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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Die Revolte im US-Kongress beginnt Stürzt dieser Trump-Mann die Republikaner ins Chaos?
Die absurden politischen Verhältnisse in Washington führen zu einem außergewöhnlichen Szenario. Ausgerechnet die Demokraten können die Republikaner retten und zugleich zerstören.
Bastian Brauns berichtet aus Washington
In Washington erreicht das interne Drama der Republikanischen Partei in dieser Woche einen neuen Höhepunkt. Denn Matt Gaetz, der wohl umtriebigste Trumpist im Repräsentantenhaus, will den eigenen Anführer, den Speaker Kevin McCarthy, stürzen. Am Montagabend (Ortszeit) brachte er dafür eine Resolution ein, über die in den kommenden Tagen abgestimmt werden muss.
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Das Absurde daran: Ausgerechnet der rechtsradikale Matt Gaetz bettelt dabei um die Hilfe der demokratischen Abgeordneten. Und noch bizarrer ist, dass die Demokraten tatsächlich kurz davor stehen, den Republikaner Kevin McCarthy zu unterstützen.
Was im politischen System der USA ein Jahr vor den kommenden Präsidentschaftswahlen geschieht, hat es so noch nicht gegeben. Wie konnte es dazu kommen, dass plötzlich Republikaner gegen Republikaner kämpfen und Demokraten für Republikaner?
Eine demolierte Partei
Die wichtigste Antwort darauf: Republikaner sind nicht gleich Republikaner. Schon immer gab es in dem Land der zwei großen Parteien erhebliche politische Unterschiede sowohl innerhalb der Republikaner als auch innerhalb der Demokraten. Spätestens seit dem Beginn der sogenannten Tea-Party-Bewegung im Jahr 2009 und dann in der Regierungszeit von Donald Trump haben sich aber beträchtliche Teile der Republikaner radikalisiert.
Diese sogenannte MAGA-Basis aus Trumpisten ("Make America Great Again") hat in den vergangenen Jahren zunehmend an Einfluss gewonnen. Manche ihrer politischen Ansichten lassen sich kaum noch in den herkömmlichen Spektren verorten. Denn sie richten sich gezielt gegen das etablierte System. Der besagte Abgeordnete Matt Gaetz aus Florida, aber auch Figuren wie Lauren Boebert, Byron Donalds oder Marjorie Taylor Greene sind die Anführer einer Truppe im Parlament, die sich "Freedom Caucus" und "America First Caucus" nennen. Sie agieren gegen die eigenen Leute und haben zuvorderst Kevin McCarthy zu ihrem Feind erklärt.
Ihr Vorwurf: Der Sprecher des Repräsentantenhauses sei nicht radikal genug und mache zu oft gemeinsame Sache mit den Demokraten. Zuletzt, als es darum ging, den drohenden, sogenannten Government Shutdown zu verhindern, die Stilllegung der Bundesverwaltung. McCarthy hatte gemeinsam mit moderaten Republikanern und Demokraten einen Übergangshaushalt im Repräsentantenhaus und im Senat verabschiedet, damit zumindest für 45 Tage ein Weiterregieren in Washington möglich ist. Zum Missfallen von Matt Gaetz und seinen Mitstreitern. (Mehr dazu lesen Sie hier)
Die Demokraten stehen vor zwei Siegen
Weil Matt Gaetz in der Folge nun am Wochenende angekündigt hat, Kevin McCarthy als Sprecher des Repräsentantenhauses abwählen zu wollen, wird es diese Woche zum Showdown kommen. Das politische Ende von Kevin McCarthy ist damit näher als je zuvor. Es könnte das ganze System ins Wanken bringen. Er selbst hatte seinen Gegnern vor einigen Tagen noch unterstellt, sie wollten "das ganze Haus niederbrennen". Aber noch ist das Ergebnis längst nicht ausgemacht. Mindestens zwei Szenarien sind denkbar.
- Der Sturz von Kevin McCarthy gelingt
Matt Gaetz und die Mitglieder des radikalen "Freedom Caucus" haben sich bei der Wahl von Kevin McCarthy im Januar dieses Jahres das Recht erstritten, jederzeit seine Abwahl beantragen zu können. Das hat den Republikaner von Beginn an erpressbar gemacht. Jetzt ist es tatsächlich so weit. Weil McCarthy nicht das getan hat, was die Fraktion der Radikalen will, stellen Matt Gaetz und die anderen mit der Resolution eine Art Misstrauensvotum. Sie wirkt ähnlich einer Vertrauensfrage des Bundeskanzlers.
Eine eigene Mehrheit für die Abwahl McCarthys wird Matt Gaetz bei den Republikanern kaum zusammenbekommen. Dafür gibt es viel zu viele Sympathisanten und Verbündete von Kevin McCarthy. Darum muss Gaetz darauf hoffen, so viele Demokraten wie möglich dazu zu bringen, gegen McCarthy zu stimmen. Sollte ihm das aber gelingen, wäre das McCarthys politisches Ende. Die Republikaner könnten dann mit ihrer knappen Mehrheit einen neuen Sprecher wählen. Einen Kandidaten zu finden, der alle überzeugt, wäre aber ähnlich schwierig wie schon bei der Wahl von McCarthy.
Ein Ausweg wäre: Einen parteiübergreifenden Kandidaten zu finden, den auch die Demokraten mittragen würden. Wie das in dem extrem zerstrittenen Parlament gelingen soll, ist aber vollkommen unklar. Das letzte Jahr vor der Wahl könnte damit im politischen Chaos enden und ein weiteres Mal müssten die USA beweisen, dass ihr System trotzdem überlebensfähig ist. Parteipolitisch betrachtet, wäre dieses Szenario für die Demokraten vorerst dennoch ein Sieg.
- Der Sturz von Kevin McCarthy gelingt nicht
Vieles spricht tatsächlich dafür, dass der Sturz von Kevin McCarthy aber nicht gelingen wird, weil ausgerechnet die Demokraten ihn unterstützen werden. Mehrere Abgeordnete haben sich dazu schon bereit erklärt, bevor Matt Gaetz seine Resolution einbrachte. Die Demokraten haben zwar naturgemäß Interesse daran, die Republikaner zu schwächen. Insofern müssten sie McCarthy beim nun eintretenden Abwahlvorgang nicht unterstützen.
Als Regierungspartei, die den Präsidenten Joe Biden stellt, haben sie allerdings auch Interesse daran, zu regieren. Dafür brauchen die Demokraten geordnete Verhältnisse und die Möglichkeit, einen Haushalt zu verabschieden. Unter anderem die Ukraine-Hilfen sollen so schnell wie möglich freigegeben werden können. Denn dort drängt wegen des andauernden russischen Angriffskrieges die Zeit.
Sollten die Demokraten McCarthy nicht unterstützen, könnte der gesamte Kongress in ein Chaos ohne absehbares Ende stürzen. Viele demokratische Abgeordnete könnten sich daher für McCarthy entscheiden, obwohl sie ihn als Republikaner einst als Sprecher nicht mitgewählt hatten. Nachdem er sich aber als kompromissfähig erwiesen hat, können sie auf ihn zumindest zurzeit mehr bauen als auf jeden anderen möglichen Kandidaten der Republikaner.
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Für McCarthy wäre der Vorteil: Er behält sein Sprecher-Amt, das ihn hinter dem Präsidenten und der Vizepräsidentin immerhin zum formal drittmächtigsten Politiker Washingtons macht. Sein Nachteil: Er wäre ab sofort bei allen Gesetzesvorhaben mehr denn je von den Stimmen der Demokraten abhängig. Er würde quasi über Nacht zur "lame duck", zur lahmen Ente, also einem Politiker ohne eigene Machtbasis. Bis zu den Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024, bei denen auch das Repräsentantenhaus neu gewählt wird, könnte er trotzdem weitermachen. Dies wäre historisch gesehen absolut außergewöhnlich, denn normalerweise wird der Sprecher immer mit Mehrheit der eigenen Partei gewählt.
Für die Demokraten wäre das ein doppelter Triumph. Sie würden die Republikaner einerseits retten und andererseits empfindlich verletzen. Sie könnten, ohne über eine eigene Mehrheit im Repräsentantenhaus zu verfügen, die politische Agenda maßgeblich beeinflussen. Zugleich wirkten die Republikaner dank ihrer internen Querelen geschwächt.
- Weitere Szenarien
Kevin McCarthy hat sich als gewiefter Stratege erwiesen. Schon bei seiner Wahl zum Sprecher machte er den Radikalen in seiner Partei viele Zugeständnisse, damit sie ihn ins Amt wählen. Auch in der aktuellen Situation ist theoretisch denkbar, dass McCarthy noch Wege findet, seine Gegner zu überzeugen, von ihrem Plan in letzter Sekunde abzulassen und doch noch für ihn zu stimmen. Die Republikaner haben 221 Abgeordnete, die Demokraten 212.
Dass Matt Gaetz noch zu einer Einsicht gelangt, gilt mit dem Einbringen seiner Resolution als ausgeschlossen: Dabei kann er, wenn die Demokraten ihn beim Sturz gegen McCarthy nicht unterstützen, im Grunde nur verlieren. Wegen seiner geplanten Revolte drohen andere republikanische Abgeordnete bereits damit, ihn aus dem Kongress zu werfen. Zu seiner Verteidigung sagte Matt Gaetz am Montag: "Ich will Washington verändern." Es der Anti-Establishment-Sound, den man von ihm kennt.
McCarthy jedenfalls gibt sich öffentlich siegessicher: "Ich werde überleben", sagte er schon am Wochenende. Nachdem ihn die Nachricht von Matt Gaetz' Resolution erreicht hatte, schrieb er auf X, vormals Twitter, angriffslustig: "Bring it on!", was so viel heißt wie: "Zeig mir, was du drauf hast!"
Und tatsächlich wurde noch nie ein Sprecher des US-Repräsentantenhauses aus seinem Amt entfernt. Zuletzt trat der Republikaner John Boehner im Jahr 2015 von diesem Amt zurück, als er in Gefahr geriet, abgewählt zu werden. Für den selbstbewussten McCarthy gilt dieser Schritt als ausgeschlossen.
- Eigene Beobachtungen und Recherchen