Weiterbetrieb von Kraftwerken Frankreich hofft in AKW-Krise auf Hilfe aus Deutschland
Obwohl Frankreich klassisches Atom-Land ist, kriselt die Energieversorgung. Kanzler Scholz soll helfen – und Hilfe erhalten.
Es zählt zu den Kuriosa der internationalen Energiepolitik, dass das Atom-Aussteigerland Deutschland zwei Reaktoren länger laufen lassen könnte, um die Atomnation Frankreich mit Strom zu versorgen. Dort sind derzeit etwa die Hälfte der Reaktoren außer Betrieb, teils wegen Wartungsarbeiten, teils wegen technischer Probleme. Der künftige Chef des französischen Energiekonzerns EDF, der die 56 Atomkraftwerke betreibt, steht vor schwierigen Aufgaben.
Offiziell gilt in Frankreich noch der 2020 verabschiedete Mehrjahresplan für die Energieversorgung. Er sieht das Abschalten von 14 Reaktoren vor. Der Anteil des Atomstroms sollte von etwa 70 auf 50 Prozent reduziert worden. Doch davon hat sich Präsident Emmanuel Macron längst verabschiedet. Im Februar erklärte er die Rückkehr zur Atomkraft und kündigte den Bau von bis zu 14 neuen Reaktoren an.
Ende Oktober soll eine öffentliche Debatte über den nächsten Mehrjahresplan und damit über den Energiemix der kommenden Jahre beginnen. Es wird damit gerechnet, dass Atomkraft darin wieder einen prominenten Platz bekommt. Allerdings befindet sich die französische Atomwirtschaft – ungeachtet der vollmundigen Versprechen des Präsidenten – in einer Dauerkrise.
Produktion erreicht historisches Tief
Die Jahresproduktion wird laut Prognose des Netzbetreibers ein historisches Tief von etwa 280 Terawattstunden erreichen. Im vergangenen Jahr hatten die französischen Reaktoren noch 360 Terawattstunden produziert. Der Schuldenstand von EDF könnte unterdessen auf bis zu 60 Milliarden Euro klettern.
Das liegt unter anderem am Energiepreisdeckel, mit dem die Regierung die Verbraucher vor allzu hohen Preisen schützen will. Der Staat verpflichtet EDF, einen Teil seines Stroms unter dem Marktpreis an Konkurrenten abzugeben.
Ein weiteres Problem sind fehlende Fachkräfte, um die nötigen Reparaturen anzugehen. Der scheidende EDF-Chef Jean-Bernard Lévy hatte der Regierung vorgeworfen, durch ihre Wechselhafte Atompolitik die Misere mitverursacht zu haben.
Die Korrosionsprobleme sind seit etwa einem Jahr bekannt. Es handelt sich um feine Risse in den Leitungen des Notfall-Kühlsystems. Mindestens zwölf Reaktoren sind deswegen bereits heruntergefahren. Doch es gibt nicht genügend Fachkräfte, um die Leitungen zu ersetzen.
Um die Reparaturen zu beschleunigen, sollen die Höchstwerte für die Strahlenbelastung bei einigen Facharbeitern heraufgesetzt werden, heißt es bei EDF. Außerdem sollen Fachkräfte aus Nordamerika die Lücken stopfen.
Fernleitung wird vorbereitet
Probleme bereitet auch weiterhin ein neuer französischer EPR-Reaktor in Flamanville, der ursprünglich 2007 ans Netz gehen sollte: Er befindet sich weiterhin im Bau. Ein bisschen Hoffnung für die französische Atomwirtschaft ergibt sich daraus, dass der finnische Reaktor gleicher Bauart in Olkiluoto mit einer Verspätung von zwölf Jahren nun erstmals die volle Leistung erreicht hat.
Um EDF zu retten, soll das Unternehmen in Kürze wieder verstaatlicht werden. Derzeit hält der Staat 84 Prozent. Für die übrigen 16 Prozent ist ein Übernahmeangebot von zwölf Euro pro Aktie geplant. Neuer Chef soll Luc Rémont werden, der bei Schneider Electric Karriere gemacht hat und zuvor Berater im Wirtschaftsministerium war.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Präsident Macron hatten sich bereits Anfang September darauf verständigt, sich im kommenden Winter gegenseitig bei der Energieversorgung zu unterstützen. Frankreich will Deutschland mit Gas aushelfen und im Gegenzug Strom importieren. Für den Gastransport von Frankreich nach Deutschland wird eine bestehende Fernleitung vorbereitet, die bislang in umgekehrter Richtung genutzt wurde. Der französische Netzbetreiber rechnet mit einer Inbetriebnahme Mitte Oktober.
- Nachrichtenagentur AFP