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Trump, Syrien und Terror: An Weihnachten muss man doch Optimist sein, oder?


Eine Frage der Einstellung
Warum Trump und Terror nicht das letzte Wort haben

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

24.12.2018Lesedauer: 5 Min.
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Weihnachten ist eine Zeit für Optimisten, findet Kolumnist Gerhard Spörl.Vergrößern des Bildes
Weihnachten ist eine Zeit für Optimisten, findet Kolumnist Gerhard Spörl. (Quelle: Kevin Lamarque/reuters)

Weder im eigenen Leben noch draußen in der Welt geht es immer nur aufwärts oder immer nur abwärts. Momentan gibt es starke Gründe für den Pessimisten, aber wollen wir das wirklich auf Dauer sein?

Neulich fiel mir ein altes Buch mit brüchigen Seiten in die Hände, das ich fast schon vergessen hatte. Es trägt den Titel "Neue Morgenandachte auf alle Tage im Jahre", geschrieben hat es Johann Christian Seyffert und es stammt aus dem Jahr 1796. Gedacht ist es als christliche Morgenlektüre, bevor wir uns danach in unser Leben stürzen.

Ich blätterte darin und blieb am Text für den 14. Januar hängen, der so geht: "In einer Welt, wie die gegenwärtige ist, gibt es freilich so manchen Anlass zu Kümmernissen und unruhigen Gedanken über das Zeitliche. Oft stehen die Sorgen des Lebens mit mir wieder auf, mit welchen ich mich des Abends niederlegte. Desto mehr habe ich also Ursache, mein Herz und die Ruhe desselben davor zu sichern, dass jene Ängstlichkeit nicht überhand nehme."

Ich nehme an, den meisten von uns Gegenwärtigen geht es so, dass wir uns gegen die Kümmernisse des Zeitlichen behaupten müssen. Mich persönlich verwundern die seltsamen Gleichzeitigkeiten, die sich fast zynisch einstellen. An dem Tag, an dem das letzte deutsche Steinkohlebergwerk, das modernste der Welt, mit Tamtam geschlossen wurde, ereignete sich in Tschechien ein Grubenunglück, bei dem dreizehn Kumpel zu Tode kamen. Verrückt. Traurig.

Natürlich können wir auch ins Große und Ganze schweifen und unruhige Gedanken über die Entfesselung Donald Trumps vom letzten unabhängigen Kopf in seinem Kabinett hegen. James Mattis, der General und Verteidigungsminister, tritt zurück und von jetzt ab gibt es nur noch den Willen und den Wunsch des Präsidenten, der vielen von uns die Ruhe des Herzens raubt. Welche Konsequenzen der Abzug aus Syrien und Afghanistan haben wird, zeichnet sich schon ab. Und was sie in der chinesischen Führung über den Kindkaiser in Washington denken, kann sich jeder ausmalen.

Was rettet uns?

Auch Johann Christian Seyffert lebte in turbulenten Tagen. Er war Feldprediger in Tauentzienschen Regiment, das 1813 zu einem wichtigen Sieg über Napoleon, unter hohen Verlusten, beitrug. Den Prediger rettete das Christentum vor unerfreulichen Gedanken angesichts der schrecklichen Ereignisse im langen Krieg gegen Frankreich und vor der Unruhe des Herzens. Und uns?

Na ja, sicherlich rettet uns Verschiedenes. Man kann sich sagen: Nützt eh nichts, wenn ich mich mit dem Tsunami in Indonesien oder dem Skandal im "Spiegel" oder der AfD beschäftige – ich kann nichts daran ändern, außer dass ich meine Seelenruhe einbüße und das ist mir der Irrsinn um mich herum nicht wert. Ich konzentriere mich auf meinen kleinen Horizont, in dem ich einen Unterschied machen kann, und damit ist’s gut.

Ist verständlich. Ist nicht jedermanns Sache, aber menschlich.

Das absolute Gegenteil besteht darin, dass man sich innerlich aufzehrt und nahezu verzweifelt an der Ungerechtigkeit der Welt und der selbstverschuldeten Menschenmisere, angefangen beim Klimawandel über den zynischen Krieg in Syrien bis zu den Anschlägen in unseren Städten, an die man sich nicht gewöhnen kann und nicht gewöhnen sollte.

Ich bin Optimist aus Lebenserfahrung

Mich interessiert vor allem die innere Haltung, die wir gegenüber den Ereignissen einnehmen, auf die wir keinen Einfluss haben und die unsere Gegenwart bestimmen. Ich bin immer gegen Extreme, also gegen das schutzhafte Abwenden und gegen das schutzlose Zuwenden. Dazwischen gibt es viele Schattierungen und wie wir denken und uns verhalten, hängt letztlich von unserer Hinneigung zu Optimismus oder zum Pessimismus ab. Und die meisten Menschen, die ich kenne, bewegen sich genau dazwischen.

Grundsätzlich bin ich Optimist aus Lebenserfahrung. Ich gehöre zum goldenen Jahrgang der alten Westrepublik, 1950 geboren, in sicherem Abstand zu Krieg und Nachkriegselend. Als ich zur Schule kam, mussten meine Eltern nicht mehr für die Bücher bezahlen, wir bekamen sie gestellt. Als ich im Gymnasium war, war das Schulgeld Vergangenheit und in der Gegenwart schenkte mir die Popmusik eine eigene Jugendkultur, in Abgrenzung zur Elternwelt. Wir waren cool, wir kannten alle Beatles-/Animals-/Moody-Blues-/Cream-Songs auswendig. Als wir den Sex entdeckten, gab es schon die Pille. Als ich mit dem Studium begann, bekam ich einen staatlichen Zuschuss. Als ich damit fertig war, hatte ich die Auswahl, was ich werden wollte.

Nichts geht immer nur gut

Die Welt draußen war nicht lustig: bipolar, Atomkriegsängste wegen Kuba, Rüstungswettstreit, RAF-Terrorismus usw. Aber für mich schien es trotzdem aufwärts zu gehen und ging es auch.

Folglich ist mein Optimismus durch mein Leben begründet. Ich dachte, wird schon gut gehen, die RAF kann nicht ewig morden und konnte es auch nicht. Der Atomkrieg brach nicht aus, auch nicht durch einen blöden technischen Zufall. Im Gegenteil ging die bipolare Welt zu Bruch und das goldene Zeitalter des Friedens und der Demokratie schien sich zu entfalten. Bevor uns die Kriege auf dem Balkan uns überraschten, bevor sich 9/11 ereignete, bevor die Kriege in Afghanistan/Irak/Syrien/Jemen Tod und Blut und Leid verursachten.

Nichts geht immer nur gut in der Geschichte, nichts geht immer nur schlecht. Ja, manche Phasen würde man lieber überspringen und manchen Präsidenten gerne schnell wieder vergessen. Vielleicht sollten wir uns mit Hegel trösten: Die Weltgeschichte ist nicht der Boden des Glücks, schreibt der Deuter des Weltgeistes. Was uns das lehrt? Wir müssen unseren eigenen kleinen Kosmos einigermaßen in Ordnung halten und trotzdem an den Ereignissen in China oder Russland Anteil nehmen.

Der Optimist mag sich irren, doch hat er mehr vom Leben

Da es weder beständig abwärts noch beständig aufwärts geht, haben beide recht, der Optimist und der Pessimist. Wir können auch beides zugleich sein, ein Optimist für unser Leben und ein Pessimist für die Geschichte. Natürlich alte Ambivalenz für die pragmatisch richtige Grundhaltung. Wir haben Grund zum Optimismus und zum Pessimismus. Die Dosierung macht’s aus. Niemand möchte ja andauern blauäugig sein oder immer nur zu Tode betrübt. Es gibt auch einen gewichtigen Unterschied: Der Optimist mag sich irren, doch hat er mehr vom Leben. Der Pessimist mag recht haben, aber er hat weniger vom Leben.

Über die Morgenandacht zum 14. Januar hat Johann Christian Seyffert den Psalm 127/2 als Motto gestellt. Er geht so: "Es ist umsonst, dass ihr frühe aufstehet und hernach lange sitzet und esset euer Brot mit Sorgen."


Ich würde vorschlagen, dass wir uns diesen Psalm zu Herzen nehmen, auch wenn uns das Christliche nicht mehr so zu Gebote steht, wie es für Johann Christian Seyffert eine sich selber erklärende Glaubenssache war. Es gibt das große Trotzdem: Obwohl es dort draußen schlimm zugeht, hoffe ich darauf, dass auch wieder bessere Zeiten anbrechen – dass der Krieg in Syrien endlich aufhört und Trump das Weiße Haus verlassen muss und so weiter.

An Weihnachten muss man doch Optimist sein, oder?

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