Barack Obamas Bilanz Brillant gescheitert
Der Jubel der Massen hallte kilometerweit. Fast 250.000 Menschen hatten sich in jener Nacht im Grant Park von Chicago versammelt, um ihren Helden zu feiern. Es war der 4. November 2008 - nur Stunden, nachdem Barack Obama als erster schwarzer Präsident der USA feststand. "Change", rief er, "has come to America!" Der Wandel ist nach Amerika gekommen.
Acht Jahre später kehrt an diesem Dienstag ein ergrauter, zermürbter Obama in seine Heimatstadt zurück, um mit einer letzten Rede Abschied zu nehmen und das Erbe seiner Amtszeit zu umreißen. Es geht ein in Teilen großer, in Teilen aber auch gescheiterter Präsident. Es kann kein einheitliches Urteil über ihn geben: Ja, von vielen seiner Großprojekte blieb wenig übrig und aus dem Prinzip Hoffnung, dem Slogan der Obama-Ära, fast nichts. Die USA taumeln zerrissener denn je in eine ungewisse Zukunft unter Donald Trump. Das ist die eine Seite.
Doch unter den Trümmern der hehren Ambitionen finden sich auch einige erstaunliche Errungenschaften, deren Tragweite teilweise erst die Geschichte offenbaren dürfte. Wie kein anderer seit John F. Kennedy prägte Obama das Amt mit seinem Stil und seiner intellektuellen Brillanz. Er modernisierte die amerikanische Gesellschaft schnell - möglicherweise zu schnell.
Die wichtigsten Erfolge und Fehlschläge des 44. Präsidenten der Vereinigten Staaten im Überblick:
TOP: Die Wirtschaft läuft
Die Amerikaner fühlen sich wirtschaftlich und finanziell so unsicher wie nie zuvor. Dabei ist der konjunkturelle Aufschwung eine statistisch klar nachweisbare Errungenschaft Obamas: Gemeinsam mit dem Kongress bewahrte er die USA davor, in den Abgrund zu stürzen. Als erstes berappelte sich die Automobilindustrie, deren Krise die legendäre “Motown” Detroit zur Geisterstadt gemacht hatte. Die Arbeitslosenquote lag bei Obamas Amtsantritt bei 7,8 Prozent, im Dezember 2016 war sie auf 4,7 Prozent gesunken. Auch wenn die sogenannte Schattenstatistik - die diejenigen mitrechnet, die die Jobsuche ganz aufgegeben haben - bis heute düster aussieht und das Wirtschaftswachstum weiter anämisch ist, geht es den USA wesentlich besser als vor acht Jahren. Doch der dramatische Strukturwandel, der sich hinter den Zahlen verbirgt, führt dazu, dass die meisten Amerikaner das nicht spüren.
TOP: Kampf gegen den Klimawandel
Es ist einer der nachhaltigsten Erfolge Obamas: sein Einsatz für die Umwelt. Die politischen Scharmützel über die Keystone- und die Dakota-Pipeline können nicht darüber hinwegtäuschen, dass er der “Öko-Präsident” war - ein Prädikat, das Trump und die klimafeindlichen Republikaner nun am liebsten wieder ganz ausradieren wollen. Doch so einfach wird das nicht sein: Viele Schritte, die Obama im aussichtlos scheinenden Kampf gegen die globale Erwärmung einleitete, lassen sich längst nicht mehr rückgängig machen, zumal sich auch die US-Industrie schon weitgehend umgestellt hat. Das Pariser Klimaschutzabkommen, das Trump zunächst “zerreißen” wollte, dürfte sich als haltbarer entpuppen als gedacht. Andere Obama-Umweltprojekte sind kaum bekannt, sie verstecken sich im Kleingedruckten. Zum Beispiel in dem massiven Konjunkturpaket, das die USA aus der Rezession hievte und bis zu 90 Milliarden Dollar Subventionen für grüne Energie enthielt. Die US-Produktion von Wind- und Solarenergie hat sich seither vervielfacht. Hinzu kommen noch zahlreiche Innovationen des Silicon Valley.
TOP: Der Regenbogenpräsident
Hier kam Obama zwar erst spät in Gang. Doch am Ende landete er als “Unser Präsident” auf dem Cover des Schwulenmagazins “Out”. Obamas Verdienste um die LGBT-Gemeinde sind zahllos: Er schaffte die “Don't ask, don't tell”-Regel des Militärs und das US-Einreiseverbot für HIV-Infizierte ab; er entwickelte Amerikas erste umfassende HIV/Aids-Strategie; er sprach sich als erster US-Präsident für die gleichgeschlechtliche Ehe aus, kurz bevor der Supreme Court sie legalisierte; er holte schwule, lesbische und transsexuelle Mitarbeiter in die Regierung und ordnete ihre Gleichstellung an; er ließ Hassverbrechen stärker verfolgen; er erhob das Stonewall Inn, wo die moderne US-Schwulenbewegung ihren Anfang nahm, zum Nationaldenkmal. Seine Gesundheitsreform stellte außerdem sicher, dass auch arme HIV-Infizierte krankenversichert sind. Viele dieser Fortschritte sind nun aber unter Trump und seinem schwulenfeindlichen Vize Mike Pence bedroht.
TOP: Meisterstück Gesundheitsreform
Es ist unklar, was von ihr in der Ära Trump übrig bleibt - aber für Obama war die Gesundheitsreform die Krönung seiner Amtszeit. Mit dem Gesetz, das er 2010 unterzeichnete, schaffte Obama die Basis für eine Krankenversicherung für alle Amerikaner. Kassenwechsel wurden leichter, die Kostenexplosion im Gesundheitssektor stoppte, chronisch Kranke erhielten eine Versicherungsgarantie. Nichts steht für das Versprechen des Wandels mehr als Obamas Gesundheitsreform. 20 Millionen US-Bürger, die vor 2008 unversichert waren, sind heute unter dem Schirm von Obamacare. Sicher, das Gesetz hat seine Schwächen. Unter dem Druck der Opposition verzichtete der Präsident etwa auf die Einrichtung einer staatlichen Krankenversicherung. Dennoch: Angesichts der jahrzehntelangen Widerstände gegen jede Form einer Versicherungspflicht war Obamas Initiative ein mutiger und richtiger Schritt. Mit Obamacare schaffte er etwas, woran etliche Präsidenten vor ihm scheiterten.
TOP: Stratege im Anti-Terror-Kampf
An Obamas Kurs in der Terrorismusbekämpfung gab es zuletzt viel Kritik: Der Präsident habe, so hieß es, den Aufstieg des „Islamischen Staates“ unterschätzt. Da ist etwas dran. Trotzdem gehörte der Anti-Terror-Kampf insgesamt zu Obamas Stärken - jedenfalls aus Sicht Amerikas. Die Zahl der Anschläge daheim blieb überschaubar. Obama verstärkte den juristisch hochumstrittenen, aber unbestreitbar effektiven Drohnenkrieg, um Terroranführer auszuschalten. Er befahl die riskante Operation gegen Osama Bin Laden. Bis zuletzt verstand er sich als Gegenpol zur Bush-Regierung, die nach dem 11. September 2001 im Anti-Terror-Kampf auf Folter und das Gefangenenlager Guantanamo setzte. Obama schaffte es aufgrund des Widerstands im Kongress nicht, Guantanamo zu schließen. Seiner Argumentation, das Lager schade den Interessen der USA, weil es die Werte des Landes verrate, folgen aber inzwischen auch einige Republikaner.
TOP: Obama, die Stil-Ikone
Obamas Amtszeit ist ohne die Stilfrage nicht zu verstehen. Der 44. Präsident - er war von Tag eins an auch Ikone. Über seine Inhalte und Vorstöße kann man streiten, aber mit welcher Eleganz und Leichtigkeit er durch den politischen Alltag spazierte, beeindruckte selbst seine Gegner. Wir alle kennen die Bilder: Obama beim Basketball, Obama im Burgershop, Obama beim Singen oder Scherzen, Obama als liebender Papa - acht Jahre versuchte er, ein Präsident zum Anfassen sein. Ein Cheerleader der USA. Ein Vorbild. Er prägte mit seiner Art das Amt wie kein anderer Präsident seit John F. Kennedy. Der geschickte Einsatz von sozialen Medien und seines Fotografen Pete Souza half ihm dabei. Das mag mitunter aufgesetzt gewirkt haben, aber sein Stil, seine Integrität und seine intellektuelle Brillanz, mit der er Politik zu vermitteln versuchte, sind ganz wesentliche Gründe, weshalb er als äußerst populärer Präsident in Polit-Rente geht.
FLOP: Die Banker ließ er laufen
Als Obama sein Amt antrat, steckten die USA in der schlimmsten Finanzkrise seit Generationen. Lehman Brothers war Ende 2008 kollabiert, die meisten anderen Großbanken überlebten nur dank staatlicher Intervention. Die Zockersünden der Wall Street waren entblößt. “Ohne wachsame Augen kann der Markt außer Kontrolle geraten”, warnte Obama in seiner ersten Vereidigungsrede. “Die Nation kann nicht blühen, wenn sie nur die Wohlhabenden begünstigt.” Die Occupy-Aktivisten machten den Zorn auf die Banker kurzzeitig zur Volksbewegung. Doch Obamas große Wall-Street-Reform scheiterte: Die Republikaner höhlten das Gesetzespaket aus, ein paar schlagzeilenträchtige Geldstrafen gegen die Banken versickerten in den Bilanzen, am Ende landete kein einziger Chefmanager hinter Gittern. Donald Trumps Finanzkabinett aus Multimilliardären und Goldman-Sachs-Alumni dürfte nun dafür sorgen, dass die unregulierten Wild-West-Zeiten von einst mit Macht zurückkehren.
FLOP: Der Rassismus grassiert
Hope” war Obamas Slogan. Seine Person symbolisierte die Hoffnung auf eine politische und gesellschaftliche Einheit Amerikas - eines Amerikas, in dem alle friedlich miteinander leben können, Demokraten wie Republikaner, Schwarze wie Weiße. Doch wie schnell diese Hoffnung wieder zerstob, zeigte sich vor allem an den eskalierenden Gewalttaten gegen unbewaffnete Afroamerikaner durch Polizisten, aber auch Zivilisten. Der Freispruch des Wachmanns George Zimmerman, der in Florida den Teenager Trayvon Martin erschossen hatte, und der Tod von Michael Brown in Ferguson, der juristisch ebenfalls ungesühnt blieb, lösten wochenlange Unruhen aus, es folgten zahllose weitere Fälle. Die Protestorganisation Black Lives Matter entstand, die Republikaner hielten dagegen, die Grenzen von Obamas Rhetorik offenbarten sich. Die Zahl rassistischer Übergriffe stieg sogar noch an, während rechtsextreme Gruppen neuen Zulauf fanden, als Gegenreaktion auf Obamas Wahl. Als eine solche verstehen manche auch den Sieg Trumps.
FLOP: Obama kriegt die Schere nicht zu
Es ist die dunkle Seite des Obama-Aufschwungs: die ökonomische Ungleichheit in den USA. Die hat sich zwar dank Obama ein bisschen entschärft, bleibt aber ein krasser Notstand. In seiner letzten Rede zur Lage der Nation beklagte Obama selbst die Einkommensschere zwischen den Reichsten und dem Rest als eines der wichtigsten Probleme Amerikas. Tatsächlich klafft diese Schere in den USA weiter auseinander als in irgendeinem anderen Mitgliedsland der OECD: Das jüngste Einkommenswachstum kam überwiegend Millionären zugute, während zuletzt rund 41 Prozent der Amerikaner in Armut lebten, mehr als vor der Rezession. “99 Prozent des neuen Einkommens geht an die obersten ein Prozent”, sagte der Sozialist Bernie Sanders, dessen Populismuswahlkampf von dieser Malaise ebenso profitierte wie der Donald Trumps. Dass Trumps Regierung eine Regierung der top one percent wird, scheint seine Anhänger jedoch nicht weiter zu stören.
FLOP: Konzeptlos durch die Welt
Es ist nicht leicht, für die gesamte Außenpolitik Obamas ein einheitliches Urteil zu fällen. In Teilen justierte er sie auf fundamentale Art und Weise neu, setzte auf Diplomatie, suchte den Ausgleich mit jahrzehntelangen Feinden wie Kuba und Iran, beendete die Kriege im Irak und in Afghanistan. Dass die Außenpolitik trotzdem als einer der Schwachpunkte seiner Amtszeit gelten muss, liegt vor allem an seiner Nahostpolitik. Seine Regierung hatte lange Zeit Schwierigkeiten, eine Haltung gegenüber der „Arabellion“ zu finden. Am Friedensprozess zwischen Israel und Palästina verlor Obama mit der Zeit das Interesse. In Libyen verpasste er, für eine Nachkriegsordnung zu sorgen. Als Makel seiner Präsidentschaft wird das Desaster in Syrien in Erinnerung bleiben. Zu lange vertraute Obama darauf, dass sich das Problem Baschar al-Assad von selbst löst. Am Ende wurde er von Russlands Einmischung in Syrien überrascht und düpiert. Sein Nachfolger erbt ein Schlachtfeld, das weit über Syrien hinausreicht.
FLOP: Von wegen Reform in Washington
Das Versprechen des Wandels, mit dem Obama 2008 angetreten war, bezog sich nicht nur auf die Kultur im Land. Auch in der Hauptstadt wollte er für eine neue Politik sorgen: Überparteilicher, transparenter und moderner sollte es in Washington DC zugehen. An diesem Vorhaben scheiterte der Präsident. Am Regierungsalltag hat sich wenig geändert, der Lobbyismus blühte unter Obama wie eh und je, der Kongress ist zerstrittener als je zuvor. Letzteres muss teils auch Obama persönlich angelastet werden. Anders als etwa Bill Clinton scheute er stets, mit den relevanten Figuren der Gegenseite ein vernünftiges Arbeitsverhältnis aufzubauen. Sein unilateraler Kampf für die Gesundheitsreform steht symbolisch dafür, dass Obama es vorzog, seine Agenda durchzuziehen, als einen Kompromiss zu suchen. Dass „Washington“ in weiten Teilen des Landes inzwischen ein noch mächtigeres Schimpfwort ist als vor seiner Amtszeit, kann als eine von Obamas großen Niederlagen gelten.
FLOP: Waffen überall
Obama hatte seine stärksten Auftritte in Zeiten der größten Trauer: Schier unzählige Male musste der Präsident nach Amokläufen und Massenschießereien vor die Kameras treten. Stets traf er einen guten Ton, mehrfach überwältigten ihn die Gefühle, insbesondere nach der Tragödie in der Sandy-Hook-Grundschule im Dezember 2012. Die Debatte über eine Verschärfung des Waffenrechts ist gleichzeitig eine von Obamas größten und tragischsten Niederlagen. Trotz mehrfacher teils emotionaler Anläufe schaffte es der Präsident nicht, den Widerstand der Republikaner zu brechen und die Macht der Waffenlobby zu beschränken. Ihm blieben nur ein paar kosmetische Korrekturen, die er per Exekutivanordnung festlegen konnte. Dass er nicht mehr erreichte, führte bei Obama in den letzten Monaten seiner Amtszeit sichtbar zu Frust. Mitunter schien es, als zweifle er am Verstand seiner Landsleute.