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Mietwucher in Metropolen: Vorsicht vor den Gebetsmühlen der Rechthaber


Mietwucher in Metropolen
Die Rechthaber umzingeln uns

MeinungVon Gerhard Spörl

11.03.2019Lesedauer: 5 Min.
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Die Rechthaber: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sind darin besonders geübt, meint Kolumnist Gerhard Spörl.Vergrößern des Bildes
Die Rechthaber: Sahra Wagenknecht und Oskar Lafontaine sind darin besonders geübt, meint Kolumnist Gerhard Spörl. (Quelle: Boillot/imago-images-bilder)

Rechthaber sitzen in Talkshows und tun so, als ob sie die Wahrheit gepachtet hätten – zum Beispiel zum Thema Wohnungskrise. Die Meinung der Anderen wird ignoriert. Wir täten gut daran, auf solche Leute nicht hereinzufallen.

Vor ein paar Tagen sah ich eine Talkshow im Fernsehen, in der fünf Menschen sagen durften, wie sie eines der größten Probleme unserer großen Städte lösen wollen: die steigenden Miet- und Baukosten. Gutes Thema, dachte ich, mal reinhören. Interessante Leute, dachte ich auch: ein Juso-Vorsitzender, ein Berliner Mietaktivist (das ist inzwischen eine Berufsbezeichnung), ein reicher Schönheitschirurg, eine eher junge Unternehmerin und zwei Journalisten (eine von der "taz", einer von der "FAS"). Ein bunter Reigen mit Sandra Maischberger als Moderatorin.

Jeder der fünf verstand einiges von der Sache und redete kenntnisreich darüber. Jeder von ihnen beschwor die Dramatik, die im Mieten und Bauen steckt sowie Folgen für das soziale Gefüge in Städten. Jeder war von seiner Meinung überzeugt und legte aggressive Schwermut in die Stimme, sobald er auf die törichte Meinung der anderen zu sprechen kam. Jeder war im Besitz der Wahrheit und hielt seine Gegner für hummerhafte Ideologen.

Keiner hörte dem anderen zu

Fünf Menschen, fünf Gebetsmühlen. Jeder redete für sich und wusste genau, wer in der Runde ihm beipflichten würde. Jeder blieb unbeirrt von Einwänden der anderen bei seiner Meinung. Jeder war sein eigener Rechthaber und fühlte sich wohl dabei. Keiner hörte dem Gesprächspartner aus dem anderen Lager zu – sie warteten stattdessen starren Gesichts oder schüttelnden Kopfes so lange ab, bis der mit der falschen Meinung fertig war, oder fielen ihm gleich ins Wort. Nicht sehr ergiebig.

Ich mag Talkshows, ich mag "Menschen bei Maischberger", ich mag auch entschiedene Meinungen – aber ich mag keine Rechthaber, die immer nur im eigenen Saft schmoren. Man muss kein Philosoph sein, um zu wissen, dass die meisten Probleme unserer Zeit zu komplex für schlichte Wahrheiten sind, egal ob sie von Politikern oder Schönheitschirurgen vorgetragen werden. Das wissen sogar diese Rechthaber, die nicht zufällig Apokalyptiker sind.

Um ihre Überzeugungen zu unterstreichen, verweisen sie notorisch auf die schlimmen, wirklich schlimmen Auswirkungen, wenn das andere Lager machen darf, was es machen will: Enteignungen, schrien der Chirurg, die Unternehmerin und der "FAS"-Journalist, sind Sozialismus und zerstören die Demokratie. Und die Freunde der Enteignungen schrien zurück: Wer dem freien Markt freien Lauf lässt, lässt in Wirklichkeit profitgierigen Konzernen die Freiheit zur Profitmaximierung.

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Rechthaber waren schon immer unter uns. Oskar Lafontaine war ein Prachtexemplar an Rechthaberei und überschätzte sich so konsequent, dass er die SPD verließ. Friedrich Merz scheiterte zweimal an Frauen, weil er viel zu große Stücke auf sich hielt. Diese Art Selbstgefälligkeit geht immer einher mit Rechthaberei. Sie verleitet zur Geringschätzung der Konkurrenten, ob sie Gerhard Schröder oder Annegret Kramp-Karrenbauer heißen. Die selbstbewussten Pragmatiker sind wirklichkeitsnäher als die Rechthaber und insofern auch klüger.

Die Rechthaber haben seit einiger Zeit Zulauf. Inzwischen umzingeln sie uns. Alice Weidel und ihre Freunde sind begnadete Fetischisten der Wahrheit, die sie exklusiv verwalten. Die Neue Rechte hält aber kein Monopol auf die Rechthaberei, denn auch am anderen Ende der Extreme gibt es ein Faible dafür. Sarah Wagenknecht bei der Entfaltung des Kosmos zuzuhören – in dessen Zentrum sie selber steht – ist ein begrenztes Vergnügen. Menschen wie sie haben immer nur so lange recht, wie sie reden. Spätestens wenn sie fertig sind, fällt uns alles ein, was gegen ihre Argumente spricht.

Journalisten sollten es besser wissen

Der Trend zur Rechthaberei findet sich überall, auch in den Talkshows. Deshalb sind solche Sendungen lehrreich, egal, ob sie die ARD oder das ZDF ausstrahlen. Wahrscheinlich hoffen verantwortliche Redakteure sogar darauf, dass sich Gäste beharken oder bekriegen. Das mag sinnvoll gewesen sein, als zu viel Harmonie in der Politik herrschte, zu viel Konsens, zu viel alte Republik. Inzwischen tummeln sich Rechthaber überall, auch unter den geladenen Journalisten. Die sollten am besten wissen, dass komplexe Sachverhalte zu reduzieren nicht zur Wahrheit führt, sondern nur zu einseitigen Behauptungen.

Natürlich gehört Mieten und Bauen in den großen Städten zu den komplexen Problemen. Wie wir miteinander leben, ob in Gettos oder sozial bunten Vierteln, hängt von der Wohnungspolitik ab. Ob unsere Städte unwirtlich oder wirtlich sind, ist eine Folge falscher oder richtiger Entscheidungen der Regierungen. Ob in Berlin bald schon Verhältnisse herrschen werden wie in London oder New York, kann uns nicht egal sein. Kein Wunder, dass in den Städten ein Kulturkampf tobt, der in Berlin sogar in ein Volksbegehren zur Enteignung eines Wohnungsbaukonzerns münden soll, das der Mietaktivist in "Menschen bei Maischberger" kühl verteidigte.

Eine Stadt muss aktiv werden

Jede vernünftige Stadtregierung wird dafür sorgen, dass ihr mehrere Möglichkeiten bleiben. Warum sollte sie nicht enteignen, wenn freie Grundstücke dauerhaft brach liegen bleiben, bis die Preise dafür ins Horrende steigen und sich das Bauen richtig lohnt? Oder warum sollte sie nicht eine höhere Bodensteuer erheben für derartige Spekulationsobjekte? In den Zeiten von Niedrigzinsen sucht reichlich Kapital eine Anlage in Immobilien mit aussichtsreicher Rendite. Das ist nun mal so, das ist Kapitalismus. Aber eine Stadt, die dabei nur passiv bliebe, würde einen unverzeihlichen Fehler begehen.

Auch Milieuschutz wie in Kreuzberg ist nicht zu verachten. Dazu gehört, dass sich die Kommune ein Vorkaufsrecht für Häuser vorbehält oder Auflagen für Sanierungen vorschreibt. Selbstverständlich zählt sozialer Wohnungsbau zum Instrumentarium einer Stadtregierung. Genauso wie die Mietbremse, wie dichter gebaute Straßenzüge oder wie aufgestockte Etagen auf Häusern.

Ziemlich viele Möglichkeiten für eine wachsende Stadt, die Dinge einigermaßen unter Kontrolle zu halten. Sie muss es nur wollen. Sie muss es nur machen.

Vor einigen Wochen veröffentlichte der Wissenschaftliche Beirat, der den Bundeswirtschaftsminister berät und sozialistischer Anwandlungen unverdächtig ist, eine Studie "Soziale Wohnungspolitik". Darin sind Sätze zu finden, die Rechthabern wie dem Schönheitschirurgen und der Unternehmerin in der Talkshow nicht gefallen können. Zum Beispiel dieser Satz: "Es fragt sich daher, ob der Marktmechanismus in der Lage ist, die Anpassung des Wohnungsangebots an die geänderte Nachfrage zu bewerkstelligen, und in welcher Weise wohnungspolitische Instrumente des Staates diese Anpassung unterstützen oder behindern können."

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Das meint: Der Markt allein richtet es bestimmt nicht und der Staat muss in jedem Fall mitmischen. Im Grunde eine Selbstverständlichkeit, die dummerweise im Redeschwall unserer Rechthaber untergeht.

Jede Regierung ist gut beraten, wenn sie sich Optionen vorbehält, damit sie flexibel auf wandelnde Umstände reagieren kann. Und wir sind gut beraten, wenn wir nicht auf Rechthaber hereinfallen, nur weil sie glasklare Meinungen vertreten – unabhängig davon, ob sie in Talkshows sitzen, Volksbegehren organisieren oder für die AfD in Parlamenten sitzen.

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Textversion war versehentlich von Niedrigsteuern die Rede. Gemeint sind natürlich Niedrigzinsen.

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