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Literaturnobelpreis 2019: Peter Handke, der rebellische Alleingänger


Literaturnobelpreis
Peter Handke, der Alleingänger

MeinungVon Gerhard Spörl

Aktualisiert am 11.10.2019Lesedauer: 3 Min.
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Peter Handke: Der Literaturnobelpreis 2019 geht an den Schriftsteller aus Österreich.Vergrößern des Bildes
Peter Handke: Der Literaturnobelpreis 2019 geht an den Schriftsteller aus Österreich. (Quelle: dpa)

Wer wäre schon auf Peter Handke gekommen? Seine literarisch produktivste Zeit liegt einige Jahre zurück. Und da sind auch noch seine seltsamen politischen Einlassungen.

Ich kann mir Peter Handke gar nicht als älteren Herren vorstellen, was er mit knapp 77 Jahren zweifellos ist. Für mich bleibt er dieser blasse junge Mann mit der Beatles-Frisur, eher der Typ Streber. Mich hat auch immer gewundert, dass er sich für die Popmusik der sechziger Jahre interessierte, mit der ich aufgewachsen bin. In seinen Büchern tauchen Anspielungen auf Liedtexte aus dieser Zeit auf.

Zugleich trat er schon im Jahr 1966 in Princeton bei der Gruppe 47 auf. Dieser Klub der lebenden Dichter war 1947 gegründet worden, daher das Kürzel 47. Handke regte sich damals entweder wirklich oder strategisch über das Gehabe der arrivierten Großschriftsteller dermaßen auf, dass er sie mit Schmähkritik überzog. Damit erwarb er sich den Ruhm des Rebellen, auf den er es abgesehen hatte.

Literaturnobelpreis für Peter Handke

Als ich hörte, dass Peter Handke den Literaturnobelpreis erhält, habe ich jeden, der mir über den Weg lief, mit der Frage behelligt: Hast du je ein Buch oder Theaterstück von Peter Handke gelesen oder gesehen? Die Probanden sind zwischen 20 und 40 und antworteten unisono: nö, kenne den Namen, aber nichts von ihm. Ich finde den Befund erhellend.

Peter Handke gehört eben zu der Generation der großen Gestrigen, die er damals virtuos beschimpfte: zu Günter Grass und Heinrich Böll und Martin Walser und Thomas Bernhard, die zwar etliche Jahre älter waren, von denen er sich jedoch distanzieren konnte, um sich damit zu erhöhen. Nicht zufällig wurde seine "Publikumsbeschimpfung" noch im selben Jahr 1966 von Claus Peymann uraufgeführt.

Ehrlich gesagt wäre ich nie auf die Idee gekommen, dass Handke den Literaturnobelpreis bekommen würde. Nun ist es ja so, dass die Welt zu allen Zeiten voll von Autoren war, die ihn verdient hätten, aber übergangen wurden. Von der polnischen Schriftstellerin Olga Tokarczuk, die den Preis nachträglich für 2018 erhält, habe ich keine Zeile gelesen. Auch für sie gäbe es Dutzende anderer Autoren/innen, die in Frage gekommen wären.

Egal, ist wahrscheinlich auch Jahr für Jahr gar nicht leicht, den Richtigen zu finden, also nehmen sie den, an dem einer in der Jury einen Narren gefressen hat oder den er schnell noch im Alter ehren möchte. Ich stelle mir vor, dass Peter Handke genau so verblüfft ist über die Ehrung wie ich, das wäre doch eine hübsche literarische Betrachtung wert. Ich fände es toll, wenn Botho Strauß bald schon ein sperriges Stück über erstaunte Geehrte und beleidigte Übergangene schreibt, das keiner so recht versteht. Wäre angemessen und lustig.

"Wunschloses Unglück": die Geschichte seiner Mutter

Ich habe Handkes erste Bücher gerne gelesen, angefangen mit "Die Angst des Torwarts beim Elfmeter" (1970). Das war ein genialer Titel, vor allem für Fußballreporter, die damit Tiefgang andeuten durften, sobald es Elfmeter in einem realen Spiel gab. Die Handlung lädt allerdings zum Vergessen ein.

"Wunschloses Unglück" (1972), fing er sieben Wochen nach dem Selbstmord seiner Mutter an. Das Buch erzählt die Geschichte seiner Mutter aus ärmlichen Verhältnissen. Ihr Sohn webt Autobiographisches ein und ich war fasziniert von der Klarheit und Offenheit.

Dann habe ich noch "Kindergeschichte" (1981) gelesen, in der Handke über sich als Erzieher schreibt. Er zog seine Tochter Amina weitgehend alleine auf und schrieb darin freimütig über Krisen, Eifersucht, Auseinandersetzungen und Selbstzweifel. Dieser Handke stand mir am nächsten.

Peter Handke, der Alleingänger

Handke begann jung mit einem Alleingang und begann seine späteren Jahre auch mit einem Alleingang, diesmal genuin politisch. Mit seiner slowenischen Vergangenheit nahm er sich ein exklusives Verständnis für den serbischen Diktator und Schlächter Slobodan Miloševic heraus und erntete damit, wie man sich denken kann: Unverständnis. Milošević überzog Slowenien und Kroatien, Bosnien-Hercegovina und Kosovo mit Krieg und Vertreibung. Srebrenica ist ein serbisches Kriegsverbrechen.

Natürlich ließ sich Handke nicht beirren und isolierte sich damit um so mehr. Im Nachhinein denke ich mir: Wäre ja vielleicht ganz sinnvoll gewesen, sich mit den Beweggründen für den ganz anderen Blick und für die ganz andere Betrachtung zu beschäftigen. Urteile aus Verstehen überzeugen nun einmal mehr als lodernde Empörung. Das große Einfühlen mit der serbischen Sache wird mit Sicherheit gegen den Literaturnobelpreisträger ins Feld geführt.


Peter Handke hat vor allem früh in seinem Leben Bücher geschrieben, die bleiben. Seine politischen Extravaganzen können wir getrost vernachlässigen, wenn wir wollen.

Ich will.

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