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Norbert Röttgen warnt vor "Vergeltungsaktionen Chinas" gegen Deutschland


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Entwicklung in China
"Würde eine wirtschaftliche Kernschmelze auslösen"

  • Bastian Brauns
InterviewVon Bastian Brauns

Aktualisiert am 25.04.2023Lesedauer: 6 Min.
China-Kritik an der Bundesregierung: CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen.Vergrößern des Bildes
China-Kritik an der Bundesregierung: CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen. (Quelle: IMAGO/Kay-Helge Hercher)

Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen wirft Bundeskanzler Scholz Untätigkeit bei der China-Politik vor. Zugleich warnt er vor Provokationen durch die USA und fordert, Europa müsse eine geopolitische Macht werden.

Nach seiner Kritik an den Äußerungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron zu China greift der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen jetzt auch den deutschen Bundeskanzler an. Bevor er zu einer Reise in die USA aufgebrochen ist, hat er mit t-online gesprochen.

Im Interview kritisiert er gefährliche Versäumnisse der Bundesregierung in der China-Politik, fehlende europäische Einheit und warnt vor drohenden Konsequenzen, die unseren Wohlstand zerstören würden. Röttgen sorgt sich aber auch um politische Entwicklungen in den USA, die China unnötig provozieren würden.

t-online: Herr Röttgen, erst neulich haben Sie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron für seine Äußerungen zu China scharf kritisiert. Könnten Sie nicht auch dankbar sein? Endlich wird eine wichtige Debatte um die künftige europäische China-Politik geführt.

Norbert Röttgen: Etwas Gutes in Macrons Aussagen zu suchen, führt nicht zum Ziel. Der Schaden, den er verursacht hat, ist einfach zu groß – in Europa und in den USA. Seine Äußerungen zu einem angeblichen europäischen Vasallentum unter den USA schüren in China den Eindruck mangelnder Einheit der Europäer und des Westens. In den USA hat er das Vertrauen in uns als Verbündete beschädigt.

Macron warnte davor, sich im Konflikt mit China einem amerikanischen Rhythmus anzupassen. Sie sind gerade in den USA. Dort wird die Diskussion um China tatsächlich aggressiver und militarisierter geführt als in Deutschland und Europa. Beunruhigt Sie das nicht?

Es gibt in den USA Entwicklungen, die auch mir Sorgen machen. Ich bin kein Befürworter eines Kalten Krieges mit China. Darüber wird noch viel zu sprechen sein. Macron aber hat versäumt, klar zu benennen: Erstens sind wir keine Vasallen, es gibt auch keine Besorgnis wegen eines Vasallen-Verhältnisses; und zweitens geht der Konflikt rund um Taiwan nicht von den USA aus, sondern von China. Wir Europäer haben gegenüber den Amerikanern eine Bringschuld bezüglich unserer Haltung zu China, die darin besteht, europäische Klarheit zu schaffen. Wir müssen völkerrechtswidriges Verhalten von China nicht nur ablehnen, sondern auch glaubhaft mit drohenden Konsequenzen unterlegen.

US-Präsident Joe Biden hat mehrfach angekündigt, bei einem chinesischen Überfall auf Taiwan das Land nicht nur mit Waffenlieferungen zu unterstützen, sondern sogar mit eigenen Soldaten zu verteidigen. Müssten sich die Europäer nicht konsequenterweise zumindest ebenso engagieren wie aktuell in der Ukraine?

Wir verlören jede Glaubwürdigkeit, wenn wir sagen würden, Taiwan ist zu weit weg, das interessiert uns nicht. Im Hinblick auf den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sagen wir ja den vielen weit entfernten Ländern genau das Gegenteil. Militärisch aber wären wir im Fall des Falls weder gefragt noch in der Lage, uns zu engagieren. Wir müssten aber eine solche Aggression verurteilen und mit wirtschaftlichen Sanktionen belegen. Das würde die Gefahr gewaltiger Vergeltungsaktionen Chinas auch gegen Deutschland mit sich bringen. Darum müssen wir uns vorbereiten.

Das klingt beunruhigend.

Das ist es auch, denn die aktuelle Chinapolitik der Bundesregierung hält uns in diesem gefährlichen Zustand der Abhängigkeit und mangelnden Vorbereitung. Vergeltungsaktionen würden uns deshalb extrem treffen und unseren Wohlstand gefährden. Potenziell gibt es kaum einen Bereich der deutschen Wirtschaft, der nicht erheblich betroffen wäre. Das wäre viel schlimmer als das Thema Energie im Falle Russlands und würde eine globale wirtschaftliche Kernschmelze auslösen.

Aber ist es ratsam, uns stattdessen in eine Abhängigkeit von Amerika zu begeben, wie wir sie lange nicht hatten?

Wir sind Alliierte, Partner und wir sind Freunde. Aber es ist völlig klar: Die USA haben und werden ihre eigenen Interessen immer robust vertreten. Ohne mit der Wimper zu zucken und ohne ein schlechtes Gewissen. Ich bin nicht für ein romantisches oder naives Verhältnis, sondern auch hier für Realismus. Aber dazu gehört eben auch zu sehen, dass in der gegenwärtigen Kriegslage in Europa die entscheidende europäische Sicherheitsmacht die USA sind. Das ändern wir nur, wenn wir Europäer stärker werden, und zwar sicherheitspolitisch und technologisch.

Aber wie soll das notorisch uneinige Europa mit Ländern wie Orbáns Ungarn mit den Weltmächten aufschließen?

Handelspolitisch sind wir eine Weltmacht. Die EU hat hier die Kompetenz. In geopolitischen Fragen können wir uns unser Verhalten von Kleinstaaterei nicht mehr leisten. Als europäische Klein- und Mittelmächte haben wir sehr geringe geopolitische Relevanz. Für das europäische Zusammenführen hat Deutschland eine große Verantwortung. Europa wird entweder eine geopolitische Macht oder wir kommen in die Mühlräder des geopolitischen Wettbewerbs.

Norbert Röttgen,

Jahrgang 1965, ist Außenpolitikexperte der CDU und ehemaliger Bundesumweltminister. Als stellvertretender Vorsitzender ist er Mitglied der Atlantik-Brücke und setzt sich insbesondere für die deutsch-amerikanischen Beziehungen ein.

Abhängigkeiten von China zu reduzieren, technologisch aufzuholen und eine gemeinsame europäische Geopolitik aufbauen, braucht Zeit.

Ja, das stimmt. Ein Grund, warum ich gegen Provokationen gegenüber China bin.

Die USA verschärfen aber den Ton, hochrangige US-Militärs warnen vor einem Krieg schon im Jahr 2025.

Solche Vorhersagen bringen uns nicht weiter. Auch den Taiwan-Besuch der ehemaligen Sprecherin des Repräsentantenhauses Nancy Pelosi habe ich für eine nutzlose Provokation gehalten. Auch der jetzige Besuch von Taiwans Staatspräsidentin Tsai Ing-we beim neuen House Speaker Kevin McCarthy in Kalifornien ist so eine Provokation. Daran sollten wir uns nicht beteiligen. Wir brauchen Klarheit in der Ablehnung von Chinas außenpolitischer Aggression und innerer Repression. Aber keine mutwillige Provokation, die mit einer Änderung der Ein-China-Politik droht. Provokationen sind keine kluge Außenpolitik. Das zu unterlassen, ist ein wichtiger Beitrag des Westens, den Krieg Chinas gegen Taiwan zu vermeiden.

Was können wir stattdessen tun?

Einigkeit ist unsere größte Stärke. Nicht abwarten, sondern erstens keine weiteren Abhängigkeiten eingehen. Zweitens müssen wir bestehende Abhängigkeiten sofort reduzieren. Bezüglich der chinesischen 5G-Technik von Huawei scheint das nun der Fall zu sein. Dafür war aber wohl Nachhilfe aus den USA nötig. Schon beim Thema Hamburger Hafen sieht das anders aus. Risikominimierung bei kritischer Infrastruktur ist das Gebot der Stunde. Aber ich glaube, der Bundeskanzler hat das nicht wirklich vor. Auch die Automobilindustrie ändert ihren Kurs nicht. BASF hat gerade entschieden, riesige Investitionen zu tätigen. Dabei ist die Sache ernst.

Die chinesische Beteiligung über Cosco im Hamburger Hafen soll jetzt noch einmal überprüft werden.

Ja, aber der Bundeskanzler wollte ursprünglich ja noch an einer viel höheren Beteiligung festhalten. Jetzt fällt plötzlich auf, dass die Rechtslage für eine Beteiligung von Cosco in Wahrheit ganz anders aussieht und man nicht erkannt hat, dass es sich bei dem Terminal um kritische Infrastruktur handelt. Der Bundeskanzler und sein Bundeswirtschaftsminister hatten in dieser wichtigen Frage der deutschen Sicherheit offensichtlich von der geltenden Rechtslage keine Ahnung und haben inkompetent entschieden. Das alles ist ein Ausmaß von Dilettantismus, das mich sprachlos macht. Die Konsequenz muss jetzt erst recht sein, die Cosco-Beteiligung im Hamburger Hafen zu untersagen.

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Das Zögern des Kanzlers in solchen Fragen könnte aber in seiner Sorge um den deutschen Wohlstand begründet sein.

Sowohl bei Russland als auch bei China hat es nie ein Erkenntnisproblem gegeben. Man hat immer entschieden: Wir wollen nicht sehen, was wir sehen. Die Abhängigkeit von Russland bei Gas wurde gesehen, auch als die Regierung unsere Gasspeicher verkauft hat. Warum hat man es laufen lassen bei Russland? Weil man gesagt hat, das ist gut für unseren Wohlstand. Warum hat man es bislang bei China laufen lassen? Weil man sagt, das ist Wachstum für Unternehmen, das sind Märkte, das ist gut für unseren Wohlstand.

Aber was ist die Alternative, auf Wohlstand verzichten?

Es ist die politische Pflicht des Bundeskanzlers, klar mit der Bevölkerung zu kommunizieren: Wir sind nicht bereit, für Wohlstand auf Zeit die Sicherheit des ganzen Landes zu verkaufen. Fehlende Sicherheit hat dann auch Wohlstandsverluste zur Folge. Der wirtschaftliche Verkaufserfolg und die billigen Preise haben eine gefährliche Kehrseite, nämlich Abhängigkeit. Sicherheit hat einen Preis. Diese neue Abwägung muss die Bundesregierung endlich treffen. Doch noch immer kennen wir die China-Strategie nicht. Der Bundeskanzler und die Außenministerin liegen auch hier im Streit.

Warum geht es nicht voran?

Klarheit hätte Konsequenzen, die der Kanzler scheut. Eine Untersagung der Beteiligung von Cosco hätte negative Konsequenzen für den Hamburger Hafen. Dafür müsste Scholz die Verantwortung, wenn auch aus sehr verantwortlichen, guten Gründen, übernehmen. Für die Regierung ist es viel einfacher, auf den Schaden zu warten, als vorbeugend zu handeln. Aber dieses Muster kommt uns extrem teuer zu stehen, wie die Vergangenheit uns lehrt. Wir kümmern uns nicht um Migration, sondern warten, bis die Flüchtlinge in großer Zahl kommen. Wir bereiten uns nicht auf eine Pandemie vor, wir warten ab, bis sie kommt. Wir beziehen viel zu viel Energie aus Russland, bis es zum Krieg gegen die Ukraine kommt. Und jetzt geben wir China immer mehr Einfluss auf unsere Infrastruktur und legen unser Wirtschaftswachstum in chinesische Hände. Worauf warten wir?

Verwendete Quellen
  • Interview mit Norbert Röttgen
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