t-online - Nachrichten für Deutschland
t-online - Nachrichten für Deutschland
Such IconE-Mail IconMenü Icon



HomePolitikGerhard Spörl: Der Welterklärer

Im Bann von Corona: In Angela Merkels Haut möchten Sie nicht stecken


Im Bann von Corona
In der Haut dieser Frau möchten Sie nicht stecken

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

13.04.2020Lesedauer: 4 Min.
Meinung
Was ist eine Meinung?

Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.

Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.
Angela Merkel muss während der Corona-Krise schwerwiegende Entscheidungen treffen. (Björn Trotzki/Montage: t-online.de).Vergrößern des Bildes
Angela Merkel muss während der Corona-Krise schwerwiegende Entscheidungen treffen. (Björn Trotzki/Montage: t-online.de). (Quelle: Björn Trotzki/imago-images-bilder)

Am Mittwoch bereden Kanzlerin und Ministerpräsidenten, wie es in Deutschland weitergeht. Wie viel Lockerung darf sein? Selten wog eine politische Entscheidung so schwer wie diesmal.

Gestern waren wir im Sonnenschein am Teltow-Kanal spazieren. Ein Schleppverband fuhr leer vorbei, und wir dachten schon, er liege zu hoch, um durch den Brückenbogen zu passen, war aber nicht so. Zwei Radfahrer überholten uns, eine ganze Reihe Motorboote lagen eingemottet am Gegenufer. Auf dem Rückweg durch den Wald fanden wir einen kleinen See, an den eine ausladende Wiese grenzte. Drei Menschen saßen auf einem Baumstamm, den Zeichenblock vor sich, und malten dieses Idyll, konzentriert und schweigsam.

Die Welt kann seltsam friedlich sein. Unwirklich. Unheimlich. Die Diskrepanz ist ja auch zu grell. Der Himmel so blau und das Virus so tödlich. Spazierengehen in Gottes freier Natur und täglich neue Horrorzahlen. Ich zähle zu den Risikopatienten, denen das Virus schwer zusetzen kann, wenn es mich heimsucht. Ich hatte als Jugendlicher Tuberkulose und verbrachte ein halbes Jahr in einem Sanatorium. Das vergisst man nie mehr, das steckt tief im Gemüt, auch bei mildem Sonnenlicht und dem blauesten Himmel. Mir macht es keinen Spaß, die Quarantäne einzuhalten, aber besser als der Tod ist Selbstdisziplin allemal.

Tageszeitungen stellen Alltagshelden vor

Die dritte Woche im Ausnahmezustand ist vorüber. Auf den Balkonen singen und klatschen sie nicht mehr, wie schade. Die Spontaneität hat sich ein bisschen erschöpft, ist eben so. Immerhin schlagen die Tageszeitungen unverdrossen ganze Seiten frei und stellen Alltagshelden vor, die das Land am Laufen halten: die Altenpflegerin, den Lkw-Fahrer, die Ärztin, den Restaurantbetreiber, der die Speisekammer wegkocht und das Essen unentgeltlich an Krankenhäuser oder Polizeistationen ausliefert.

Nach wie vor lassen sich etliche Menschen einiges in der Not einfallen, was das Herz wärmt. Die Soziologen, die Experten für gravitätische Begriffe sind, sagen dazu: Die Zivilgesellschaft tritt in die Lücke ein, die der Staat lässt. Ist gut so, muss so sein, diese Nachbarschaftshilfe ist wunderbar – österlich ausgedrückt: diese christliche Nächstenliebe im Ausnahmezustand.

"Bleiben Sie gesund und demokratisch!"

Die Geduld hält an, so sieht es zumindest aus. Klaglos standen am Samstag in Berlin lange Schlangen vor dem Schlachter, dem Bäcker, dem Obstladen, dem Supermarkt. Polizeiautos fuhren durch die Gegend, inspizierten Spielplätze, Parks und Wochenmärkte. Kein Aufruhr, wenig Ärger, Abstand und Anstand. Die Obstfrau auf dem Winterfeldmarkt verabschiedete ihre Kunden mit einem flotten Spruch, der zum Nachdenken einlädt: "Bleiben Sie gesund und demokratisch!"

Gesundheit ist Glückssache, kein Verdienst. Man steckt sich an oder nicht. Man stirbt oder nicht. Das Leben kann auch Lotterie sein. Das Virus trifft, wen es trifft. Es trifft nicht, wen es nicht trifft. Eine 101 Jahre alte Frau überstand die Lungenkrankheit, habe ich gestern gelesen – erstaunlich.
Demokratisch bleibt das Land ganz bestimmt. Oder haben Sie Zweifel? Ich kenne eigentlich niemanden, der nicht in aller Ruhe davon ausgeht, dass wir uns irgendwann wieder öffentlich mit vielen Leuten treffen können – dass wir tun und lassen können, was wir wollen, ohne dass uns die Obrigkeit auseinander treibt. An Angela Merkel war noch vor ein paar Wochen mehr zu kritisieren als momentan, aber autoritärer Anwandlungen hat sie niemand bezichtigt.

Das richtige Timing ist wichtig

Jetzt steht die vierte Woche an. Am Mittwoch redet die Bundeskanzlerin per Videokonferenz mit den Ministerpräsidenten und dann entscheiden sie darüber, wie es weitergeht. Wenn Geduld und Vertrauen nicht bröckeln sollen, muss die Bundesregierung weiterhin so klug handeln, wie sie bislang gehandelt hat. Der Rat der Wissenschaftler ist wichtig, aber die politische Entscheidung ist komplexer. So ist das eigentlich immer, aber diesmal hängt noch gewaltig mehr vom richtigen Timing ab.

Stellen Sie sich vor, Sie sind Kanzlerin und müssen sich durch dieses Labyrinth bewegen: Mittelstand und Industrie mahnen zur Eile. Kleine Geschäfte wie Friseure, Buchläden, Cafés, Boutiquen gehen pleite oder stehen kurz davor. Die Mitarbeiter raten Ihnen, Sie sollten sich nicht unter Druck setzen lassen. Das Reden überlassen Sie an Ostern dem Bundespräsidenten, der die Krise zur Charakterfrage erklärt.

Schwieriger kann eine Entscheidung gar nicht sein

Weiter im Labyrinth: Die Virologen raten von einer Lockerung ab, da die Pandemie ihren Höhepunkt noch nicht überschritten hat. Armin Laschet, der Sie beerben will, grenzt sich von Ihnen ab. Die beiden SPD-Vorsitzenden verlangen Steuererhöhungen für die Reichen, der bayerische Ministerpräsident ist für Steuersenkungen nach Corona, um den Konsum zu erleichtern und damit die Wirtschaft anzukurbeln. In den Talkshows hagelt es Meinungen, was in Deutschland auf dem Spiel steht. Intellektuelle sagen mit gewichtigen Worten, das Land halte dieses künstliche Koma nicht lange aus.

Und dazu Tag für Tag mehr Infizierte und mehr Tote.
Schwieriger kann eine Entscheidung gar nicht sein. Niemand ist zu beneiden, der sie treffen muss. Selten ging es in den letzten Jahrzehnten um so viel wie heute. Da können wir nur Glück für das richtige Timing wünschen, in unserem eigenen Interesse.

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...

ShoppingAnzeigen

Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...
Loading...



TelekomCo2 Neutrale Website