiert mit der Langeweile und dem Gefühl des Abgeschnittenseins, die das Leben im Lager fern der Heimat mit sich bringt.
Damit soll es also bald vorbei sein. Ab diesem Mai wird Deutschland seine Soldaten und Soldatinnen schrittweise abziehen. Bis Mai 2024 soll der Einsatz der Bundeswehr dort vollständig beendet sein. Stattdessen wird die Ost-Flanke Europas verstärkt.
Es ist eine Kapitulation. Der Westen ist beim Versuch gescheitert, Mali in einen halbwegs stabilen Staat und einen Anlaufpunkt in der Region zu verwandeln. Das Land ist dabei, ein failed state zu werden. Wie Afghanistan.
Die Deutschen sind die letzten Westler
Die Deutschen sind die letzten Westler, die noch in Mali sind. Die Franzosen haben bereits im vergangenen August den letzten Soldaten abgezogen. Die Schweden sind gerade gegangen. Dort, wo sie waren, sind nur noch verlassene Baracken und ein einsamer Ventilator dreht sich.
Stattdessen hat sich die Regierung russische Söldner für den Kampf gegen die Islamisten ins Land geholt, die berüchtigten Wagner-Truppen. Sie sollen im März ein Massaker an Zivilisten begangen haben. Doch die Regierung lässt sie gewähren.
Das Verhältnis hat sich rapide verschlechtert
Für Deutschland ist die Entwicklung besonders bitter. Früher waren die Beziehungen zu Mali eng. Dass die Deutschen 1960 als Erste die Unabhängigkeit Malis anerkannten, haben die Malier ihnen bis heute nicht vergessen.
Doch unter der neuen Militärregierung, die seit vergangenem Jahr an der Macht ist, hat sich das Verhältnis rapide verschlechtert. Und das, obwohl Präsident Assimi Goïta selbst zum Teil in Deutschland ausgebildet wurde. Neben einem Sprachkurs in Hürth 2008 war er auch ein paar Wochen an der Logistikschule der Bundeswehr sowie Teilnehmer eines Seminars zu Terrorismusbekämpfung am "George C. Marshall Europäischen Zentrum für Sicherheitsstudien" in Garmisch-Partenkirchen. Für die deutsche Regierung ist er trotzdem schwer einzuschätzen.
Vor allem aber ist für die Bundeswehr die Lage vor Ort unerträglich geworden. Drohnenflüge zur Aufklärung verweigern die zuständigen Behörden inzwischen regelmäßig. Im vergangenen Jahr wollte die malische Regierung den damaligen Generalinspekteur Zorn nötigen, für einen Mali-Besuch nicht nur wie sonst üblich schriftlich ein Visum zu beantragen, sondern in der Botschaft in Berlin persönlich vorstellig zu werden. Er verzichtete lieber auf die Mali-Visite.
Deutsche kooperieren nicht mehr mit Mali
Boris Pistorius macht sich keine Illusionen, dass er beim neuen Machthaber noch viel erreichen kann. Einen Dreivierteltag verbringt er gemeinsam mit Mitgliedern des Verteidigungsausschusses des Bundestags und der Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD) in Camp Castor. Er lässt sich die Drohne Heron zeigen, die nicht mehr fliegen darf, und von vermummten "Aufklärern" erzählen, wie sie mit dem Spähfahrzeug Fennek, das mit mehreren Waffensystemen ausgestattet ist, die Gegend erkunden. Bei optimaler Sicht können sie damit Waffen auf bis zu 20 Kilometer Entfernung entdecken. Nur nützen die Erkenntnisse nicht mehr viel, weil die deutschen Soldaten mit der malischen Regierung nicht mehr kooperieren können.
Später in der Bar Castor, einem Treffpunkt im Lager, versucht Pistorius den Spagat mit einer Art Rätsel: "Das, was Sie leisten könnten, ist nicht das, was Sie leisten können, weil Sie nicht dürfen, was Sie wollen", sagt er zu den versammelten Soldatinnen und Soldaten mit Blick auf ihre schwierige Situation. Doch nicht die deutsche Politik habe versagt und "erst recht nicht die Bundeswehr".
Der Abzug bis 2024 sei unvermeidlich und doch auch "fragwürdig" in seinen Folgen, weil sich damit die Sicherheitslage im Land nicht verbessern werde. Keinesfalls sei er ein Beleg für einen gescheiterten Einsatz. Mehrfach dankt er den Soldaten.
Die Stimmung in Deutschland könnte kippen
Pistorius spricht frei. Er hat nicht die lässige Top-Gun-Aura des früheren Verteidigungsministers Karl-Theodor zu Guttenberg (den sein Doktorplagiat aus dem Amt fegte). Es ist mehr der Charme des einstigen Oberbürgermeisters von Osnabrück. Nah bei den Menschen. Einer, mit dem man gern mal eine Runde Doppelkopf spielen oder ein Bier trinken würde. Das kommt bei der Truppe gut an.
Für Pistorius ist der Abzug aus Mali neben der Reform der Bundeswehr die größte Herausforderung seiner bisherigen Militärkarriere. Nicht nur, weil die sich verschlechternde Lage auch für die deutschen Einsatzkräfte die Gefahr erhöht. Sondern auch, weil er ein zweites Afghanistan-Debakel vermeiden muss: Dort hatte sich die Bundeswehr nach dem Abzug der Amerikaner überstürzt und chaotisch zurückgezogen. Ortskräfte, die für die Deutschen gearbeitet hatten, wurden im Stich gelassen und mussten um ihr Leben fürchten. Heute ist am Hindukusch die Lage teils schlimmer als zuvor.
Der "gute" Nachbar Niger
Eine ganz andere Situation hatten Pistorius und Schulze am Vortag in Niger vorgefunden: Dabei hat das Land mit Mali viel gemeinsam. Es kämpft mit schlechten Ernten, Dürren, politischer Instabilität und islamistischen Terrorgruppen. Doch die Regierung ist demokratisch gewählt und deutlich kooperativer als die malische. Mit dem Ergebnis, dass der Niger jetzt der neue Anlaufpunkt für Deutschland und Europa in der Region werden soll.
Den Unterschied kann man in der Stimmung spüren, die im deutschen Teil des Luftransportstützpunkts in der nigrischen Hauptstadt Niamey herrscht. Auch hier verlassen die Soldatinnen und Soldaten kaum den Standort. Alkohol ist nur am Wochenende erlaubt. Aber es überwiegt der Eindruck, dass ihre Mission einen Sinn hat. Wenn es dem Niger gelingt, für mehr Stabilität und Sicherheit im Land zu sorgen, wird aus der Region auch weniger Terror nach Europa exportiert, werden weniger Flüchtlinge kommen. Die neue EU-Mission EUMPM Niger soll den einheimischen Streitkräften helfen, die islamistischen Milizen zu bekämpfen. Sie ist zunächst für drei Jahre angelegt, Deutschland wird sich zunächst mit 60 Soldatinnen und Soldaten beteiligen.
Engagement ist alternativlos
Die Botschaft, die Pistorius und seine Kabinettskollegin Schulze auf der Reise immer wieder verbreiten: Die Bundeswehr verlässt Mali – das Engagement der Regierung in der Region aber wird bleiben. Insbesondere im neuen Land der Hoffnung, Niger. Aber auch in Mali soll die Entwicklungshilfe weiterlaufen. Inwieweit das möglich ist, wenn sich die Sicherheitslage nach dem Abzug der Bundeswehr weiter verschlechtert, muss sich noch zeigen. Dennoch sei das Engagement alternativlos, heißt es in deutschen Regierungskreisen. Man dürfe die Region nicht Kräften wie Russland oder China überlassen.
Den in Mali stationierten Soldatinnen und Soldaten stehen bis zum endgültigen Abzug 13 zähe Monate bevor. "Viele verstehen nicht mehr, was sie da eigentlich noch sollen", sagt einer, der für die Bundeswehr in der Region im Einsatz war: "Es ist eine irrsinnige Ressourcenverschwendung und null nachhaltig."
- Reise mit dem Verteidigungsminister nach Niger und Mali