"Wahrscheinlich schwere Winterwelle" Mit Corona zur Arbeit? Pläne spalten Deutschland
Wegen einer hohen Basisimmunität wollen vier Bundesländer die Corona-Isolationspflicht abschaffen. Der Gesundheitsminister befürchtet einen "Flickenteppich".
Wer einen positiven Corona-Test hatte, muss künftig in vier Bundesländern nicht mehr fünf Tage zu Hause bleiben, sondern kann das Haus verlassen und auch zur Arbeit oder Schule gehen. Baden-Württemberg, Bayern, Hessen und Schleswig-Holstein haben sich darauf verständigt, die bisherige Isolationspflicht für Infizierte abzuschaffen, wie sie am Freitag gemeinsam mitteilten. Weitere Bundesländer denken darüber nach, andere lehnen einen solchen Schritt ab. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte davor, die Isolationspflicht aufzuheben.
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Die neuen Regeln sollen "zeitnah" in Kraft treten, wie die vier Länder ankündigten, in Bayern bereits ab nächsten Mittwoch. Dafür müssen sie nun zunächst ihre Corona-Verordnungen überarbeiten. Angedacht ist, dass wer wissentlich mit Corona infiziert ist, zwar künftig offiziell Haus oder Wohnung verlassen darf, aber in Innenräumen außerhalb der Wohnung eine Maske tragen muss und Krankenhäuser oder Pflegeheime nicht betreten darf. Personal im Gesundheitswesen soll bei positivem Corona-Test nicht zur Arbeit dürfen.
So argumentieren die vier Länder
- Viele Menschen sind geimpft oder hatten Corona, die "Basisimmunität" in der Bevölkerung ist hoch, die aktuelle Omikron-Variante verursacht in der Regel keine schweren Krankheitsverläufe.
- Die aktuellen, eher kurzen Wellen im Sommer und in diesem Herbst weisen auf den Übergang in eine endemische Phase hin. Als endemisch gilt eine Krankheit, wenn sie in einer Region mit relativ konstanter Erkrankungszahl dauerhaft auftritt, wie etwa die Grippe.
- Die meisten EU-Staaten verzichten mittlerweile auf Isolationspflichten für Corona-Infizierte.
- Es geht um einen neuen Umgang mit Corona mit mehr Eigenverantwortung der Menschen. Grundsatz soll sein: "Wer krank ist, bleibt zu Hause."
Bei Bundesgesundheitsminister Lauterbach stießen die Pläne am Freitag auf großes Kopfschütteln. "Das kommt jetzt zur Unzeit und findet nicht die Billigung der Bundesregierung", sagte der SPD-Politiker in Berlin.
So argumentiert der Gesundheitsminister
- Es gibt zurzeit keinen "keinen medizinischen Grund", die Isolationspflicht zu kippen, bei etwa 1.000 Todesfällen pro Woche, einer "wahrscheinlich schweren Winterwelle", die komme, "am Vorabend einer ansteckenderen Variante". Lauterbach nannte die BQ.1.1-Variante des Omikron-Typs, die sich stärker ausbreite.
- Der Arbeitsplatz muss sicher bleiben. Es muss zudem verhindert werden, dass Menschen infiziert zur Arbeit gedrängt werden.
- Es droht ein "Flickenteppich" mit verschiedenen Isolationsregeln in den Bundesländern.
Die Entscheidung, wie sie mit der Isolationspflicht umgehen, liegt in der Hand der einzelnen Bundesländer. Vom Bund gibt es lediglich die Empfehlung des Robert Koch-Instituts (RKI) zur fünftägigen Isolation, dies hatten die Länder bisher aber geschlossen umgesetzt.
Ob Lauterbachs "Flickenteppich"-Prognose eintritt, werden die nächsten Tage zeigen. In einer ersten Reaktion ließen etwa Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Niedersachsen und Bremen am Freitag erkennen, dass sie an der Isolationspflicht festhalten wollen. Sachsen zeigte sich offen für ein Aus der Regel, Rheinland-Pfalz und Thüringen wollen das weitere Vorgehen prüfen. Andere Länder gaben sich zurückhaltend und forderten ein gemeinsames Vorgehen.
Niedersachsen kritisiert Vorstoß
Hessens Gesundheitsminister Kai Klose (Grüne), nannte den Schritt "verantwortbar und geboten", solange die derzeitige Virusvariante nicht von einer anderen verdrängt wird, die das Gesundheitssystem überlasten könnte. Virologe Hendrik Streeck ist der Ansicht, mit der Isolationspflicht sei es bei der hohen Dunkelziffer nicht zu schaffen, das Infektionsgeschehen einzudämmen. Man solle "zu einem Isolationsgebot übergehen. Wer sich krank fühlt, sollte zu Hause bleiben", sagte er der "Fuldaer Zeitung".
"Wenn jetzt Eltern ihre coronainfizierten Kinder in Kitas und Schulen schicken dürfen, steigt dort logischerweise die Ansteckungsgefahr", kritisierte die Vorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Schleswig-Holstein, Astrid Henke, die Pläne. Das gefährde die Gesundheit von Erzieherinnen und Lehrkräften nicht unerheblich.
Niedersachsens Gesundheitsministerin Daniela Behrens (SPD) sagte, sie halte es "epidemiologisch für grundfalsch, mitten im dritten Pandemieherbst" auf die Isolationspflicht für Corona-Infizierte zu verzichten. "Auch Personen, die keine Symptome haben, können das Virus weitertragen und andere Menschen anstecken", warnte sie.
Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) Nord hat die von der schleswig-holsteinischen Landesregierung angekündigte Aufhebung der Isolationspflicht für Corona-Infizierte kritisiert. "Oberste Maxime ist weiterhin: Wer krank ist, bleibt zu Hause." Das sei die beste Möglichkeit, andere vor einer Infektion zu schützen, sagte die Vorsitzende Laura Pooth auf dpa-Anfrage. Mit Blick auf die dünne Personaldecke im Gesundheitswesen müsse aber dafür gesorgt werden, dass das überhaupt möglich ist. "Die Landesregierung muss deutlich mehr in die Krankenhäuser investieren und die Beschäftigten dringend zeitlich entlasten. Damit sie gesund im Beruf bleiben", sagte Pooth.
Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein (UV Nord), Michael Thomas Fröhlich, reagierte ebenfalls eher verhalten auf die Entscheidung. "Die Lockerungen und das Setzen auf mehr Selbstverantwortung ist richtig, aber Infizierte nur mit Maske an den Arbeitsplatz zu lassen, springt etwas kurz", sagte Fröhlich. Der Arbeitsschutz müsse weiterhin gewährleistet werden. Es blieben für Unternehmen viele Fragen offen. "Die Wirtschaft ist enttäuscht, da die Chance auf einen gemeinsamen und vor allem einheitlichen norddeutschen Weg vertan worden ist, wie die Absage Hamburgs an den Kieler Weg zeigt", sagte Fröhlich.
Schmidt-Chanasit: "Aus medizinischer Sicht nachvollziehbar"
Der Virologe Jonas Schmidt-Chanasit hält die in einigen Bundesländern geplante Aufhebung der Isolationspflicht allerdings für akzeptabel. "Ich finde diesen Vorschlag der vier Bundesländer aus medizinischer Sicht nachvollziehbar. Er ist in der aktuellen Pandemiesituation auch vertretbar", sagte er der Deutschen Presse-Agentur. "Man kommt mit der Regelung 'Wer krank ist, bleibt zu Hause' gut durch die nächsten Wochen und Monate."
In Einrichtungen, in denen es eine größere Gefahr gebe – wie Krankenhäuser oder Altenheime – habe man gute Hygienekonzepte und Fachkräfte, die verhinderten, dass es zu einem problematischen Infektionsgeschehen komme, sagte Schmidt-Chanasit. "Aber eine allgemeine Regelung für alle Bereiche ist in dieser aktuellen Situation nicht mehr angebracht und sorgt ja auch für problematische Einschränkungen in dem Bereich der kritischen Infrastruktur."
Die Frankfurter Virologin Sandra Ciesek betonte dazu bei Twitter: "Es gibt politische und gesellschaftliche Argumente dafür und dagegen." Was ihr wichtig sei zu betonen: "Keine Isolationspflicht mehr zu haben bedeutet nicht, dass Covid-19 für jeden ab jetzt völlig harmlos und nur ein Schnupfen ist."
- Nachrichtenagentur dpa